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Expertin über Muslimfeindlichkeit„Nicht leicht, Mus­li­m*in zu sein“

Über Mus­li­m*in­nen wird oft im Kontext von Problemen berichtet. Das führt zu Diskriminierung, sagt Saba-Nur Cheema vom Expertenkreis Muslimfeindlichkeit.

Saba-Nur Cheema Foto: privat
Frederik Eikmanns
Interview von Frederik Eikmanns

taz: Frau Cheema, Sie sind Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM), der jetzt seinen Bericht vorgelegt hat. Was steht drin?

Saba-Nur Cheema: Mus­li­m*in­nen erfahren in Deutschland in nahezu allen Lebensbereichen Benachteiligung und Diskriminierung. Wir sprechen hier nicht nur von einzelnen Anfeindungen oder Beschimpfungen, sondern von alltäglicher, struktureller Ausgrenzung und von verbalen Angriffen bis hin zur Gewalt. Es ist nicht leicht, in Deutschland Mus­li­m*in zu sein.

Wie äußert sich das konkret?

Nehmen wir als Beispiel den Bereich Bildung. Muslimische Schülerinnen und Schüler sind häufig mit negativen Fremdzuschreibungen konfrontiert. Muslimische Jungs werden etwa oft als gewaltbereit und aggressiv angesehen. Ein sexistischer Kommentar von ihnen wird durch Lehrkräfte schnell kulturalisiert, also durch ihre Kultur erklärt. Bei nicht-muslimischen Jungs wird das in der Regel als individuelle Äußerung interpretiert, die nicht auf Herkunft oder Religion zurückzuführen sei. Muslimischen Mädchen wird dagegen oft zugeschrieben, unterdrückt, naiv und machtlos zu sein.

Im Interview: Saba-Nur Cheema

ist 36 Jahre alt, Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Seit 2020 ist sie eines von insgesamt 12 Mitgliedern des Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, der die Bundesregierung beim Kampf gegen Antimuslimischen Rassismus beraten soll

Woher kommen solche Zerrbilder?

Eine der Studien, die wir in Auftrag gegeben haben, hat über 700 Schulbücher untersucht. Muslime und der Islam kommen nur vor, wenn es um die Kreuzzüge, Sexismus oder um Terrorismus geht. Muslimfeindlichkeit hingegen wird in den wenigsten problematisiert. Das betrifft nicht nur das Schulmaterial, sondern auch öffentliche Diskurse in Zeitungen und im Fernsehen.

Die Medien sind schuld?

Sie spielen zumindest eine Rolle. Es geht um sogenanntes Framing: Wie werden Mus­li­m*in­nen dargestellt? In welchen Kontexten kommen sie zu Wort? Unser Bericht zeigt, dass über Mus­li­m*in­nen vor allem im Zusammenhang mit Problemen berichtet wird, dann etwa, wenn es um mangelnde Integration, Terror oder Frauenverachtung geht. Das betrifft nicht nur konservative und rechte, sondern auch linksliberale Medien.

Wo und wann führt antimuslimischer Rassismus zu Gewalt?

Ereignisse wie die Hetzjagd in Chemnitz 2019, der Anschlag in Hanau 2020, aber auch häufige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen geschehen nicht im luftleeren Raum. Wenn eine Partei wie die AfD, die offen gegen Mus­li­m*in­nen hetzt, nunmehr von einem Fünftel der Bevölkerung unterstützt wird, gibt es mehrere Gründe zur Sorge. Diese antimuslimische Stimmung gibt potenziellen Tätern Rückenwind, da sie das Gefühl bekommen, von einem großen Teil der Gesellschaft unterstützt zu werden.

Bisher haben wir über einzelne Aspekte von antimuslimischem Rassismus gesprochen. Ihr Bericht versteht sich aber als eine Art Gesamtbilanz zum Thema. Wie sind Sie vorgegangen?

Unser Bericht basiert auf empirischen Daten und fasst den wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammen. Wir haben uns sowohl auf Untersuchungen gestützt, die es schon gab, als auch weitere Studien in Auftrag gegeben. Gleichzeitig ist eines unserer Ergebnisse, dass wir mehr Forschung benötigen, um das Ausmaß von Muslimfeindlichkeit besser zu erfassen.

