Friedensforscher über das Amt des Verteidigungsministers: „Ein Schleudersitz“

Friedensforscher Michael Brzoska kennt die Fallstricke von Boris Pistorius' schwierigem Amt. Unter anderem plädiert er dafür, mehr „von der Stange“ zu kaufen.

Ein Schützenpanzer vom Typ Puma fährt während einer Gefechtsvorführung über den schlammigen Übungsplatz

Christine Lambrecht hat die Beschaffung weiterer Pumas vorerst gestoppt. Was macht Boris Pistorius? Foto: Philipp Schulze/dpa

wochentaz: Herr Brzoska, beneiden Sie Boris Pistorius um seinen neuen Job?

Michael Brzoska: Nein. Das ist ein Schleudersitz und Herr Pistorius wird genauso wie seine Vorgängerinnen und Vorgänger mit großen Problemen konfrontiert sein, die ihm schnell persönliche Kritik bescheren können. Die Lösungen dafür liegen nicht unmittelbar auf der Hand.

Eine seiner Aufgaben: Die 100 Milliarden Euro aus dem Bundeswehr-Sondervermögen effizient auszugeben. In einer Studie haben Sie vorgerechnet, dass über 30 Milliarden versickern könnten, wenn man alte Fehler wiederholt. Was muss Pistorius anders machen?

Erstens wurden in der Vergangenheit viele komplexe Waffensysteme mit hohen technologischen Ansprüchen bestellt, die dann nicht funktioniert haben. Das Zweite ist die Frage, bei wem man bestellt. Die größten Hersteller, die oft in den USA sitzen, können wegen der hohen Stückzahl billig produzieren. Wenn man dagegen nur national beschafft und auf exklusive Systeme besteht, wird es teuer. Allerdings sind das nicht die einzigen Kriterien. Gerade in der jetzigen Situation geht es auch darum, wie wir die europäische Verteidigungsindustrie stärken können und ob wir uns langfristig auf die USA verlassen können.

Michael Brzoska ist Ex-Leiter und Senior Fellow des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.

Wie man es macht, macht man es also falsch.

Man muss überlegen, welche Kriterien man priorisiert. Aus meiner Sicht sollten Einsatzbereitschaft und Kostensenkung vorrangig sein.

Ein Projekt, das aus dem Sondervermögen bezahlt werden soll, ist der Transporthubschrauber Chinook von Boeing. Er schien dahingehend vorbildlich: Nicht das neueste Modell, aber etabliert, zuverlässig und bezahlbar. Diese Woche kam allerdings die Meldung, dass sich der Preis verdoppeln könnte – weil das Verteidigungsministerium doch wieder Sonderwünsche angemeldet hat. Hat Sie das überrascht?

Das ist im Grunde genommen wieder genau das alte Problem. Ich hätte gedacht, dass es inzwischen anders läuft und man nimmt, was marktgängig ist. So steht es eigentlich auch in allen Papieren des Ministeriums und der Koalition.

Gibt es Positivbeispiele?

Bei den F 35-Kampfjets, die ebenfalls aus den USA kommen, wurden bislang relativ wenig Fehler gemacht.

In einer Beschlussvorlage für den Bundestag sprach das Ministerium selbst von Kostenrisiken bei den Flugzeugen. Das macht Ihnen keine Sorgen?

Früher war das Problem oft, dass aus dem Verteidigungsministerium nur positive Meldungen kamen, obwohl man intern schon von erheblichen Risiken wusste. Als Lehre aus der Vergangenheit benennt man mögliche Probleme jetzt vorab. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme und aus meiner Sicht sind die aufgeführten Punkte alle noch im Rahmen.

Die US Air Force hat technische Probleme mit ihren F35.

Das sind wahrscheinlich größtenteils Kinderkrankheiten, die langsam beseitigt werden. Bei den Alternativen – F 18 oder Eurofighter – wäre das Kosten-Nutzen-Verhältnis noch problematischer. Aber ja, die F 35 ist ein extrem avanciertes System und es ist nicht ausgeschlossen, dass technische Probleme auftreten. Gelöst werden könnten diese dann nur von den Amerikanern, weil sie die Baupläne geheim halten und wir keine eigene Wartungsinfrastruktur aufbauen können. Falls die USA irgendwann beschließen, dass wir Deutschen die F 35 nicht mehr fliegen sollten, haben wir tatsächlich ein Problem.

Zuletzt war der Schützenpanzer Puma wegen neuer Pannen in den Schlagzeilen. Christine Lambrecht hat die Beschaffung weiterer Pumas vorerst gestoppt. Wie sollte Boris Pistorius hier weitermachen?

Der Puma ist auch wieder so ein höchst entwickeltes, aber anfälliges System. Es ist in der Tat fraglich, ob man den Bestand erhöhen sollte. Die jüngsten Probleme haben sich zwar als weniger gravierend herausgestellt. Hinsichtlich Einsatzbereitschaft und Kosten ist der Puma aber grundsätzlich nicht optimal.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was wäre die Alternative?

