Familienmitglieder, die AfD wählen: Warum fühlt er sich so abgehängt?
Die Fronten verhärten sich, auch in Familien. Der Vater, Landwirt in Sachsen-Anhalt, fühlt sich chronisch benachteiligt. Die Tochter macht sich Sorgen.
„Und, was hast du gewählt?“ Diese Frage brannte mir auf der Seele, als ich meinen Vater nach der Europawahl anrief. Die Antwort hatte ich schon befürchtet, doch es schmerzte trotzdem, sie zu hören: „Na das, was alle hier gewählt haben – die AfD.“
Normalerweise würde ich solche Fragen nicht einfach so stellen, aber dieses „hier“, von dem mein Vater spricht, ist Ostdeutschland. In seiner Region in Sachsen-Anhalt haben bei der Europawahl 30,5 Prozent der Menschen die AfD gewählt: Das ist fast jede*r Dritte. Die Stimmung ist geprägt von Unsicherheit, Ängsten vor sozialem Abstieg und Misstrauen gegenüber politischen Eliten, die als weit entfernt und unverständlich empfunden werden.
Mein Vater war nie rechts. Eigentlich war er überhaupt nie richtig politisch. Politik war in unserer ganzen Familie kein großes Thema. Es ging selten um das „Morgen“, sondern immer mehr um das „Jetzt“ – und vielleicht etwas mehr noch ums „Damals“. In der Vergangenheit fühlte mein Vater sich schon immer am wohlsten. Die Erinnerung an Zeiten, in denen er sich sicher und wertgeschätzt fühlte, gibt ihm Halt.
Dabei ist er ein offener Mensch, reist gerne und ist begeisterungsfähig. Stundenlang schaut er Dokumentationen über fremde Länder, träumt von Reisen und anderen Kulturen. Oft spricht er davon, Deutschland zu verlassen, um anderswo ein sorgloses Leben zu führen. Vielleicht steckt dahinter der Wunsch, den eigenen Problemen zu entkommen – Problemen, die er sich oft selbst macht.
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Da staut sich Frust auf
Als Landwirt fühlt er sich chronisch benachteiligt. Die Landwirtschaft war früher eine tragende Säule der Gesellschaft, heute scheint alles gegen seinen Beruf zu sprechen: die Preise, die Anerkennung, die Leistung. Man macht es nie allen recht. Eigentlich macht man es niemandem recht. Da staut sich Frust auf. Ich verstehe das.
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Mein Vater hört gerne Musik. Oft Kuschelrock, Bryan Adams, Melanie C, ABBA. Im Radio, das bei ihm ständig läuft, kommen manchmal Songs von Die Ärzte oder Die Toten Hosen. Er wippt mit, mag die Texte, findet sie witzig, progressiv. Früher schaute er gelegentlich die „heute-show“, und wenn ich ihm Videos aus Jan Böhmermanns „Magazin Royale“ schicke, findet er sie gut. Wie kann jemand, der öffentlich-rechtliche Medien gerne verfolgt und zum Beat von Punk-Bands mitwippt, eine Partei wie die AfD wählen? Das verstehe ich nicht.
Vieles an seiner Wahl fühlt sich für mich falsch an. Nichts scheint so richtig zusammenzupassen. Ich würde so gerne verstehen, doch es fällt mir schwer. Vielleicht liegt es daran, dass sich seine wirtschaftliche und soziale Situation so sehr verändert hat, dass kulturelle Vorlieben und politische Überzeugungen plötzlich auseinanderklaffen.
Etwas in meinem Vater hat sich verändert. Die gelegentlichen politischen Gespräche, die wir früher (anscheinend viel zu selten) führten, kommen plötzlich wieder hoch. Er schickt mir Videos und Fotos von Plakaten, auf denen steht „Wir gendern nicht!“, oder „Mami ist Mami und Daddy ist Daddy“. Nach den Ereignissen beim CSD in Leipzig im August wurde ihm alles „zu bunt“. In seinen endlos langen Nachrichten steht, dass „fremde Menschen unser Sozialsystem ausnutzen“. Sätze wie „Deutschland ist und bleibt das Land der Deutschen!“ sind fett gedruckt.
Soziale Netzwerke verstärken diese Radikalisierung
Seine Argumente sind schwammig, wirken wirr zusammengewürfelt aus diversen Reden, Artikeln und Videos, die man sich im Dorf hin- und herschickt. Das Internet und soziale Netzwerke verstärken diese Radikalisierung: Algorithmen spülen immer mehr einseitige, oft irreführende Informationen in seine Welt.
Wenn ich versuche, dagegen anzugehen, Argumente anzubringen, sogar versuche zu verstehen, dann blockt er ab. Da ist kein Platz für neue Impulse. Die Nachrichten werden immer länger, die Videos immer radikaler, die Quellen immer unseriöser.
