piwik no script img

Finanzexperte über Cum-Ex-Skandal„Offenbar hat Scholz gelogen“

Finanzexperte Gerhard Schick wirft dem Kanzler Nähe zur „Herrschaft von Oligarchen“ vor. Er fordert den Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister Tschentscher.

Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch bei einem Bürgergespräch in der Prignitz Foto: Carsten Koall/dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Schick, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss an diesem Freitag im Hamburger Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Steuerskandal Rede und Antwort stehen. Wird er an dieser Affäre scheitern?

Gerhard Schick: Das können wir heute noch nicht sagen. Aber die Fragen, um die es geht, bergen Sprengsätze. Es geht um die politische Einflussnahme von Bankern und den Verdacht ihrer Begünstigung durch Politiker. Weitere Fragen könnten sogar noch gefährlicher werden für Scholz. Offenbar hat er den Bundestag belogen.

Wie begründen Sie diesen Vorwurf?

imago
Im Interview: Gerhard Schick

leitet die Berliner Organisation Bürgerbewegung Finanzwende. Bis 2017 war er Finanzexperte der Grünen im Bundestag und trieb die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals maßgeblich voran.

Im geheim tagenden Finanzausschuss des Bundestages erklärte Scholz im Juli 2020, es habe nur ein Treffen zwischen ihm und dem Hamburger Banker Christian Olearius im Zusammenhang mit Cum-Ex gegeben. Das wissen wir jetzt durch eine neue Veröffentlichung des Magazins Stern, beruhend auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln. Inzwischen ist aber herausgekommen, dass 2016 und 2017 doch weitere Gespräche stattfanden.

Die Schlussfolgerung lautet: Scholz sagte im Ausschuss offenbar die Unwahrheit. Außerdem erscheint mir nicht plausibel, dass er sich an den Inhalt der weiteren Gespräche angeblich nicht mehr erinnern kann.

Bei Cum-Ex ging es darum, dass Investoren und Banken Milliarden Euro ergaunerten, weil sie sich einmal gezahlte Steuern mehrmals vom Finanzamt zurückerstatten ließen. Die Hamburger Warburg-Bank von Christian Olearius war mit von der Partie. Der übergeordnete Verdacht lautet, Scholz habe in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister daran mitgewirkt, dass die Bank 47 Millionen Euro Steuerrückforderung aus dem Skandal erst mal behalten konnte, die sie eigentlich an das Finanzamt hätte zurückzahlen müssen. Das kann man aber nicht beweisen, oder?

Dass Scholz die Entscheidung zugunsten der Warburg-Bank beeinflusst hat, lässt sich bisher nicht belegen. Aber die Bür­ge­r:in­nen müssen sich schon die Frage stellen, warum er überhaupt mehrmals mit dem Tatverdächtigen Olearius über Cum-Ex gesprochen hat.

Dass möglicherweise E-Mails in Scholz’ Büro gelöscht wurden und sich darin Hinweise auf fragwürdiges Verhalten finden, ist ebenfalls nur ein Verdacht.

Es ist eine Vermutung, die sich in den mittlerweile veröffentlichen Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Köln findet. Ich rechne mit weiteren Ermittlungen und Recherchen.

Was erwarten Sie von Scholz am Freitag?

Er muss beispielsweise den Verdacht aus der Welt räumen, dass Mails gelöscht wurden.

Dazu hat Scholz schon gesagt, sein Vertrauter Wolfgang Schmidt und seine Büroleiterin seien für die Bearbeitung des Mailverkehrs zuständig, nicht er selbst.

Dies scheint mir im Widerspruch zu einer Mail seiner Büroleiterin zu stehen, die so klingt, als ob sie den Umgang mit bestimmten Nachrichten mit Scholz abstimmen wollte.

Sie fordern den Rücktritt des amtierenden Hamburger Bürgermeisters Peter Tschentscher. Warum?

Als Hamburger Finanzsenator hat Tschentscher Informationen über die Cum-Ex-Steuerschuld der Warburg-Bank von der Finanzverwaltung angefordert. Damit durchbrach er die Brandmauer zwischen Politik und Verwaltung. So etwas kommt fast nie vor. Normalerweise soll ja die Verwaltung ohne politischen Einfluss entscheiden. Tschentscher sandte jedoch das gegenteilige Signal an die Verwaltung. Damit ist er auch politisch verantwortlich dafür, dass man die Steuerrückforderung zunächst verjähren lassen wollte. Tschentscher muss die Konsequenzen ziehen und zurücktreten.

Auch Scholz kritisieren Sie hart. Es geht hier um den Bundeskanzler, der augenblicklich ein paar uns alle betreffende, dringende Probleme zu bearbeiten hat – Putins Angriff auf die Ukraine, Gaskrise, Klimawandel. Sind da einige Dutzend Millionen Steuergelder aus der Vergangenheit nicht sekundär?

