Facebook löscht rechtsextreme Konten: Schädliche „Querdenker“
Facebook löscht erstmals 150 Accounts wegen rechtsextremer Inhalte. So lobenswert der Schritt ist, so sehr kann er nur ein Anfang sein.
Politiker:innen fordern schon lange die Betreiber sozialer Netzwerke dazu auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und volksverhetzende und andere strafbare Inhalte schnellstmöglich zu entfernen. Nun hat Facebook weltweit erstmalig knapp 150 Konten und Gruppen auf seinen Plattformen gelöscht, die der Internetkonzern der umstrittenen „Querdenker“-Bewegung zuordnet.
Der Internetkonzern Facebook hat ein neues Verfahren entwickelt, um weltweit „schädliche Netzwerke“ von seiner Plattform zu verbannen, so die Mitteilung. Facebook-Sicherheitsmanager Nathaniel Gleicher stellt klar, dass die „Querdenker“-Bewegung aus Sicht des Internetkonzerns eine „koordinierte Schädigung der Gesellschaft“ (Coordinated Social Harm) hervorrufe und deswegen aus dem Netzwerk entfernt wurde.
Außerdem warf Gleicher den „Querdenkern“ vor, in koordinierter Weise wiederholt gegen die Standards von Facebook verstoßen zu haben. „Hierzu zählen die Veröffentlichung von gesundheitsbezogenen Falschinformationen, Hassrede und Anstiftung zur Gewalt.“ Die Aktion richtet sich gegen Konten auf Facebook und Instagram. Nicht betroffen ist der Chatdienst WhatsApp, der ebenfalls zum Facebook-Konzern gehört.
Auch von der Sperrung betroffen ist der Account des Stuttgarter „Querdenken“-Gründers Michael Ballweg. Seit 2020 organisiert er Protestaktionen gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, woraus sich die „Querdenken“-Bewegung gründete. Ballweg ist auch der Inhaber der Wortmarke „Querdenken-711“. Auch die Facebook-Seite von „Querdenken-711“ mit über 30.000 Abonnenten wurde gesperrt. Laut Ballweg habe die Seite allerdings nur Inhalte zu den Themen Grundrechte und Meinungsfreiheit verbreitet. Man habe sich bereits in den vergangenen Monaten mehrfach gegen ungerechtfertigte Löschungen rechtlich zur Wehr setzen können, sagte er der dpa.
Offensichtlich sehen sich nur die „Querdenker:innen“ selbst als harmlos. Bei vergangenen Demonstrationen in verschiedenen Städten kam es zu Angriffen auf Polizisten und Medienvertreter. Verschiedene Landesverfassungsschutzämter beobachten die Bewegung, und das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sie als „Sammelbeobachtungsobjekt“ im Visier – ähnlich wie beim Salafismus.
Problem „alternativer Netzwerke“
Facebook hat bei seiner Aktion nicht nur Konten und Gruppen gesperrt, sondern auch eine Liste von Webseiten der „Querdenker“ identifiziert, die auf Facebook nicht länger verlinkt werden können: „Wir haben Verlinkungen auf Domains der Querdenken-Bewegung von unserer Plattform entfernt.“ Das „schädliche Netzwerk“ sei von Personen betrieben worden, die mit Gewalt außerhalb der Plattform und anderen „sozialen Schäden“ in Verbindung gebracht würden.
An diesen koordinierten Kampagnen seien in der Regel authentische Nutzer beteiligt. „Das sind keine Fake-Profile, sondern echte Menschen, die sich organisieren, um systematisch gegen unsere Richtlinien zu verstoßen und Schaden auf oder außerhalb unserer Plattform anzurichten“, sagte Gleicher.
Michael Ballweg kündigte bereits an, gegen die Löschung rechtlich vorzugehen. Ende Mai hatte die Videoplattform Youtube den Kanal „Querdenken-711“ gelöscht. Damals warf ein Google-Sprecher der Gruppierung vor, gegen die Youtube-Richtlinien für Fehlinformationen verstoßen zu haben. Ballweg bestritt die Vorwürfe damals. Die Konsequenz der Bewegung: sie wolle auf eine dezentrale Alternative zu Youtube ausweichen. Seitdem setzt die Bewegung auf Peertube, eine Software, mit der man selbst Plattformen zur Veröffentlichung von Videos und Streams betreiben kann.
Und damit nennt man das Problem eigentlich schon beim Namen: „alternative“ Netzwerke. Denn ja, es ist gut, dass Facebook endlich massiver gegen rechte Hetze und Falschmeldungen vorgeht. Mittlerweile arbeitet das Unternehmen beispielsweise mit externen Faktencheckern zusammen. Journalisten von den Nachrichtenagenturen AFP, dpa und vom Recherchenetzwerk Correctiv sind damit beschäftigt, Meldungen zu überprüfen, die über Algorithmen bei ihnen aufschlagen. Doch es ziehen eben nicht alle mit.
Extremisten fühlen sich enorm frei
Die Plattform Telegram sowie die Software Peertube werben damit, dezentral, frei und transparent zu sein. Allerdings fühlen sich dort mittlerweile auch Extremisten enorm frei, denn die Plattformen löschen selbst hetzerische Inhalte nicht.
Nun ist dieses Phänomen technisch recht einfach zu erklären, denn Telegram fällt nicht unter das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, laut dem rechtswidrige Inhalte vom Seitenbetreiber innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde gelöscht oder gesperrt werden müssen. Das Gesetz gilt bisher nur für soziale Netzwerke, nicht für Messengerdienste. Wenn also ein rassistischer Post auf Facebook, Youtube und Twitter gelöscht wird, können die Verfasser einfach zu Telegram wechseln und dort ihre Inhalte veröffentlichen.
Damit ist die Aktion von Facebook zwar lobenswert, doch sie kommt auch (wieder) einmal sehr spät. Die Forderung, gegen Hetze im Netz vorzugehen, steht schon seit Ewigkeiten im Raum. Reagiert wird viel zu langsam. So sperrten Twitter und Facebook Donald Trump erst nach den Sturm auf das Kapitol – dabei hätte es doch womöglich frühere Gelegenheiten gegeben. Gleiches gilt für die „Querdenken“-Bewegung, die nun wirklich nicht erst seit gestern rechtsextremistische Inhalte verbreitet.
Doch auch die politischen Mühlen mahlen viel zu langsam. Während es Jahre gedauert hat, die Big Player in die Verantwortung zu nehmen, haben sich längst neue Player etabliert. Das Tempo muss also dringend erhöht werden, ansonsten hinken wir als Gesellschaft einfach immer hinterher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite