Eskalation in Nahost: Iran feuert nach israelischem Großangriff Raketen auf Israel
Als Reaktion auf einen beispiellosen Großangriff der israelischen Armee hat der Iran am Freitagabend dutzende Raketen auf Israel abgefeuert.

Am Abend schrillten in ganz Israel die Alarmsirenen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, sich in Schutzräume zu begeben, rund eineinhalb Stunden später gab die Armee dann vorerst Entwarnung.
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Nach Angaben eines israelischen Armeesprechers feuerte der Iran „dutzende“ Raketen Richtung Israel ab. Im Himmel über Jerusalem waren Detonationen zu hören, wie AFP-Journalisten berichteten. Über der Küstenstadt Tel Aviv waren Rauchwolken zu sehen. Der Rettungsdienst Magen David Adom meldete sieben Verletzte nach einem mutmaßlichen Raketeneinschlag im Zentrum Israels. Die israelische Feuerwehr berichtete von mehreren „schweren“ Zwischenfällen.
Der Iran hatte zuvor bereits Drohnen in Richtung Israel abgefeuert. Nach israelischen Angaben wurden die meisten der rund hundert Drohnen außerhalb des israelischen Staatsgebiets angefangen.
Einer der größten Militäreinsätze Israels
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach von „einem der größten Militäreinsätze“ in der Geschichte seines Landes. Er rief die Menschen im Iran in einer Videobotschaft dazu auf, sich gegen das „böse und unterdrückerische Regime“ in Teheran zu erheben.
WO LIEGEN DIE IRANISCHEN ATOMANLAGEN? Das iranische Atomprogramm erstreckt sich über viele Standorte. Obwohl die Gefahr israelischer Luftangriffe seit Jahrzehnten besteht, sind nur einige der Anlagen unterirdisch angelegt.
HAT DER IRAN EIN ATOMWAFFENPROGRAMM? Die USA und die Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen IAEA gehen davon aus, dass der Iran über ein koordiniertes, geheimes Atomwaffenprogramm verfügt hat, das er 2003 stoppte. Die Führung in Teheran bestreitet, jemals ein solches Programm gehabt zu haben oder dies zu planen.
Im Gegenzug für die Aufhebung internationaler Sanktionen im Rahmen des Atomabkommens mit sechs Staaten aus dem Jahr 2015 stimmte der Iran Beschränkungen seiner Atomaktivitäten zu. Diese Vereinbarung zwischen dem Iran, den USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland scheiterte jedoch 2018. Damals stiegen die USA unter Trumps erster Präsidentschaft aus dem Abkommen aus und verhängten wieder Sanktionen gegen den Iran. Dieser begann ein Jahr später wie angekündigt damit, gegen die Beschränkungen zu verstoßen – insbesondere bei der Urananreicherung.
ERHÖHT DER IRAN SEINE URANANREICHERUNG? Ja. Der Iran hat sein Urananreicherungsprogramm nach dem Scheitern des Atomabkommens von 2015 ausgeweitet. Die sogenannte Breakout-Time, die benötigt wird, um genügend waffentaugliches Uran für eine Atombombe zu produzieren, hat sich auf wenige Tage oder etwas mehr als eine Woche verkürzt. Unter dem Abkommen von 2015 betrug die Zeit mindestens ein Jahr. Tatsächlich würde der Bau einer Bombe aus diesem Material aber länger dauern. Wie lange, ist weniger klar und Gegenstand von Debatten.
Der Iran reichert derzeit an zwei Standorten Uran auf eine Reinheit von bis zu 60 Prozent an, das ist nahe an den 90 Prozent, die für Waffen benötigt werden. Theoretisch verfügt der Iran nach einem Maßstab der IAEA über Material, das – falls es weiter angereichert würde – für sechs Bomben reichen würde.
NATANS: Natans steht im Zentrum des iranischen Anreicherungsprogramms. Der Komplex befindet sich auf einer Ebene zwischen Bergen, außerhalb der den Schiiten heiligen Stadt Ghom und südlich von Teheran. Natans beherbergt mehrere Anlagen, darunter zwei Anreicherungsanlagen: die riesige unterirdische Brennstoffanreicherungsanlage (Fuel Enrichment Plant, FEP) und die oberirdische Pilotbrennstoffanreicherungsanlage (Pilot Fuel Enrichment Plant, PFEP).