Es geht darum, ob in Hamburg rote Linien überschritten wurden, die im Rechtsstaat nicht überschritten werden dürfen. Auch reiche Menschen dürfen mit ihren kriminellen Machenschaften nicht durchkommen. Wenn es doch so ist, bezeichnen wir das in anderen Ländern als Herrschaft von Oligarchen.

Wenn Sie Scholz zur Strecke bringen, scheitert möglicherweise die Bundesregierung in Berlin. Lohnt sich das?

Wir wollen niemanden zur Strecke bringen, sondern Verantwortlichkeiten und Konsequenzen durchsetzen. Olaf Scholz könnte sich ja auch mal proaktiv darum kümmern, dass solche Skandale künftig weniger wahrscheinlich werden. Er könnte von seinem Parteifreund Johannes Kahrs Aufklärung darüber verlangen, woher die 200.000 Euro in bar in dessen Bankschließfach stammen. Die Hamburger SPD könnte die Spenden an Warburg zurücküberweisen, die möglicherweise im Zusammenhang mit Cum-Ex stehen. Und auch heute gibt es noch Cum-Ex-ähnliche Geschäfte – ein Unding. Die Bundesregierung handelt jedoch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • "Finanzexperte Gerhard Schick" hat offenbar den entscheidenden Beweis gefunden für seine Behauptung im großen Meer der nicht vorhandenen Beweise.

    ROFL, sag ich da nur taz & macht Werbung für die Querdenker die mit ebensolchen Hey-Experte-Xyz-hat-gesagt Gedöns hausieren gehen.

  • Wieso reden alle immer über Cum EX?

    Wenn doch bei CUM CUM das vielfache an Schaden entstanden war und scheinbar weiter Schaden ensteht?

    Stand 2021:



    Weiteres Ergebnis der Panorama-Recherchen: Die Bundesregierung scheint sogenannte Cum-Cum-Geschäfte bis heute nicht effektiv zu bekämpfen, obwohl ihr die immensen Verluste, die der Steuerkasse dadurch entstehen, bekannt sind. Namhafte Steuerexperten und Finanzrichter sehen die Verantwortung für den milliardenschweren Steuerdiebstahl auch bei Finanzminister Olaf Scholz und seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble, weil sie jahrelang trotz Warnungen keine Maßnahmen ergriffen haben, um dieses Geschäft endgültig zu unterbinden, wie es in anderen Ländern längst geschehen ist.

    Reicht das nicht für ein Misstrauensvotum wenn der falsche 50er nicht schon selbst zurück tritt?

    Am Ende wird der Skandal der SPD noch so richtig um die Ohren fliegen und dann regiert wieder CDU ... bitter.

    • RS
      Ria Sauter
      @Obscuritas:

      So wird es kommen.



      Jedenfalls nach der nächsten Wahl.



      Die wird auch keine neuen, ehrliche Menschen auf die Posten bringen.



      Nicht nur der rrb ist korrupt bis zum Kragenknöpfchen.

  • Scholz hat derart viele Gedächtnislücken, kann das eine aufkommende Demenz sein?

  • Das Dilemma, das wir alle haben: Wir wissen nicht, was nach Scholz und Habeck kommen könnte, aber schlimmer gehts eigentlich nimmer und 'weiter so' könnte ohne eine ehrliche demokratische Aufarbeitung mit glaubwürdigeren Kandidaten doch noch Putins rechte Verschwörer ins Spiel bringen. Eigentlich sehe ich nur eine saubere Lösung: Bildung einer Notstandsregierung, möglichweise in Verbindung mit einem Volksentscheid, der vorwiegend Fachleute und Wissenschaftler (die waren bisher angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe und der Wirtschaftkrise/Inflation auch viel zu leise!) in die Ämter bringt. Alle Parteien haben versagt, auch die Grünen....

    • @Dietmar Rauter:

      Egal was nach Scholz und Habeck kommt. Die tatsächliche Frage ist, wie kann man dem Fachkräftemangel in der Politk begegnen?

      • @Laughin Man:

        Genau, eigentlich den Laden schließen. Leider bleibt uns in dieser so abstrusen Medienlandschaft nicht mehr so viel Zeit, um Debatten zu führen und die fehlende Ausbildung in korrekte Demokratie so schnell zu fördern. Daher die Notlösung einer Notstandsregierung, bevor Trump oder Putin hier Oberwasser bekommen und uns selbst das Trinkwasser verdunstet.

    • RS
      Ria Sauter
      @Dietmar Rauter:

      Das wäre eine sehr gute und sinnvolle Lösung!



      Wird aber nicht geschehen.