In Schweden wird zum Beispiel der weniger komplexe Schützenpanzer CV 90 hergestellt. Der hätte auch den Vorteil, dass er in Europa weiter verbreitet ist als der Puma, der so teuer ist, dass er außer der Bundeswehr bis heute keinen anderen Abnehmer gefunden hat. Und dann wird unter finnischer Führung eine neue Familie von gepanzerten Fahrzeugen unter dem Namen Famous entwickelt, an dem viele europäische Länder beteiligt sind. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr hängt ja auch stark damit zusammen, wie gut sie bei der Wartung und Ersatzteilversorgung mit anderen Nato-Streitkräften zusammenarbeiten kann. Einheitlichkeit könnte wertvoller sein als Super-Super-Fähigkeiten.

Aus Bundeswehr und Industrie kommt oft das Gegenargument, dass man den technischen Anschluss verlieren könnte, wenn man keine Hightech-Systeme entwickelt.

Für die Industrie ist es natürlich immer nett, ein technologisch sehr anspruchsvolle Systeme zu bauen. Für die Praxis ist das aber nicht unbedingt nötig. Der Puma-Vorgänger Marder ist 50 Jahre alt und jetzt auf einmal doch wieder gut genug für Nato-Einsätze.

Am Sonntag reist Pistorius nach Paris. Es wird dort auch um FCAS gehen, ein gemeinsam mit Frankreich entwickeltes Kampfflugzeug. Kostenteilung ohne Abhängigkeit von den USA: ein Musterbeispiel?

Im Prinzip ja. Man sollte die europäische Kooperation ausweiten. Bei FCAS ist jedoch ein Problem, dass man zwar offiziell an einem gemeinsamen Projekt arbeitet, aber doch wieder jede Seite komplizierte Sonderwünsche anmeldet. De facto hat man am Ende wieder zwei verschiedene Waffensysteme, in die Höhe getriebene Kosten und technische Probleme. Ich würde Herrn Pistorius raten, den Franzosen zu sagen: Für uns sind Einsatzfähigkeit und Kosten die zentralen Kriterien. Wir kommen nicht mit irgendwelchen Sonderdingen und ihr solltet das auch nicht tun.

Ist das das einzige Problem dieses Projekts?

Es kommt noch eins dazu: Bei solchen Projekten gilt das Prinzip des „Juste retour“. Wenn Deutschland beispielsweise 40 Prozent der Gesamtkosten bezahlt, müssen im Gegenzug auch 40 Prozent der Aufträge an deutsche Unternehmen gehen. Einfacher wäre es, wenn man stattdessen ein Generalunternehmern auswählt, das dann Teilaufträge an die jeweils günstigsten Hersteller vergeben darf.

Was wohl die deutsche Rüstungsindustrie davon hält?

Die Bundesregierung müsste eben bereit sein, dem Druck der Industrie standzuhalten und auch ihr Kompromisse abzuringen. Ein Problem sehe ich aber natürlich auch: Es wäre nicht optimal, wenn die großen Konzerne alle Aufträge abgreifen und die mittelständische Industrie leer ausgeht. Am Ende bliebe vielleicht nur noch ein Hersteller übrig, der die Preise diktieren kann. Wettbewerb ist durchaus auch ein Ziel, das man mit den anderen, übergeordneten Zielen austarieren muss.

Wir haben bisher nur über einzelne Beschaffungsprojekte gesprochen, nicht aber über strukturelle Probleme im Beschaffungswesen der Bundesregierung. Sind die denn zweitrangig?

Als Grundprobleme sehe ich tatsächlich die Prioritätensetzung und das Verhältnis zur Industrie. Das sind beides politische Fragen, die nicht durch die Beschaffungsbürokratie entschieden werden. Sicherlich gibt es aber auch dort noch erhebliches Potenzial. Man könnte die Vergabeverfahren weiter beschleunigen und durch bessere Verträge nachträgliche Kostensteigerungen minimieren. Schon seit letztem Jahr gibt es ein Gesetz, das bürokratische Vorgaben abbauen und die Klagerechte unterlegener Firmen einschränken soll. Es ist aber relativ vage formuliert und man muss abwarten, wie die Gerichte es auslegen.

Verschwendet nur Deutschland so viel seiner Militärausgaben oder gibt es in anderen Ländern ähnliche Probleme?

Das Problem haben viele, angefangen mit den Amerikanern, die noch viel mehr auf Hightech setzen als wir. Dort gibt es zwar mehr Unternehmen und Kapazitäten für Hochtechnologieprojekte. Aber es ist nicht so, dass es deshalb keine Kostensteigerung und gerissenen Zeitpläne gäbe. Generell haben die Länder, die von der Stange kaufen, die geringsten Probleme. Oft sind das kleine Länder, die weniger Geld haben, schon deswegen keine Sonderforderungen stellen und darauf verzichten, dass viel im eigenen Land hergestellt werden muss.

Viele befürchten, dass 100 Milliarden Sondervermögen nicht reichen, die Wehrbeauftragte Eva Högl hält sogar das Dreifache für nötig. Und Sie?

Für eine definitive Antwort fehlen mir Detailkenntnisse. Im Wirtschaftsplan des Sondervermögens sehe ich kaum unsinnige Vorhaben – mit Abstrichen vielleicht bei der Marine, die sehr stark berücksichtigt wurde. Das hat mich gewundert, da für die Landes- und Bündnisverteidigung eher Panzer und Luftverteidigung gebraucht würden. Auch die Munitionsbeschaffung wird nicht billig. Zum Sondervermögen kommen noch die Mittel aus dem regulären Verteidigungshaushalt. Unterm Strich scheint es mir so, dass man jetzt erst mal mit diesen Mitteln arbeiten sollte.

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