Wie unterscheidet sich antimuslimischer Rassismus von anderen Spielarten des Menschenhasses?

Muslimfeindlichkeit ist als eine Spielart von Rassismus zu verstehen, die auf ähnlichen Strukturen und Mustern basiert wie Hass gegen andere Gruppen, etwa gegen Schwarze Menschen oder Sinti und Roma. Jedoch wird in dieser spezifischen Form eine Religion rassifiziert und kulturalisiert: Menschen werden aufgrund äußerer Merkmale als Muslime markiert, auch wenn sie nicht religiös sind, und mit Attributen wie gefährlich, rückständig und integrationsunwillig beschrieben.

In Ihrem Bericht gibt es ein eigenes Kapitel zum Verhältnis von antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus. Was hat es damit auf sich?

Darin beschäftigen wir uns mit der Debatte um Parallelen zwischen beiden Phänomenen. Immer wieder wird die These geäußert, es erginge den Mus­li­m*in­nen heute so wie den Jü­d*in­nen in Deutschland vor 1933. Dieser Vergleich verkennt grundlegende Unterschiede. Die Ideologien funktionieren anders. Antisemitismus ist vor allem der Hass auf „die da oben“, Rassismus hat dagegen eher ein herablassendes Element, es geht um eine vermeintliche Überlegenheit gegenüber „denen da unten“. Und die Situation heute ist eine ganz andere als Anfang des 20. Jahrhunderts, als es ja gesellschaftlich anerkannt und normal war, sich selbst als antisemitisch zu bezeichnen.

Gleichzeitig nutzen etwa AfD-Politiker*innen gern den Vorwurf, Mus­li­m*in­nen seien besonders antisemitisch …

Natürlich gibt es auch Antisemitismus unter Muslim*innen. Dennoch ist dieser Vorwurf der AfD nicht aus Sorge für Jü­d*in­nen zu erklären, sondern durch den Wunsch, Mus­li­m*in­nen pauschal zu diffamieren und auszugrenzen. Kurz gesagt: Die AfD instrumentalisiert Jüd*innen, um eine antimuslimische Agenda zu legitimieren. Studien zeigen deutlich, dass gerade AfD-Politiker*innen antisemitische Codes häufiger benutzen und unter ihrer Wäh­le­r*in­nen­schaft antijüdische Positionen überproportional verankert sind.

Gibt es antimuslimischen Rassismus von links?

In vielen linken Kreisen gilt Religion als etwas, was die Gesellschaft überwinden muss. Das ist eine legitime Weltanschauung, doch gibt es auch jene Linke, die ihre religionskritische Haltung nur am Islam abarbeiten. Der Islam wird dabei als besonders große Bedrohung dargestellt, als rückständig und demokratiefeindlich. Diejenigen, die eine solche Haltung vertreten, haben große Schnittmengen mit antimuslimischen Parolen von rechts.

Es war ausgerechnet der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der 2020 den Ex­per­t*in­nen­kreis ins Leben rief, dem Sie angehören. Seehofer ist nicht gerade für Sensibilität beim Thema Rassismus bekannt. Hatte das Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Wir sind ein unabhängiges Gremium und haben entsprechend gearbeitet. Es gab auch keine Versuche von der Seite der Politik, unsere Arbeit zu beeinflussen.

Seehofer hat insbesondere Po­li­zis­t*in­nen immer wieder vor dem Vorwurf in Schutz genommen, dass sie rassistisch gegenüber Mus­li­m*in­nen seien. Welche Erkenntnisse zu Rassismus bei der Polizei stecken in Ihrem Bericht?

Antimuslimische Feindbilder sind in der Polizei weit verbreitet. So sind beispielsweise fast 30 Prozent der befragten Po­li­zis­t*in­nen in Hessen besorgt, dass Deutschland ein islamisches Land werden könne. Als jemand, die in Hessen lebt, frage ich mich schon, wie sich diese Haltung im polizeilichen Alltag äußert – und auch intern. Erst vergangene Woche wurde der Fall eines Polizisten in Frankfurt bekannt, der aufgrund seines arabischen Vornamens von seinen Kollegen rassistisch gemobbt und ausgegrenzt wurde.

