Extinction Rebellion weltweit: Globaler Ungehorsam beginnt
In Städten auf der ganzen Welt protestieren AktivistInnen gegen den Klimakollaps. Sie blockieren, besetzen, stellen sich tot – noch eine Woche lang.
Der Student Harshad Tambe macht sich auch am Montag auf zur ehemaligen Milchkolonie Aarey, wo der Stadtwald wächst. „Die Leute dürfen nicht einmal dort stehen, geschweige denn protestieren“, beschwert er sich. Ein Haufen Lügen ist über Aarey veröffentlicht wurden, sagt auch der Umweltschützer und Aktivist Zoru Bhathena, der gerichtlich klagte.
Doch am Freitag wurde Aarey abgesprochen, ein Wald zu sein. Noch am gleichen Abend begangen die Behörden mit der Rodung, die massive Proteste auf dem Aarey-Gelände auslöste. „Die Lage war einfach nur hässlich“, sagt Tambe.
Auch Extinction Rebellion, mittlerweile in vierzehn indischen Städten aktiv, unterstützt die Proteste. Am Sonntag legten sich AktivistInnen in zwölf indischen Städten stumm und regungslos auf den Boden öffentlicher Plätze. „Die-In“ nennt sich diese Aktionsform. Schon nach zwanzig Minuten löste die Polizei, die seit den Aarey-Demonstrationen besonders gereizt reagiert, die Aktion auf. So wie in vielen Städten weltweit plant Extinction Rebellion für diese Woche aber weitere Aktionen.
Paris: Der Irrweg des Wirtschaftssystems
In Paris besetzten Mitglieder von Extinction Rebellionen am Sonntag das Einkaufszentrum „Italie 2“. In kleinen Gruppen gelang es ihnen unbemerkt in die weitläufige Shopping-Anlage zu gelangen. „Dieser Ort ist ein Symbol für den Irrweg unseres wirtschaftlichen Systems“, erklärte eine Beteiligte. Auch einige AktivistInnen der „Gilets jaunes“ und anderer Gruppen waren gekommen, um die Aktion zu unterstützen. In einer halsbrecherischen Kletterübung gelang es, an der Fassade Spruchbänder zu befestigen.
Nach einigen Stunden traf die Polizei beim Einkaufszentrum ein. Sie zögerte zunächst, gegen die gewaltlos Protestierenden vorzugehen. Die Bilder einer unverhältnismäßig brutalen Intervention der Ordnungskräfte bei einer früheren XR-Demonstration auf einer Pariser Brücke sind vielen noch in guter Erinnerung. Ganz Frankreich konnte vor den Bildschirmen beobachten, wie ein Polizeioffizier die TeilnehmerInnen eines friedlichen Sit-ins aus direkter Nähe mit einem Tränengasspray attackierte.
Gegen 21 Uhr erhielt das Polizeikommando den Räumungsbefehl. Die BesetzerInnen aber hielten dem Tränengas Stand, und die Beamten, die sich nicht erneut wegen Polizeigewalt anprangern lassen wollten, zogen wieder ab. Am frühen Montagmorgen verließen dann die AktivistInnen von sich aus das Einkaufszentrum – mit dem Versprechen, in den kommenden Tagen erneut das Aufsehen ihrer Landsleute auf sich ziehen zu wollen.
Santiago und Madrid: Sterben für den Klimaschutz
Um Aufsehen kämpfen KlimaaktivistInnen auch in Chile, wo im Dezember die weltweite Klimakonferenz COP25 stattfindet. Trotzdem ist der Klimawandel noch immer kein öffentlichkeitswirksames Thema. Um darauf aufmerksam zu machen, fielen am Sonntag im Zentrum der Hauptstadt Santiago rund 40 KlimaaktivistInnen wie tot um. Allerdings wusste kaum jemand der sonntäglichen SpaziergängerInnen mit dem Aufdruck „#XRChile“ auf den T-Shirts der symbolischen Toten etwas anzufangen. Eindeutiger war dann die Forderung nach der Ausrufung des Klimanotstands.
In Madrid blockierten die Klimarebellen am Montag ab 8 Uhr morgens den Verkehr vor den Ministeriumsgebäuden auf dem Paseo de la Castellana, einer der Hauptverkehrsadern der spanischen Hauptstadt. Hunderte, meist junge Menschen nahmen an der gewaltfreien Aktion teil, zu der sie sich im Vorfeld online eingeschrieben hatten.
Sie beklagten die „verbrecherische Untätigkeit der Regierung angesichts der klimatischen Notlage“. Eine Sprecherin von Extinction Rebellion verlangte „die sofortige Ausrufung des klimatischen Ausnahmezustands“, „Drastische Maßnahmen gegen den Klimawandel“ sowie „echte Demokratie mit Instrumenten, mit deren Hilfe die Bürger die Klimapolitik überwachen“ könnten. Die DemonstrantInnen stellten ein Boot auf der Straße quer – als Symbol für den steigenden Meeresspiegel, der zunehmend die spanische Küste bedroht.
Die DemonstrantInnen errichteten auch ein Protestcamp vor den Toren des „Ministeriums für den ökologischen Umbau“, wie das Umweltministerium heißt, seit der Sozialist Pedro Sánchez vor etwas mehr als einem Jahr an die Regierung kam. „Wir brauchen eine gesellschaftliche Mobilisierung angesichts der fehlenden Maßnahmen durch die Regierung“, erklärte der ehemalige Chef von Greenpeace-Spanien und derzeitige Parlamentsabgeordnete der linksalternativen Unidas Podemos, Juan López de Uralde. Er hatte vor wenigen Wochen mit Erfolg eine Abstimmung über den klimatischen Ausnahmezustand ins Parlament eingebracht. Allerdings folgten daraus keinerlei Maßnahmen, da Spanien mittlerweile vor vorgezogenen Neuwahlen steht.
London und Sydney: Blockaden und Festnahmen
Das Protestcamp soll erst einmal bestehen bleiben. Ob die Polizei, die in großer Zahl vor Ort ist, das dulden wird, ist unklar. An anderen Orten gehen die Beamten tatkräftig gegen die AktivistInnen vor. Nur Stunden nach Beginn des Klimaprotests hat es in London bereits 20 Festnahmen gegeben. Bereits im April waren bei den weitgehend friedlichen Demonstrationen mehr als 1.100 Anhänger der Bewegung in der britischen Hauptstadt festgesetzt worden. Die AktivistInnen gehen davon aus, dass die Proteste dieses Mal in London noch deutlich größer sein werden als im Frühjahr.
Auch in mehreren australischen Städten blockierten DemonstrantInnen Straßen. In Sydney nahm die Polizei 30 Menschen fest, die sich geweigert hatten, eine Straße nahe dem Hauptbahnhof zu räumen. Ziel sei es, die Regierung dazu zu bringen, entschlossenere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, sagte die Aktivistin Miriam Robinson der australischen Nachrichtenagentur AAP. Die Gruppe habe sich bei den Menschen für die Unannehmlichkeiten entschuldigt. „Aber das ist nichts im Vergleich zu den Unannehmlichkeiten, die uns erwarten, wenn uns Nahrung und Wasser ausgehen“, fügte sie hinzu. Deshalb geht der Protest weiter – an vielen Orten. (mit dpa)
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