Fast 800 offene Haftbefehle: Wo sind all die Neonazis hin?
Es ist ein leichter Rückgang, doch insgesamt steigt die Zahl der gesuchten Rechtsextremen seit Jahren. Die Linke fordert mehr Fahndungsdruck.
Damit liegt die Zahl hinter der vom Herbst 2022, als es 915 offene Haftbefehle gegen 674 Personen aus dem rechten Spektrum gab – der bisherige Höchststand. Bis dahin waren die Haftbefehle über die Jahre immer weiter angestiegen: 2012 lag die Zahl der Gesuchten noch bei 266. Die Zahlen sind Momentaufnahmen zum jeweiligen Stichtag, der halbjährlich abgefragt wird.
Die aktuell offenen Haftbefehle betrafen in 27 Fällen ein politisch motiviertes Gewaltdelikt. Eine terroristische Tat war nicht darunter, auch kein Gefährder war gesucht. 132 weitere Haftbefehle waren offen, weil anderweitig rechte Straftaten verübt wurden, wie Volksverhetzung oder das Verwenden von verfassungswidrigen Kennzeichen. Die restlichen Haftbefehle betrafen Delikte der Allgemeinkriminalität.
Bei 18 Personen gab es Erkenntnisse, dass diese sich in Polen aufhielten, 12 sollen in Österreich gewesen sein und sieben in der Schweiz. Ein Haftbefehl war bereits seit zehn Jahren offen, insgesamt 104 waren es seit immerhin zwei Jahren.
Ministerium beteuert „Nachdruck“ bei Fahndungen
Gestellt wurde die Anfrage von der Linken-Abgeordneten Martina Renner. Sie fordert mehr Anstrengungen, um die gesuchten Rechtsextremen zu fassen. „Der Verfolgungsdruck auf die Szene muss in der Fläche dauerhaft und auch im Ausland erhöht werden“, sagte Renner der taz. Sie erinnerte an die beiden Maßnahmenpakete von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, mit denen diese rechtsextreme Netzwerke zerschlagen und Demokratiefeinde bekämpfen will.
„Konsequentes Vorgehen würde bedeuten, dass das Innenministerium die eigene Priorisierung ernst nimmt und wegen Gewaltdelikten gesuchte Nazis rigoros verfolgt“, betonte Renner. „Frau Faeser wiederholt mantrahaft ihre Maßnahmen und Aktionspläne gegen Rechts und vermeintliche Erfolge. Die Realität aber entwickelt sich in die genau entgegengesetzte Richtung.“ Beim Vergleich auf lange Sicht zeige sich ein deutlicher Anstieg der Zahlen.
Das Innenministerium beteuert in seiner Antwort dagegen, dass in allen Fällen Fahndungsmaßnahmen veranlasst wurden. Bei Gewaltdelikten seien die Fälle auch im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum besprochen worden. Außerdem seien von März 2022 bis September 2023 insgesamt 392 Haftbefehle vollstreckt worden. Das zeige, dass die Polizei die Fahndungen „mit Nachdruck und erfolgreich“ durchführe. Zur gleichen Zeit kamen aber bereits neue Haftbefehle hinzu.
Die Linken-Abgeordnete Renner verwies auch darauf, dass laut Innenministerium zuletzt 244 Haftbefehle gegen 179 Reichsbürger gezählt wurden und 621 Haftbefehle gegen 449 Personen im Bereich „Sonstige Zuordnung“, in die etwa Coronaprotestierende fallen. Zusammen mit diesen Zahlen erhöhe sich die Gesamtzahl der gesuchten Personen aus dem rechten Spektrum „nochmals drastisch“, so Renner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen