Friedensaktivist über Ukraine-Invasion: „Das haben wir falsch eingeschätzt“
Seit mehr als 50 Jahren ist Willi van Ooyen in der Friedensbewegung aktiv. Putins Überfall auf die Ukraine hat er sich nicht vorstellen können.
taz: Herr van Ooyen, Sie haben noch Mitte Februar einen Aufruf unter der Überschrift „Friedenspolitik statt Kriegshysterie“ gestartet, in dem es wörtlich heißt: „Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg.“ Das war eine kapitale Fehleinschätzung, oder?
Willi van Ooyen: Bis zum 23. Februar habe ich nicht geglaubt, dass das passieren würde. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass Russland einen solchen Angriff vorbereitet und tatsächlich in der Ukraine einmarschiert. Das habe ich einfach nicht gesehen. Erst seine fürchterliche Rede einen Tag vor dem Einmarsch hat mich eines Besseren belehrt. Sie war historisch völlig daneben und sollte einen Krieg rechtfertigen. Mit unserem Aufruf wollten wir gegen die erkennbare Militarisierung Europas mobilisieren.
geboren 1947, ist seit seiner Jugend in der Friedensbewegung aktiv und ist bis heute einer der Organisator:innen der Ostermärsche. Der Diplom-Pädagoge war von 2008 bis 2017 Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im hessischen Landtag.
Würden auch Sie das militärische Vorgehen Putins als Angriffskrieg bezeichnen?
Ja, das muss man so bezeichnen. Das ist ein schwerwiegender Völkerrechtsbruch, keine Frage. Allerdings nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte Europas
Sehen Sie irgendeine Rechtfertigung für den Überfall Russlands auf die Ukraine?
In keiner Weise. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Es ist schrecklich, was gerade den Menschen in der Ukraine widerfährt. Selbstverständlich müssen die Bombardierungen sofort gestoppt und die russischen Truppen wieder abgezogen werden. Sanktionen helfen nicht weiter. Notwendig sind ein umfassender Waffenstillstand und ein Zurück an den Verhandlungstisch.
Hätten Sie nicht früher erkennen müssen, dass alte Freund- und Feindbilder nicht mehr funktionieren?
Die Weltlage war immer schon kompliziert. Aber was gleichgeblieben ist: Konflikte lassen sich nicht militärisch, sondern nur politisch lösen. Willy Brandts Diktum, dass Krieg nicht die Ultima ratio, sondern die Ultima irratio ist, beweist sich doch gerade im Moment wieder.
Als Sie Ihren Aufruf formuliert haben, zu dessen Erstunterzeichner:innen Daniela Dahn, Eugen Drewermann, Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht und noch etliche andere gehören, hatte Putin seine Angriffspläne schon in der Schublade. Wie ist es möglich, dass Sie ihn so falsch eingeschätzt haben?
Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass Putin das russische Militär tatsächlich so offensiv einsetzt. Das haben wir falsch eingeschätzt. Unsere Kritik an der Osterweiterung der Nato bleibt richtig, aber damit lässt sich keinesfalls diese militärische Aggression rechtfertigen. Von daher muss es sicherlich auch von unserer Seite ein Nachdenken geben.
Ist das nicht schmerzhaft?
Sich in einer Frage von Krieg und Frieden so geirrt zu haben, ist natürlich schmerzhaft. Allerdings hat sich an meiner grundsätzlichen Position dadurch nichts geändert, im Gegenteil. Wir müssen weiter gegen jegliche Form von Militarisierung ankämpfen. Das bedeutet auch, nationalistische Kategorien in der Politik zurückzudrängen. Denn die führen ins Unglück, auch dafür ist das Agieren des russischen Präsidenten ein Beispiel. Wir brauchen insgesamt eine andere politische Kultur, die von Frieden, Demilitarisierung und Kooperation geprägt ist.
Das klingt angesichts der aktuellen Situation äußerst idealistisch.
Das mag sein, aber gerade jetzt bleibt es Aufgabe der Friedensbewegung, dafür zu streiten, dass die militärische Logik zugunsten einer neuen Abrüstungs- und Entspannungspolitik zurückgedrängt wird. Was bleibt uns sonst?
Am Sonntag findet in Berlin eine große Kundgebung gegen den Krieg in der Ukraine statt, zu der unter anderem Campact, Greenpeace und der DGB aufrufen. Unterstützen Sie die Kundgebung?
Selbstverständlich unterstütze ich die Kundgebung. Es ist wichtig, jetzt für den Frieden auf die Straße zu gehen. An möglichst vielen Orten sollte es Aktionen der Friedensbewegung geben. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Aber was wir tun können: Wir müssen die Menschen aufklären, dass Krieg und Militär keine der wichtigen Probleme wie Hunger, Flucht, Klimakatastrophe und soziale Ungleichheit lösen wird. Wir können ein Zeichen setzen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich aufhören muss.
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