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„From the River to the Sea“Freispruch nach verbotener Palästina-Parole in Berlin

Der Spruch „From the River to the Sea“ ist als vermeintliches Hamas-Symbol verboten. Ein deshalb angeklagter Student wurde nun freigesprochen.

Das Verbot der Parole ist rechtlich umstritten Foto: Axel Heimken/dpa

Berlin taz | Das Amtsgericht Tiergarten hat einen Studenten der Freien Universität Berlin freigesprochen, dem vorgeworfen wurde, Terrorpropaganda verbreitet zu haben. Konkret hatte der 23-Jährige im Mai 2024 bei einer propalästinensischen Versammlung die Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ gerufen.

Diese war am 2. November des Vorjahres von der damaligen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) per Verfügung verboten worden, weil sie als Kennzeichnen der am gleichen Tag als Terrororganisation verbotenen Hamas gewertet wurde. Infolge der Verbotsverfügung war es bereits mehrfach zu Verurteilungen von Personen sowie Verboten von oder strengen Auflagen für Demonstrationen gekommen.

Dass „From the River to the Sea“ als Kennzeichen der Hamas zu verstehen sei, sah die Richterin am Freitag anders. Sie habe schon zuvor Bedenken über den ergangenen Strafbefehl geäußert, sagte sie. Durch die Vorstellung einer ausführlichen historisch-wissenschaftlichen Analyse der Parole durch eine LKA-Sachverständige kam die Richterin aus mehreren Gründen zu der Überzeugung, dass es sich nicht um ein Hamas-Kennzeichen handele.

Zwar versuche die 1987 gegründete Terrororganisation, sich den Spruch zu eigen zu machen. Allerdings, so das Urteil, müsse dessen Ursprung in den 1960er und 1970er Jahren berücksichtigt werden. Anfangs habe die Parole nicht – wie im Fall der Hamas – für die Auslöschung Israels, sondern für die Errichtung eines „multiethnischen, säkularen Staates auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina“ gestanden, der auch jüdische Menschen einschließen sollte, so die LKA-Sachverständige.

Kein Hinweis auf Hamas-Verbindung

Auch werde der Spruch von der Hamas in dieser Form gar nicht verwendet, lediglich Teile davon oder in Abwandlung. Und im Übrigen nutzten andere Akteur:innen, auch in Israel, ebenfalls Varianten der Parole.

Wenn der Satz, der häufig im gesprochenen Fließtext verwendet werde, überhaupt den Charakter eines Kennzeichens irgendeiner Art erfülle, dann sei im Fall des 23-jährigen Studenten kein Hinweis zu erkennen, dass er es als Hamas-Symbolik genutzt hat, befand die Richterin. Ein Vorsatz sei nicht zu erkennen.

Für Yaşar Ohle, den Anwalt des Angeklagten, ist der Freispruch keine Überraschung: „Das Urteil zeigt, dass man, wenn man sich mit dem Sachverhalt vertieft und unter Zuhilfenahme einer Sachverständigen auseinandersetzt, nur zu diesem Ergebnis kommen kann.“ Die Verbindung zwischen der Parole und der Hamas sei „konstruiert und vom Bundesinnenministerium nicht haltbar“, sagte er der taz.

Auch die Richterin fand am Freitag deutliche Worte: Personen wegen des Spruchs „From the River to the Sea, Palestine will be free“ anzuklagen, halte sie für die „Kriminalisierung von politischem Protest“.

Für Noah Perreira, Sprecher der Studierendenorganisation „Hands off Student Rights“, ist der Freispruch ein Zeichen „gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit, aber auch für alle, die sich kritisch zur deutschen Außenpolitik äußern“, sagte Perreira der taz. Mehrere Un­ter­stüt­ze­r:in­nen der propalästinensischen Gruppe waren zum Prozess erschienen.

Dass die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird, hält Anwalt Yaşar Ohle für wahrscheinlich.

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19 Kommentare

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  • Björn Höcke wäre auch mal besser in Berlin vor Gericht gelandet, statt in Halle. Da wäre sein "Alles für Deutschland" wahrscheinlich auch als harmloser Motivationsspruch gedeutet worden und er hätte einen Freispruch bekommen.