Wie hat sich die Lage verändert, seit Seehofer und die Große Koalition abgetreten sind?

Als positiv kann man bewerten, dass diese Regierung mit Reem Alabali-Radovan eine Antirassismusbeauftragte hat. Dennoch bleibt zu sehen, wie ernst das Anliegen des Berichts genommen wird. Dass die Bundesinnenministerin Nancy Faeser doch keine Zeit in ihrem Kalender für die Vorstellung des Berichts gefunden hat, wirft für mich Fragen auf.

Was müsste denn passieren, damit es besser wird?

Wir haben klare Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung formuliert. Zuerst braucht es mehr Bewusstsein in Politik und staatlichen Behörden dafür, dass antimuslimischer Rassismus ein reales Problem ist – beispielsweise mithilfe von Sensibilisierungsmaßnahmen für angehende Be­am­t*in­nen. Zudem empfehlen wir die Gründung eines Sachverständigenrates und ei­ner*­ei­nes Bundesbeauftragten, um das Problem nachhaltig zu bekämpfen.

Außerdem sollten Beschwerde- und Monitoring-Stellen ausgebaut werden. Der Kultusministerkonferenz empfehlen wir, die Lehrpläne und Schulbücher zu überarbeiten: stereotypische Darstellungen von Mus­li­m*in­nen zu korrigieren und Muslimfeindlichkeit als Problem zu adressieren. Wir empfehlen, dass Muslimfeindlichkeit in den Kodex des Deutschen Presserats aufgenommen wird. Und es ist wünschenswert, dass Mus­li­m*in­nen öffentlich sichtbarer werden und beispielsweise stärker in Schlüsselpositionen vertreten sind.

Ist Letzteres nicht oft nur eine kosmetische Verbesserung?

Klar: Nur weil mehr muslimische Jour­na­lis­t*in­nen berichten, ändert sich nicht automatisch etwas an muslimfeindlichen Diskursen in den Medien. Aber es bringt Potenzial für Veränderungen mit sich. All unsere Handlungsempfehlungen funktionieren im Zusammenspiel. Mehr Monitoringstellen ändern ja auch nichts, wenn nicht gleichzeitig Fortbildungen zur Sensibilisierung des Phänomens angeboten werden. Bessere Schulbücher bleiben wirkungslos, wenn das Lehrpersonal nicht sensibler mit dem Thema umgeht als bisher. Es braucht ein Gesamtkonzept.

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6 Kommentare

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  • "Natürlich gibt es auch Antisemitismus unter Muslim*innen."

    Und damit belässt man das unschöne Nachfragen dann auch.

    Auf die AfD zu zeigen ändert überhaupt nichts am Antisemitismus in der eigenen Community. Dass die AfD ein Freund der Juden in Deutschland sei, behauptet außer den 13 Leuten von Juden in der AfD niemand. Dazu gibt es inzwischen verschiedene Studien.

    www.zdf.de/nachric...d-umfrage-100.html

    Erst heute gab es wieder einen Übergriff in Frankfurt.

    "An der Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle im Frankfurter Ostend hat es am Donnerstagvormittag einen antisemitischen Übergriff gegeben. Die Opfer waren Jüdinnen und Juden, die derzeit zu Besuch in Frankfurt sind. Die 25-köpfige Gruppe nimmt an einem Programm der Stadt teil, das sich an Jüdinnen und Juden richtet, deren Eltern und Großeltern in Frankfurt lebten. An der Großmarkthalle besichtigten sie die Gedenkstätte für die aus Frankfurt deportierten Menschen.

