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Freihandelsabkommen MercosurGegen die Isolation

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Gegen das geplante Freihandelsabkommen mit Südamerika regt sich viel Protest. Dabei überwiegen die Vorteile – gerade in unsicheren Zeiten.

Bauernprotest gegen Mercosur in Straßburg Foto: Jean-Francois Badias/ap

D ie Welt treibt auseinander. Die Wirtschaftsmächte USA, China und Europa bekämpfen sich zunehmend mit Zöllen. Ökonomische und politische Spannungen steigen. Dabei wäre das Gegenteil – mehr Kooperation – eine gute Sache. Zum Beispiel mittels Mercosur, dem geplanten Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Südamerika.

Der Vertrag mit den Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay, Bolivien und Paraguay soll unter anderem die gegenseitigen Zölle senken und dafür sorgen, dass mehr Produkte zwischen den Partnern im Norden und Süden gehandelt werden. Nach langen Debatten scheinen die Mercosur-Regierungen und die EU-Kommission bereit zu sein, das Abkommen Ende dieser Woche zu besiegeln. Ursula von der Leyen würde mit einem außenpolitischen Erfolg in ihre zweite Amtszeit starten.

Doch in Frankreich protestieren viele Landwirte, die politische Mehrheit dort ist gegen das Abkommen, die polnische Regierung ebenfalls. Auch hunderte Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen lehnen den Vertrag ab. Ihre Argumente sind nicht von der Hand zu weisen. Hiesige Bauern könnten beispielsweise Marktanteile verlieren, wenn zusätzliches Fleisch aus Südamerika in die Geschäfte kommt.

Emanzipation von China und USA

Doch die Vorteile überwiegen. Indem das Abkommen den Handel insgesamt erleichtert, dürften mehr Branchen profitieren als leiden. Die Chancen stehen gut, dass die Wohlstandsgewinne die Verluste für einzelne Gruppen unter dem Strich überwiegen. Um in der Konkurrenz mit den USA und China zu bestehen, ist es für Deutschland und Europa im Übrigen unbedingt nötig, bessere Handelsbeziehungen zu knüpfen. Fatal wäre es, Südamerika den chinesischen Konzernen zu überlassen.

Sollte das Mercosur-Abkommen platzen, wäre dies ein Schritt in Richtung Abkapselung, Isolation und Rückzug in die Festung. Er hätte dann nicht nur Wohlstand, sondern auch Sicherheit gekostet. Bei Staaten ist es wie im Privaten: Wenn man zusammenrückt und mehr kooperiert, lassen sich Konflikte leichter lösen.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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23 Kommentare

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  • Nur weltweiter Handel ist ein Friedensgarant und noch ist Europa in der Position mit zu bestimmen unter welchen Bedingungen, ökologisch und sozial, der Handel betrieben werden soll, mit langfristiger Perspektive.

  • Unter den europäischen Entscheidern herrscht noch die längst veraltete Vorstellung vor, jetzt würde für europäische Industriegüter in Südamerika ein lukrativer Markt eröffnet und im Gegenzug kommen hauptsächlich Agrargüter und Rohstoffe.



    Das Konzept ist veraltet. Daß mit Freihandel Europa immer (noch) am längeren Hebel sitzt, ist seit längerem Geschichte. Nicht nur brasilianische Investoren, sondern z.B. auch chinesische könnten Industriegüter in Südamerika produzieren und nach Europa exportieren.... ooops....



    Oder haben die Verhandlungen nur deshalb so lange gedauert, weil man all diese "Gefahren" mit hunderten Seiten von "Kleingedrucktem" gebannt zu haben glaubt.....?

  • Danke für diese Einsichten und Aussichten.

  • Heute in den Nachrichten wurden einige Vorteile genannt: die Autoinstrie kann mehr und besser nach Südamerika exportieren und im Gegenzug kann Südamerika besser Rindfleisch nach Europa exportieren.



    Voller Klimaerfolg auf der ganze Linie. Eine dann evtl. steigende Nachfrage nach südamerikanischen Rindfleisch wird sicher nicht dazu führen, dass man seine gierigen Kapitalistenpatschehändchen vom Regenwald lässt, schätze ich.

  • es gab doch in der Taz mal einen Artikel dazu das dann EU Chemiebetriebe wieder Pestizide, und Insektizide die in der EU verboten sind, dort dann wieder verkaufen dürfen und uns dann wieder als Lebensmittel auf den Teller servieren. Ich glaube Greenpeace hat dazu recherchiert. wir brauchen keine stärkere Globalisierung unserer Lebensmittel, sondern bessere Förderungen für Kleinbauern in der EU—das Hilft auch dem Klima.

