Forschung zu Gesellschaftssolidarität: Wer bekommt wie viel?

Der VWL-Professor Stefan Traub hat erforscht, wie das Gerechtigkeitsempfinden bei Verteilungsfragen aussieht und eine Bedarfs-Theorie entwickelt.

Eine Grundschülerin nimmt einen Teller mit Schnitzel, Kartoffeln und Sauce vom Tresen der Essensausgabe einer Schulmensa.

Muss das reichen oder sollte so verteilt werden, dass je­de*r besser leben kann? Mittagessen in einer Schulmensa in Freiburg Foto: dpa | Philipp von Ditfurth

Osnabrück taz | Zuweilen liegt in einem Spiel viel Ernst. Oft geht es um Kooperation und Fairness, strategisches Denken und soziales Handeln. Stefan Traub, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg hat Erfahrung damit. Acht Jahre lang, von 2015 bis 2022, hat er in dem multidisziplinären, internationalen Projekt „Bedarfsgerechtigkeit und Verteilungsprozeduren“ mit Methoden der Spieltheorie zum Thema Gesellschaftssolidarität gearbeitet, bedarfsbasierter Gerechtigkeit.

Aus den Perspektiven der Soziologie und Politikwissenschaft, der Psychologie, Ökonomie und Philosophie hat sich das Projekt um Wirtschaftswissenschaftler Traub und Politikwissenschaftler Bernhard Kittel, Universität Wien, dem Minenfeld gewidmet, dass sich zwischen Leistungs- und Egalitätsprinzip erstreckt. Die Studie „Priority of Needs? An Informed Theory of Need-based Justice“ stellt jetzt, als Sammelband, die Ergebnisse vor.

Leistungen für Asylbewerber und Geduldete, Ausbildungsunterstützungen, Sozialleistungen: Die Debatte, wer wie viel bekommen sollte und verdient, ist hart, ist eskalativ, ist in Teilen polarisierend und populistisch. Die Angst vor sozialem Abstieg geht um. Marktliberale Forderungen wie „Arbeit muss sich wieder lohnen!“ haben Konjunktur, obwohl sie nicht zuletzt darauf zielen, soziale Leistungen möglichst niedrig zu halten, damit dem Niedriglohnsektor nicht die Beschäftigten ausgehen.

Manche fordern: Jedem nur das, was seiner Leistung entspringt. Andere erwidern: Am besten bekommen alle dasselbe, ohne Ansehen ihrer Leistung. „Die Bandbreite reicht vom Hyper-Altruisten bis zum egoistischen Eigennutz-Optimierer“, sagt Traub der taz. „Eine reine Leistungsbezogenheit kann jedoch sehr unsozial sein, die Egalität sehr leistungsfeindlich.“

Wer am Versuch teilnahm, bekam die Spielregeln erläutert, einen anonymen Bildschirmplatz und ein paar Euro Startgeld

Die Forschungsgruppe um Traub und Kittel schlägt einen „dritten Weg“ vor, so Traub: Bedarfsdeckung für ein „decent life“. „Sie muss allerdings weit über die reine physische Existenz hinausgehen“, sagt Traub. „Sie muss eine Teilhabe ermöglichen, die, zum Beispiel, auch einen Theaterbesuch einschließt.“

Die Bedarfs-Theorie fußt auf einer Vielzahl von Labor-Experimenten mit Spielcharakter. Durch das Handeln ihrer ProbandInnen, zuweilen Hunderte pro Experiment, ließen sich Muster erkennen, psychologische Effekte. Nichts, das an Triple-A-Titel von Spieleentwicklern wie Activision Blizzard oder Electronic Arts erinnert. Aber in seiner Abstraktion und Stilisierung trotzdem wirkmächtig.

Wer teilnahm, bekam die Spielregeln erläutert, einen anonymen Platz vor einem Bildschirm, ein paar Euro Startgeld für ein symbolhaftes, exemplarisches Szenario. Dann ging es los, bis zu zwei Stunden lang: Aufgaben zu lösen brachte Geld, andere um Hilfe zu bitten oder anderen zu helfen, womöglich auch. Es ging um Kommunikation und Entscheidungen, jedes Tun oder Unterlassen hatte Folgen. Am Ende konnte jeder als Realgeld mitnehmen, was er erspielt hatte.

Das Fazit: Eine deutliche Mehrzahl der ProbandInnen war bereit, sich von Geld zu trennen, um andere zu unterstützen, abhängig vom Bedarf. „Der Mensch ist ein sehr soziales Wesen“, sagt Traub. „Wechselseitige Solidarität hat einen hohen Stellenwert.“ Wichtig ist dabei das Vertrauen – auch darin, selbst Hilfe zu erhalten, wenn es notwendig ist. Die Gefahr dabei: Je heterogener eine Gesellschaft wird, desto fragiler droht dieses Vertrauen zu werden.

Nur 17 Prozent der Menschen glauben, dass es in Deutschland Verteilungsgerechtigkeit gibt, zeigte 2022 die Studie der Bertelsmann-Stiftung „Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland“. Die Folge: eine Erosion des Vertrauens in Politik und Institutionen, des gesellschaftlichen Zusammenhalts. 75 Prozent der Befragten seien für die Verringerung des Unterschieds zwischen Arm und Reich, sagt die Studie. Allerdings seien nur 37 Prozent bereit, dafür selbst höhere Steuern zu zahlen. „Priority of Needs?“ hat also, indem das Team um Traub und Kittel informiert, wo viele nur empfinden, hohe Aktualität.

Bedarfsbasierte Gerechtigkeit, zeigen die AutorInnen, ist ein Mechanismus vieler Stellschrauben. Eine davon: Soll Sozialgesetzgebung auf kollektive Akzeptanz stoßen, braucht sie transparente Erläuterung. Taten allein reichen also nicht. Informationen müssen sie flankieren. Eine Aufgabe für die Politik.

In Deutschland gebe es hohe Zustimmungsraten zu Leistungs- und Bedarfsprinzip, sagt Traub, indes nur geringe zum Egalitätsprinzip, wie es sich etwa im bedingungslosen Grundeinkommen zeige. Viele halten es also für gerecht, dass mehr erhält, wer mehr leistet, dass man sich aber auch der Schwächeren der Gesellschaft annimmt. „Ungerecht wird es erst, wenn andere in der Gesellschaft ihre Bedarfe nicht decken können“, so Traub.

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