    Wie die Stadt mitteilte, ging der Angriff von einer Gruppe Jugendlicher aus. Sie hätten erst verbale Einschüchterungsversuche unternommen. Laut Polizei rief einer der Täter „Allahu akbar“ und warf dabei eine gefüllte Plastikflasche, mit der er nur knapp den Kopf einer Besucherin verfehlte. Später habe er die Frau um Entschuldigung gebeten und sich dann entfernt."

    www.fr.de/frankfur...furt-92373069.html

  • Der Begriff antimuslimisch verbrämter Rassismus oder etwas ähnliches wäre mir deutlich lieber. Als Kind in einer "bibeltreuen" Familie aufgewachsen, empfinde ich es problematisch, den Focus auf die Religion zu legen. Die "Empfindsamkeit" oder "Empfindlichkeit" von Religiösen, wenn sie ihren Glauben oder ihre Gottheit beleidigt, geschmäht oder angegriffen wähnen, ist gefährlich und schlägt gerne mal vom "beleidigt sein" in Gewalt um.



    Solidarität mit den Menschen - ja,



    Solidarität mit Religiösität und vor allem mit ihrer demonstrativen Zurschaustellung - nein

    • @fazleser:

      Finde ich gut. Gerade deshalb sollte der Begriff "Muslimfeindlichkeit" verwendet werden - und nicht "Islamfeindlichkeit". Denn geschützt werden müssen Menschen - und nicht eine Religion! Die darf (gewaltfrei) in einem demokratischen Staat immer verteidigt oder auch abgelehnt werden, gleich ob es sich um das Christentum, den Islam o.a. handelt.

  • Gut, dass das thematisiert wird.



    Aber Experte muss man dafür nicht sein, man muss sich doch nur das Schweigen der westlichen Regierungen zur Koranverbrennung in Schweden anschauen. Das ist systemisch, wenn nicht systematisch.

    Schaut man sich dann die Unterrepräsentanz von Muslimen in den Medien an, im Vergleich zu anderen, erheblich kleineren Religionsgemeischaften, läuft man schnell Gefahr, verunglimpft zu werden.



    Oder mit dem Kommentar hier nicht durchzukommen.



    Was ich ebenfalls als systemisch muslimfeindlich einstufen würde.

    • @Tripler Tobias:

      Von welcher erheblich kleineren Religionsgemeinschaft sprechen Sie?

  • Deutschland hat sich gewandelt - es gibt viel weniger soetwas wie eine homogene Mehrheitsgesellschaft, die als fremd empfundene Menschen ablehnt. Die "neue Realität" geht eher dahin, dass sich in einer vielfältigen Gesellschaft viele Gruppen gegenseitig ablehnen und misstrauen. Muslime bilden auch keine kleine Minderheit mehr, eher schon eine der vielen neuen Mehrheitsgruppen. Natürlich bilden real nicht alle Muslime eine Gruppe, aber das gilt für alle anderen Gruppen auch - je nach gesellschaftlicher Frage gibt es dann Schulterschlüsse oder nicht. In obersten gesellschaftlichen Führungspositionen sind Muslime (besonders solche, für die der Islam ein sehr großes oder auch dominierendes Identitätsmerkmal ist) sicher extrem unterrpräsentiert - aber das gilt für viele andere gesellschaftliche Gruppen auch. Gesellschaftliche Führungspositionen sind noch stark "biodeutsch" geprägt (bezüglich Herkunft, mehr noch aber bezüglich des Wertesystems/Weltbilds - salopp gesagt sind assimilierte "Fremde" bisher schneller aufgestiegen), aber die Dynamik steht hier von alleine auf Veränderung - schon rein demografisch.

    Es scheint mir vollkommen legitim, dass Menschen sich in Gruppen zusammentun und versuchen ihr Gewicht in der Gesellschaft zu erhöhen - das geht aber, wie gesagt, nicht nur Muslimen so, sondern vielen Gruppen. Ich würde das dominierend nicht als Diskrimierungsproblem sehen (was es sicher auch gibt), sondern als allgemeine Aufgabe in vielfältigen und sich (schnell) ändernden Gesellschaften ein Gleichgewicht zwischen den verschiedensten Gruppen, ihren Interessen, ihrem gesellschaftlichen Anteil etc. zu finden. Das ist eine riesige Aufgabe mit sehr hohem Frustrationspotenzial - aber eben nicht nur für Muslime.