Filmindustrie in Russland: Tscheburaschka rettet das Kino
Ein Held des sowjetischen Trickfilms kommt zurück auf die Leinwand. „Tscheburaschka“ wird zum Kassenschlager.
M ama und ich hatten Tage vorher Tickets gekauft, denn die Kinos waren Anfang Januar immer ausverkauft. Wir saßen auf unseren Plätzen und schauten uns um: Neben Menschen in unserem Alter waren auch viele Kinder im Saal. Ganz offenbar kamen die Erwachsenen aus einer Art nostalgischer Erinnerung an ihre sowjetische Kindheit. Und die Kinder, um einen aktuellen Film zu sehen.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Tscheburaschka ist eine Fantasiefigur sowjetischer Kindergeschichten und Protagonist des neuen, gleichnamigen Films. Das pelzige, liebenswerte Tierchen mit den großen Ohren war 2004 das Maskottchen der Olympiamannschaft Russlands und erlangte damit weltweite Bekanntheit. Kein anderer Film könnte vermutlich Russen mehrerer Generationen im Kino zusammenbringen und dabei ohne Propaganda auskommen.
„Tscheburaschka“ wurde wirklich auf allen Kanälen beworben, und die freien Tage über Neujahr und Weihnachten haben den Hype noch befördert. Aber nur wenige haben mit einem solchen Boom gerechnet: Der Film hat bereits mehr als 5 Milliarden Rubel (mehr als 66,5 Millionen Euro) eingespielt und wurde damit zum größten Kassenschlager in der Geschichte der russischen Filmbranche.
Nach einem Jahr der Stagnation 2022 war das frischer Wind für die Kinos. Einnahmen und Besucherzahlen waren im letzten Jahr um mehr als 40 Prozent eingebrochen. Dabei können Experten nur den „offiziellen Markt“ beurteilen. Den größten Teil der Einnahmen generieren die Kinos jedoch mit der illegalen Vorführung sanktionierter Filme. Das hat ihnen geholfen, sich über Wasser zu halten, obwohl sie immer noch erhebliche Verluste hinnehmen müssen.
Bis zum Ende des Jahres 2022 wurden in Russland 700 Kinos geschlossen. Und wenn man ehrlich ist, dann wird auch „Tscheburaschka“ jetzt nicht das Ruder herumreißen können. Denn bis zum Beginn von Krieg und Sanktionen waren 70 Prozent aller hier gezeigten Filme aus westlicher Produktion, und es ist unmöglich, in Russland jetzt so schnell so viele profitable Filme zu produzieren.
Um die Leinwände mit einheimischem Content zu bespielen, muss der Staat in den nächsten Jahren das Budget für die Filmförderung gewaltig erhöhen. Für dieses Jahr hat das Kultusministerium dafür 11,6 Milliarden Rubel (umgerechnet etwas 155 Millionen Euro) bereit gestellt. Aber die Sache hat einen Haken. Ende letzten Jahres hat das Kultusministerium eine Liste von Filmthemen veröffentlicht, die vorrangig staatlich gefördert werden.
Darunter sind „Verbreitung traditioneller Werte“, „Russlands friedenssichernde Mission“ und „Beförderung des Heldentums russischer Soldaten im Verlauf der militärischen Spezialoperation“.
In der Zwischenzeit gibt es Konkurrenz für „Tscheburaschka“ auf den russischen Leinwänden. Im Januar kam der neue „Avatar“ von James Cameron in die Kinos. Der Film hatte und hat noch immer keine Lizenz in Russland. Die Vorführung von Kopien dieses Films, auch wenn sie qualitativ hochwertig vervielfältigt wurden und den technischen Standards entsprechen, ist illegal. Aber die Kinos zahlen eher Strafe, als auf die Hollywood-Streifen zu verzichten.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Einen Sammelband mit den Tagebuchtexten „Krieg und Frieden“ ist im Verlag Edition fotoTAPETA erschienen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin