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Franziska Giffeys ErfolgsrezeptMarianne Rosenberg der Politszene

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die Spitzenkandidatin der SPD macht Wahlkampf für ganz Berlin. Logisch, dass die Coolen in Kreuzberg das nicht verstehen.

Adrett lächelnd in Pink: SPD-Spitzenkandidatin Giffey Foto: dpa

U nklar ist, ob, aus der Perspektive von Grünen und Linken, die Verstörung ob der Umfragehochs für Franziska Giffey nur gespielt ist oder wirklich empfunden wird. Die Klagen gehen in jüngerer Zeit so, wahllos zitiert aus einer Fülle von grünalternativen und linken Meinungsbekundungen: Was? – wie sieht die denn aus? Oder: Bitte? – mit diesem Nichts an politischem Aufbruch will die es schaffen? Auch: Empörend, wie sie die Notwendigkeit einer Klimakrisenpolitik einfach übersieht! Auch dies ist zu hören: Das kann doch nicht wahr sein – so rechts, so wenig klimafreundlich! Summa summarum: Wie schafft es die SPD mit ihr an der Spitze an der Spitze der Umfragen zur Abgeordnetenhaus zu liegen.

Dabei ist die Antwort einfach, so simpel, wie man auch all den bürgerlichen Medien hätte vor 20 Jahren sagen können, dass Klaus Wowereit keineswegs wegen seines Schwulseins („Und das ist auch gut so!“) im schrebergärtnisch strukturierten Berlin abgelehnt wird, sondern womöglich gerade gemocht. Wowereit war nicht in Berlin-Mitte beliebt, dafür in den Randlagen Berlins, gerade die älteren Frauen, echte Westberlinerinnen, suchten seine Nähe: Ach, prima (Schwieger-)Sohn.

Giffey, die anders als Klaus Lederer (Linke) und Bettina Jarasch (Grüne) von einer zur anderen Sekunde in ein keineswegs angelernt klingendes Berlinerisch umschalten kann, ist aktuell hochbeliebt – und wenn nicht noch ein Wunder geschieht (aus der Perspektive der Ko­ali­ti­ons­part­ne­r*in­nen der SPD im jetzigen Senat), wird sie die nächste Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Und zwar nicht trotz, sondern wegen ihrer volkstümlichen Art.

Man muss es den verbitterten Wahlkämpfenden der Grünen einfach nochmals sagen: Kreuzberg, Friedrichshain und Schöneberg sind Teile von Berlin. Wer da lebt, hört anspruchsvolle Musik, geht, so hat es den Anschein, gern Kulturellem ohnehin nach, isst tendenziell vegan und spricht wahnsinnig wach und woke. Giffey, ganz perfekte Schülerin ihres Mentor, des im Gegensatz zu Thilo Sarrazin keineswegs in Neukölln rassistisch wahrgenommenen Heinz Buschkowsky, weiß das alles – und macht Wahlkampf im ganzen Berlin. Sagt, dass sie das Auto nicht aus den belebteren Vierteln ausschließen will und dass sie das Gespräch zur Wohnungsfrage sucht, nicht die enteignungdrohende Konfrontation. So eine liebt das gewöhnliche Berlin, klar: Da will eine ein bisschen ändern, aber das Bestehende nicht kulturkämpferisch antasten.

Dit is doch den Berlinern ejal

Dass sie aus der Perspektive von ‚coolen‘ Kreuzbergleuten kreischig aussieht und sich so auch anhört, ist ihr größter Trumpf: ein Ausweis von Volksnähe, was nicht jeder in ihrer Partei, der SPD, drauf hat, Michael Müller, der in den Bundestag wechselnde Bürgermeister, beweist dies. Ein Glücksfall für Giffey war natürlich auch, dass Bettina Jarasch von ihren Grünen schwer gedemütigt wurde, als sie dafür mit steifsten Volks­er­zie­he­r*in­nen­lip­pen darauf hingewiesen wurde, dass man sich gefälligst von Träumen aus Kindertagen zu distanzieren habe, Indianerphantasien, Sie wissen schon.