    Ich halte das Urteil aus Berlin für fadenscheinig, denn beim Beschluss des BayOVG war bspw. eben nicht entscheidend, dass - wie im Falle der Hamas und der SA - öffentlich bekannt ist, dass die verfassungswidrige oder terroristische Organisation das Kennzeichen hin und wieder verwendet.

    Kontext ist das Stichwort: Die Ausrede, dass ein bestimmter Ausdruck ja ganz harmlos sei, kennt man zur Genüge von Nazis, die ihr Hakenkreuz am Oberarm als hinduistisches Symbol verstanden haben wollen. Nun ist es eben der naive Versuch, die Hamas zu indigenen Freiheitskämpfern zu framen und deren eindeutige und seit Jahrzehnten verfolgte Agenda: "Genozid an allen Juden" durch ein "From the river to the sea" zu relativieren.

  • Es ist argumentativ auch schwierig zu begründen, besagten Satz zu kriminalisieren, wenn er zumindest inhaltlich gleich auch in den Grundsatzprogramm von Netanjahus Likud und anderen rechten Parteien Israels steht. Mit anderer Zielsetzung natürlich.

  • Toll. Meinungsfreiheit ist doch was schönes. Aber noch besser ist zu wissen, von wem man sich fernhalten sollte... hehe

  • Ein gutes und n heutigen Zeiten mutiges Urteil.



    Aber ich kann sogar nachvollziehen, warum die Gegner dieser Entscheidung jetzt sogleich wieder aufheulen werden: die Aussage „from the river …“ ist und bleibt doppeldeutig wegen deren Vereinnahmung durch eliminatorische Antisemiten. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens auch mit der kürzlich diskutierten Fragestellung, was wir aus dem Holocaust gelernt hatten.



    Insofern natürlich auch nachvollziehbar, wenn bei jüdischen Mitbürgern starke Bedrohungsängste hochkommen, wenn sie sich mit solchen Parolen konfrontiert sehen.



    Aber die Justiz kann derlei Doppeldeutigkeiten nicht einseitig auflösen, ohne einseitig parteiisch zu werden - sie kann politische Grundsatzentscheidungen kritisieren und revidieren, muss das aber auf Grundlage aller verfügbaren Gesichtspunkte tun. Und dann abwägen. (Die Juristen korrigieren mich bitte, sollte ich falsch liegen.)



    Der Rückgriff auf die Argumentation des LKA-Gutachten war also nach Maßgabe der Dinge eine richtige richterliche Entscheidung.



    Und man sollte doch bitte wieder in den Blick nehmen, dass innergesellschaftliche Konflikte POLITISCH zu lösen sind, nicht mit Mitteln der Strafverfolgung.

  • Ein Fehlurteil! Hoffentlich wird es in der nächsten Instanz nicht bestehen bleiben.

  • "vom Fluss bis zur See" macht doch Israel grade mit großer Begeisterung! Oder?

  • "Kriminalisierung von politischem Protest“. In Deutschland auch als Staatsräson bekannt.

    Wurde auch Zeit das die deutschen Gerichte die Parole dem jeweiligen Kontext zuordnen und die Hintergründe besonders hinter der Absicht der Botschaft mit einbeziehen.

    Von den Niederlanden bis zur Schweiz haben die Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren wegen der Verwendung der Parole eingestellt, in Großbritannien ist die Parole im Zusammenhang mit der Gerichtsbarkeit noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten und in Norwegen musste der Meta Konzern auf Internivierung der Regierung eine wegen der Parole abgeschaltete Facebook Palästinaseite wieder aktivieren, da "die Parole von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und zudem nicht eindeutig sondern vielfältig interpretierbar sei.."

    Wird Zeit das dieses hierzulande auch endlich zur Kenntnis genommen wird und die deutsche Justiz von strafrechtlicher Verfolgung im Zusammenhang mit der Verwendung der Parole absieht.