Und ich? Ich habe sowieso keine Ahnung. Dafür bin ich mit meinen 26 Jahren ja noch viel zu jung. Zu jung, um zu verstehen, was da gerade passiert. Zu „blauäugig“, zu „Großstadt“. Und sowieso, früher, vor meiner Zeit, hat die Welt noch ganz anders funktioniert. Argumente wie diese machen mich wütend. Wenn ich nur daran denke, brodelt es in mir, ich spüre Trauer und Frust.
Warum aber fühlt er sich so abgehängt? In Gesprächen wird deutlich: Es ist eine Mischung aus Enttäuschung und Entfremdung. Die Politiker, die er früher als „Volksvertreter“ gesehen hat, scheinen jetzt nur noch „eigene Interessen“ zu verfolgen. Niemand will mehr etwas Gutes für „unser Land“ tun. Niemand tut etwas gegen den Krieg. Niemand tut etwas für die Wirtschaft. Nur die AfD scheint das Volk voranzubringen. Nur die AfD sorgt sich um das „gute Deutschland“. Nur die AfD spricht die einfache Sprache meines Vaters.
Vielleicht wäre das der einfache Weg: Diskussionen meiden
Vielleicht ist es auch ein „Ich“-Problem. Wäre es nicht einfacher, gar nicht mehr mit ihm über Politik zu sprechen? Und was wäre der Preis dafür? Schweigen? Ignoranz? Vielleicht wäre das der einfache Weg: ihm aus dem Weg gehen, die Diskussionen meiden.
Doch wie lange würde ich das Schweigen aushalten? Kann ich ihn noch lieben, wenn er gegen all das ist, was mir so wichtig ist? Demokratie, Freiheit, Gleichheit für alle – Werte, die für mich unverhandelbar sind. Kann ich jemandem nahe sein, der mit seiner Wahl all das infrage stellt?
„Warum schmerzt mich seine Wahl so sehr?“ Diese Frage beschäftigt mich fast täglich. Es tut weh zu wissen, dass jemand, den ich liebe, sich bewusst für eine Partei entschieden hat, die alles ablehnt, wofür ich stehe. Es ist, als wäre eine unsichtbare Mauer zwischen uns aufgestiegen, die immer größer wird.
Und dann ist da noch diese Wut, die sich mit der Angst vermischt, dass nicht nur mein Vater den Verstand verloren hat, sondern so viele andere Menschen auch. Menschen, die von allen verurteilt werden, und zwar zu Recht. Menschen, mit denen eigentlich niemand etwas zu tun haben will – auch ich nicht. Doch ich muss, er ist ja mein Vater. Oder?
Als würden unsere Worte aneinander vorbeirauschen
Vielleicht liegt die Lösung in der Suche nach gemeinsamen Themen außerhalb der Politik. Verbindungen, die nicht nur über politische Überzeugungen, sondern über gemeinsame Interessen und Werte funktionieren. In Momenten, in denen es um Menschlichkeit geht, um das, was uns verbindet, könnte ein Brückenschlag gelingen. Vielleicht. Aber kann ich das?
Ich habe oft versucht, mit ihm darüber zu reden, ihm zu erklären, warum ich die AfD für gefährlich halte. Doch es ist, als würden unsere Worte aneinander vorbeirauschen. Er hört zu, nickt, scheint vielleicht sogar zu verstehen. Doch am Ende bleibt er bei seiner Wahl. Unsere Gespräche enden oft in Frustration. „Kennst du überhaupt das Parteiprogramm?“, frage ich ihn. „Das gibt’s ja nur noch im Internet. Damit komme ich nicht klar“, lautet seine Antwort. Eine Ausrede? Eine Schutzbehauptung?
Es scheint, als habe er Angst, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Angst davor, zu erkennen, dass diese Partei keine echte Alternative bietet. Stattdessen verschließt er die Augen davor, setzt sein Kreuz an der falschen Stelle und schaut weiterhin fragwürdige Videos auf Youtube (wo man übrigens auch das Parteiprogramm der AfD findet). Es ist bitter, dass mein Vater das für richtig hält. Ich schäme mich dafür.
Es tut weh, zu akzeptieren, dass jemand, den man liebt, Entscheidungen trifft, die man nicht versteht. Diese Ohnmacht, nichts ändern zu können, lähmt mich. Vielleicht sollte ich ihm diesen Text schicken. Vielleicht sollte ich aufhören, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Vielleicht liegt die Lösung nicht im ständigen Diskutieren, sondern im Zuhören und Verstehen. Ihm zu zeigen, dass seine Sorgen ernst genommen werden, ohne dabei seine destruktiven politischen Ansichten zu unterstützen. Ein Balanceakt, der viel Geduld und Liebe erfordert. Liebe, die ich vielleicht gar nicht mehr in mir trage. Geduld, die längst erschöpft ist.
Vielleicht wird er irgendwann verstehen. Oder vielleicht wird er es nie tun, und ich werde lernen müssen, damit zu leben. Denn, was bleibt mir anderes übrig?
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