Dass Giffey nicht härter kritisiert wird, ja unmöglich ist, weil ihr der Doktortitel aberkannt wurde und die Masterarbeit akademischer Art auch nicht ganz astrein selbst erarbeitet scheint: Dit is doch den Berlinern ejal – Uni ist Uni, und das Leben ist das Leben. Giffey ist die Marianne Rosenberg der aktuellen Politszene, fröhlich, ein wenig glamourös, durchaus nicht unernsthaft; Jarasch hingegen die Liedermacherin, sagen wir: verdüsternd-problembewusst, strukturell spaßbremsig – und damit anstrengend, Typus Lehrerin mit viel zu hohem Anspruch. Sie, die Sozialdemokratin, ist eine, in die man sich verlieben kann – ihre Konkurrentin gebührt nur: Respekt. Alles viel zu richtig und streng.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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8 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Beatrice Egli for President!

  • Nur mal so- was anspruchsvolle Musik ist, möchte ich gerne mal wissen. Gibt bestimmt auch Kreuzberger, die Gangsta hören..



    Im Übrigen stehe ich der SPD sehr nahe und bin schwul..Giffey mag ich aber nicht, weil sie eine konservative und neoliberale Politik betreibt. Ich frage mich, warum Menschen sie wählen, wäre da Liberal und/ oder Union nicht die bessere Wahl..? Kalusi Mausi hat Berlin ganz schlecht regiert, hat ausschließlich Großprojekte gefördert, die Stadt kaputt gespart und landeseigene Wohnungen verkauft. Und dann hat er noch Sekt aus roten Pumps getrunken und mit Sabine Christiansen gefeiert..

  • "Diese populistisch-antiintellektuelle Masche ist genau das, was uns Onkel Trump beschert hat."

    Diese arrogante Abwertung all derer, die nicht in der eigenen Blase leben und die Überzeugung, dass alle, die nicht die eigenen Überzeugung teilen schlicht rettungslos dumm sind, hat die Grünen in Bund und Berlin etliche Prozente gekostet.

    Statt sich in Wutgeheul und Beschimpfungen zu ergehen, wäre es sinnvoller, die eigene Intoleranz und Lust an der Diskriminierung zu überprüfen.



    Wenn Diversität nur da akzeptabel ist, wo sie keine Anstrengung verlangt und in den engen Grenzen der eigenen Schublade bleibt, dann ist sie wertlos.

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @flip flop:

      Sorry, ich nehm’s zurück

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @flip flop:

      Gucken Sie mal in den Spiegel.

  • Diese populistisch-antiintellektuelle Masche ist genau das, was uns Onkel Trump beschert hat.

    Statt auf dieser mittlerweile gut abgehangenen Welle zu surfen hätte ich mir mal was progressives erhofft: wie kann mensch die "schrebergärtnisch strukturierten" und die "coolen hippen" etwas näher aneinanderbringen?

    Denn sie haben erstaunlich übereinstimmende Interessen. Und die werden von Frau Giffey keineswegs vertreten.

    Handschuh geworfen.

    • @tomás zerolo:

      SPD, CDU und FDP passen nicht zu Berlin. Zitat Jarrasch. Klang mir gleich nach Sarah Palin.

  • Insbesondere der letzte Absatz bringen meine Gefühle gegenüber den Grünen perfekt auf den Punkt. Ich teile ja die meisten ihrer Anliegen. Aber diese typische Besserwisserei, das Streberhafte, Verkniffene, Bourgeoise, stoßen mich ab.

    Ein Problem der Grünen generell ist meiner Meinung nach, dass die meisten Politikredakteure deutscher Medien in Berlin leben, und zwar in grün-dominierten Stadtteilen. Außerdem neigen nachweislich die deutschen Journalisten mehrheitlich den Grünen zu. Aus dieser Gemengelage heraus - Bias plus speziellem Umfeld - erweckt die Berichterstattung oft den Eindruck, grün sei Mainstream, sei alternativlos, sei ausgemacht, das einzig Vernünftige, und der ganze Rest sei eben nur noch nicht so weit. Das wiederum wird natürlich von den Grünen rezipiert und so entsteht eine Echokammer, in der Presse und Partei sich gegenseitig bestätigen. Am Wahlabend ist die Verwunderung dann wieder groß. Denn was Jan Feddersen hier für Berlin beschreibt, gilt für ganz Deutschland.