  • Und wieso muss der "Ursprung des Spruchs in den 1960er und 1970er Jahren berücksichtigt werden"?

    Es geht um die heutige Bedeutung und den Gebrauch. Nicht wie er vielleicht vor 70 Jahren mal gedacht war.

    • @gyakusou:

      ....und von Israel immer wieder verwendet wird....

    • @gyakusou:

      Nun ja, die "heutige Bedeutung" ist eben auch nicht



      so eindeutig wie die Netanyahu- und IDF-Apologet*innen in ihrem Kampf gegen alle palästinasolidarischen Menschen behaupten (siehe die im Text wiedergegebenen Aussagen aus dem Urteil: Der Slogan wird von der Hamas so gar nicht verwendet; der Slogan wird nicht nur von palästinasolidarischen Akteur*innen verwendet). Aussageintention und Aussagekontext müssen zudem berücksichtigt werden ("...sei im Fall des 23-jährigen Studenten kein Hinweis zu erkennen, dass er es als Hamas-Symbolik genutzt hat").



      So unverständlich wie Sie behaupten, ist das alles nicht.

    • @gyakusou:

      Ebenfalls steht im Text, dass die Parole so gar nicht von der Hamas verwendet wird.

    • @gyakusou:

      Um etwas zu verstehen, muss es komplett betrachtet und differenziert bewertet werden. Das es hier geschehen ist, ist eine Zeichen für Rechtsstaatlichkeit. Zum Glück ist das keine Gesinnungsjustiz!

  • "Auch werde der Spruch von der Hamas in dieser Form gar nicht verwendet, lediglich Teile davon oder in Abwandlung."

    Das stimmt so nicht. "from the river to the sea" steht exakt so in der Charta der Hamas.

    • @sneaker:

      Damit bestätigen Sie doch die Begründung des Gerichts?

    • @sneaker:

      Das hat niemand behauptet.



      Es geht um den Spruch „From the River to the Sea, Palestine will be free“.



      Wo wird dieser von der Hamas genutzt (ausser, wie von der Richterin bemerkt "lediglich Teile davon oder in Abwandlung"?

    • @sneaker:

      Nur so aus Neugierde. Die Hamas hat ihre Carta in Englisch verfasst? Oder handelt es sich um eine Übersetzung?

    • @sneaker:

      Tatsächlich steht die "Formulierung" "from the river to the sea" nicht in der Charta, sie ist im Wortlaut als Quellenangebei bei Wikipedia im Wiki-Artikel "1988-Hamas-Charta" verlinkt.

      Allerding spricht die Charta von 1988 von "der Befreiung Palästina" in einer Art und Weise die ganz sicher das gesamte vormalige Mandatsgebiet Palästina meint -- das heutige Israel eingeschlossen.

      Tatsächlich bekennt sich die Hamas zur Staatsgründung Palästinas in den 1967er Grenzen, Zitat Hamas "Dokument of Grenerel Principles an Poletics von 2017:

      "Hamas considers the establishment of a fully sovereign and independent Palestinian state, with Jerusalem as its capital along the lines of the 4th of June 1967, with the return of the refugees and the displaced to their homes from which they were expelled, to be a formula of national consensus."



      (Quelle verlinkt als Quelleangabe bei Wikipedia)

      Richitg ist alleine:

      Die Hamas nennt Isreal und seine Gründung "Völkerrechtswidrig" und lehnt die Anerkennung Isreals als Staat ab.

      Nachschlagen in den bei Wikipedia verlinkten Primär-und Orignals-Quellen ist oft sehr aufschlussreich.

  • Wie schön, dass es noch eine unabhängige Rechtsprechung in diesem Land gibt. Es lebe die Gewaltenteilung und die freie Meinungsäußerung!

  • "Anfangs habe die Parole nicht – wie im Fall der Hamas – für die Auslöschung Israels, sondern für die Errichtung eines „multiethnischen, säkularen Staates auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina“ gestanden, der auch jüdische Menschen einschließen sollte, so die LKA-Sachverständige."

    Wer von den damaligen Akteuren hatte das tatsächlich vor?