    • @elma:

      Besagter Artikel hat die Pointe ignoriert, dass einzelne dieser Pestizide und Insektizide sogar für die Erzeugung von Bio-Lebensmitteln verschiedener Label zugelassen sind. 🤔 Jedenfalls außerhalb der EU, in der sie nicht mal von der konventionelle Agrarindustrie legal eingesetzt werden dürfen ...

      • @FriedrichHecker:

        Ja, und ein nur ein Abkommen kann solche Aspekte in Angriff nehmen. Daran muss gearbeitet werden!

  • Ja, weil es geopolitisch opportun ist, werfen wir doch gerne die letzten Rechte und Ansprüche der Gruppen, die sowieso schon auf breiter Front systematisch benachteiligt werden (nein, ich rede nicht von europäischen Bauern) unter den Bus.



    Das müssen die dann halt einfach verstehen, dass die EU sich jetzt auch geopolitisch in Südamerika breitmachen muss.



    Die Wohlstandsgewinne wird es zweifellos geben. Landen werden sie natürlich wie immer in den Kassen der Reichen. Die Arbeitnehmer auf beiden Seiten des Atlantik werden nicht viel davon haben, außer mehr Konkurrenz, dadurch mehr Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen, die in der Folge entsprechend sinken werden.



    Aber man muss ja bereit sein, solche Bagatellen in Kauf zu nehmen. Immerhin geht es hier (wahlweise) gegen den bösen Russen oder Chinesen.

  • Wenn man reformunfähig wie Europa/Deutschland ist und in einer Konkurrenzsituation mit anderen Staaten der Welt ist und mit einem "weiter so" ein besseres Ergebnis als jetzt erzielen will, dann muss man jede Chance nutzen sich anderweitig einen Vorteil zu verschaffen und dazu gehören eben Freihandelsabkommen, und dann am Besten mit Regionen, die komparative Vorteile bieten, wie eben Mercosur. Wer den Regenwald abholzt entscheiden immer noch größtenteils die Parlamentswahlen in Südamerika.

  • Volle Zustimmung



    Eine Ablehnungshaltung gegenüber Freihandelsabkommen orientiert sich in der Regel an den Interessen weniger.



    Ohne Freihandelsabkommen haben z.B. viele Unternehmen in Südamerika geringere Chancen auf profitablen Zugang zum europäischen Markt. Ohne wirtschaftlichen Erfolg gibt es weniger Arbeitsplätze und niedrigere Löhne. Eigentlich ganz einfach, wenn einfach das Ziel wäre…

  • „Hiesige Bauern könnten beispielsweise Marktanteile verlieren, wenn zusätzliches Fleisch aus Südamerika in die Geschäfte kommt“

    Nun, „mein Hiesig“ ist Abya Yala (Süd“amerika“, im Kolonialsprech). Und also sehe ich das Freihandelsabkommen von unserer geographisch-politischen und indigenen Seite. Sollten Brasilien und Bolivien, z.B., mehr Fleisch nach Europa exportieren, wird erst mal mehr Weideland gebraucht. Und da solches weder in La Paz, noch in São Paulo aufzutreiben ist, wird die ohnehin irrwitzige Amazonasrodung nochmal hochgefahren. Samt dem damit einhergehenden Genozid. Und kommt uns bitte nicht mit irgendwelchen vertaglich festgeschrieben Kontrollen (und ähnlichem). Die gibt es nicht. Ausser in Gehirnen hinter blauäugigen Nichtkennern unserer Realität. Und auf schalem Papier.

    „Fatal wäre es, Südamerika den chinesischen Konzernen zu überlassen“

    Das ist ein „schönes“ Stück Anmassung. Abya Yala sollte uns überlassen bleiben. Und nicht irgendwelchen kapitalistischen Interessen anderer Länder und Finanzmärkte!

    • @Ardaga:

      Also doch Isolation?



      Überlassen wir das doch den Südamerikaner, gibt wohl genügend dort drüben die das Abkommen wollen.

    • @Ardaga:

      Großartig!!!

  • Oha, steile Thesen!



    " Bei Staaten ist es wie im Privaten: Wenn man zusammenrückt und mehr kooperiert, lassen sich Konflikte leichter lösen."



    Da fällt mir doch spontan die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland und China in den letzten 20 Jahren ein.