      Diese Politische Farbgebung wird immer noch als zukunftsweisend verkauft.



      Lügen, Betrügereien... nicht so schlimm!

  • 9G
    99397 (Profil gelöscht)

    Sicher ist es reizvoll, Scholz in's Visier zu nehmen, aber mir scheint Tschenscher doch viel interessanter, er konnte vermutlich wesentlich direkter Einfluss nehmen.

  • Das ist doch nur die Spitze des Eisbergs.



    Allerorten nehmen Politiker Einfluss auf Behörden - und das natürlich oft genug des eigenen Vorteils wegen.



    Seien es Baugenehmigungen die gegen Bebauungspläne verstossen, Auftagsvergabe bei Prestigeprojekten, Häufigkeit und Intensität von Steuerprüfungen und und und

    • @Bolzkopf:

      Das ist in Südspanien gang und gäbe, immer noch, obwohl in den letzten Jahren viele Skandale aufgeflogen sind und auch Täter bestraft wurden, die vor allem (aber nicht nur) der konservativen Volkspartei angehörten oder nahestanden. Für Deutschland kann man das so nicht sagen.

  • 9G
    99397 (Profil gelöscht)

    Von diesem Mann die Wahrheit zu erwarten, bezeugt schon eine gewisse Erfahrungs-Verweigerung. Er log schon bei der Finanztransaktionsteuer und dem "Bekenntnis" zu sozialer Gerechtigkeit und dem zum Klimaschutz und dem zum Neuanfang und ...

  • "Wenn Sie Scholz zur Strecke bringen, scheitert möglicherweise die Bundesregierung in Berlin.



    Lohnt sich das?"

    Auf alle Fälle

    Der Pfeffersack-Filzer, der in einem Wahlunfall Kanzler wurde, ist eh eine Fehlbesetzung.

    • @frank:

      Ja genau. Freue mich auf März und auf die Wiederauferstehung von Nachtschattengewächsen wie Spahn, Scheuer, Klöckner.. Vielleicht kommt XChristian Wulf noch dazu, und die Uschi.. Friedhof der Kuscheltiere.

      Nein ganz im Ernst- habe irgendwo gelesen, dass Heil in den Startlöchern stehen soll. Ich find den sympathisch. Er ist unbelastet.



      Ich befürchte nur, dass die Grünen mit der Union wollen..

      • 9G
        99397 (Profil gelöscht)
        @Rasmuss:

        Naja, Heil sympathisch..- wer Seeheimer mag, die von Lebensleistung schwadronnieren, wenn es darum geht, wer möglichst lange für möglichst wenig Geld malocht hat. Mir ist nicht klar, was jemandem, der Scholz und Heil gut findet und sich offenbar auch nichts gegen die Gängelung durch die Friede-den-Palästen-Partei hat, gegen die Union haben kann. Einzelne Personen sind ja nicht so wichtig, oder wollen Sie ernsthaft eine Diskussion zB über die Damenriege Lambrecht, Giffey, Baerbock beginnen ?

        • @99397 (Profil gelöscht):

          Heil ist kein Seeheimer, er ist beim Kreis Netzwerker.



          Ich las grad, dass er Fan der A2010 war. Wie er heute dazu stehe sei unbekannt.



          Ich habe nicht geschrieben, dass ich OS "gut finde". Was war die Alternative- Merz, Laschet?

          Die A2010 hätte grundreformiert werden müssen.



          Die Union wollte es nicht.

  • Das wussten alle seit Beginn des Skandals. Vor der Kandidatur.



    eine hausgemachte Staatskrise.



    Vgl. zum Thema das Buch von Oliver Schröm.

  • Scholz hat gelogen? Schenkelklopfer hoch 3....... Wie sonst wäre er denn Kanzler geworden, ohne die Unterstützung seiner Spezies. So funktioniert Politik nun mal!

  • Erinnerungen können Eigenschaften wie das Wetter haben: Gelegentlich stürmische Unwetter, nicht berechenbar. Manchmal als Donnerwetter zu Beginn, gefolgt von reinigendem Gewitter. Auch Geistesblitze sollen vorkommen. Ungeahnte Kapriolen nicht auszuschließen. Aber das, was mir zur Haltung das Kanzlers in ewig stoischer Gelassenheit einfällt: Im Auge des Taifun ist es still und save. Solange keine Fata Morgana aus den Tiefen des Netzes in Sicht ist, wird wohl alles beim Alten bleiben. Der Bericht kommt dann auch mit Kommentaren ins Archiv.



    //



    taz.de/Der-Papierk...eborenen/!1500787/



    //



    taz.de/Kommentar-E...litikorg/!5221730/



    //



    "Im Herzen des Taifuns kann ein Kind ruhig schlafen" - Asiatisches Sprichwort.