    Dabei stimme ich zu: China wird sofort in die Lücke springen, wenn es ihrem strategischen Interesse dient. Es ist ein Dilemma!

    Was es ökologisch bedeutet, wenn billiges Fleisch aus Südamerika herangekarrt wird (Transport mit Segelschiffen?), bleibt auch unerwähnt. Wird es dann billiger ein Mahl mit einem südamerikanischen Steak zuzubereiten statt mit ökologischem Gemüse?.

    Und was macht es mit der zarten Pflanze "Lieferkettengesetz"?

    Aber wie gesagt ich stimme überein: wenn wir blockieren, weil wir "Recht haben und besser sind" verschwinden wir weiter von der Weltbühne und füttern hier die AfD Wähler.

    • @Heiner Petersen:

      Die AfD ist gegen Mercosur, weil heimische Landwirte mehr Konkurrenz bekommen. Mercosur zu blockieren würde die AfD Wähler nicht weiter aufbringen sondern bestätigen.

      • @Descartes:

        Ich hatte etwas komplizierter gedacht: gesetzt den Fall wir schliessen das Abkommen nicht ab. Dann verlieren wir weitere Handelspartner also auch Exportmöglichkeiten. Ggf mit dem Ergebnis, dass wir weiter wirtschaftliche Stagnation haben. Kein steigender Wohlstand aber führt fast automatisch zu den Oppositionsparteien, die sich bisher noch nicht in den Niederungen der Weltwirtschaft behaupten mussten.

    • @Heiner Petersen:

      Das ist Fake-News: der Marktanteil von Fleisch aus den Mercosur-Staaten beträgt 1%. Nur die sind vom Freihandel betroffen. Darüber sind 77% Zoll fällig.

      Was die Schiffe angeht: lieber Gas per Schiff aus den USA als selber fördern. Doppelmoral ohne Ende

      • @GregTheCrack:

        Und die 1 % sollen durch das Abkommen nicht erhöht werden? Das wundert mich.



        Den anderen Absatz verstehe ich im Zusammenhang mit dem Artikel nicht.

  • Die Frage ist doch immer, würde weiter warten wirklich eine verbesserte Verhandlungsposition bringen? Oder Bestände nicht eher die Gefahr einer kaum noch möglichen Einigung? Dieses Dilemma scheinen manche Aktivisten meines Erachtens im Kampf für „die reine Lehre“ nicht genügend auf den Schirm zu haben.

  • Das kann man so sehen. Allerdings sind die Umweltstandards gerade in Südamerika ein Witz. So wie ich den Vertrag verstanden habe, sind die dort vereinbarten Ziele eher erstrebenswert und nicht verpflichtend. Güter um die habe Welt mit Schweröl tankenden Frachtschiffen zu verschicken, ist ebenfalls eher fragwürdig. Die Giftmischer im Pflanzenschutz sowie diverse Industriezweige jubeln. Und das nicht ohne Grund. So lange das nicht anders vereinbart wird, ist der Vertrag abzulehnen.

  • 100% richtig!



    Das die Landwirtschaft in Teilen an Einfluss und Geschäft verlieren wird ist offensichtlich. Ist gleichzeitig aber eine Chance sich zu adaptieren, zu ändern, Nischen zu suchen und zu finden.

  • Freihandelsabkommen zielen darauf ab, den internationalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu erleichtern. Sie stärken damit auch die Marktmacht der Kapital- und Unternehmensseite und treiben die Abhängigkeit der Menschen von den Märkten noch weiter voran. Freihandelsabkommen beinhalten hingegen kaum Regeln zum Schutz und zur Stärkung von sozialen Rechten, Verbraucher- und Umweltschutz. Nebenbei verschärfen sie den ökonomischen Wettbewerb innerhalb der Freihandelszonen und mit Nichtmitgliedsstaaten, was zu weiteren politischen Konflikte innerhalb und zwischen Staaten führt. Insgesamt schränken sie Möglichkeiten freier politischer Entscheidungen von Gesellschaften und ihren Regierungen ein. Wo überwiegen da die Vorteile? Gerade aus demokratischer und linker Perspektive sind Freihandelsabkommen eine Katastrophe und rundweg abzulehnen.

  • Die Landwirte sind doch sowieso reine Subventionsempfänger. Dann bekommen die eben den Verlust durch das Abkommen obendrauf gerechnet, das ist immer noch wesentlich billiger als das Abkommen platzen zu lassen.