Eine iranische Oppositionsgruppe, die sich im Exil aufhält, erklärte 2002, der Iran errichte heimlich den Komplex Natans. Dies führte zu einem diplomatischen Patt zwischen dem Westen und dem Iran über dessen Atomabsichten, das bis heute anhält.
Die FEP wurde für die Anreicherung im kommerziellen Maßstab gebaut und bietet Platz für 50.000 Zentrifugen. Derzeit sind dort rund 16.000 Zentrifugen installiert, von denen etwa 13.000 in Betrieb sind und Uran auf eine Reinheit von bis zu fünf Prozent raffinieren.
Diplomaten mit Kenntnissen über Natans zufolge liegt die FEP etwa drei Stockwerke unter der Erde. Es wird seit langem darüber diskutiert, wie viel Schaden israelische Luftangriffe dort anrichten könnten. An den Zentrifugen der FEP kam es auch auf andere Weise zu Schäden, unter anderem durch eine Explosion und einen Stromausfall im April 2021, die laut Iran auf einen Angriff Israels zurückzuführen waren.
Die oberirdische PFEP beherbergt nur mehrere Hundert Zentrifugen, doch der Iran reichert dort Uran auf eine Reinheit von bis zu 60 Prozent an.
FORDOW: Auf der gegenüberliegenden Seite von Ghom befindet sich Fordow, eine in einen Berg gegrabene Anreicherungsanlage, die daher wahrscheinlich besser vor möglichen Bombardierungen geschützt ist als die FEP. Das Atomabkommen von 2015 erlaubte dem Iran die Anreicherung in Fordow überhaupt nicht. Dort sind nun rund 2000 Zentrifugen in Betrieb, die meisten von ihnen moderne IR-6-Maschinen. Bis zu 350 davon reichern bis zu 60 Prozent an.
Die USA, Großbritannien und Frankreich erklärten 2009, der Iran baue Fordow seit Jahren heimlich und habe die IAEA nicht informiert. US-Präsident Barack Obama sagte damals: „Größe und Konfiguration dieser Anlage sind mit einem friedlichen Programm unvereinbar.“
ISFAHAN: Der Iran verfügt am Stadtrand von Isfahan, seiner zweitgrößten Stadt, über ein großes Zentrum für Nukleartechnologie. Es umfasst eine Anlage zur Herstellung von Brennelementen und eine Uranumwandlungsanlage, in der Uran zu Uranhexafluorid verarbeitet werden kann, das in Zentrifugen eingespeist wird.
Diplomaten zufolge lagert der Iran in Isfahan auch angereichertes Uran. In Isfahan gibt es Anlagen zur Herstellung von Uranmetall, ein Verfahren, das besonders relevant für die Verbreitung von Atomwaffen ist, da es zur Herstellung des Kerns einer Atombombe verwendet werden könnte.
Die IAEA erklärte, in Isfahan gebe es Maschinen zur Herstellung von Zentrifugenteilen und bezeichnete es im Jahr 2022 als „neuen Standort“.
CHONDAB: Der Iran verfügt über einen teilweise fertiggestellten Schwerwasser-Forschungsreaktor, der ursprünglich Arak hieß und heute Chondab genannt wird. Schwerwasserreaktoren bergen ein Risiko für die Verbreitung von Atomwaffen, da sie leicht Plutonium produzieren können, das wie angereichertes Uran zum Bau des Kerns einer Atombombe verwendet werden kann.
Im Rahmen des Abkommens von 2015 wurde der Bau gestoppt, der Reaktorkern entfernt und mit Beton verfüllt, um ihn unbrauchbar zu machen. Der Reaktor sollte umgestaltet werden, „um die Plutoniumproduktion zu minimieren und im Normalbetrieb kein waffentaugliches Plutonium herzustellen“. Der Iran hat der IAEA mitgeteilt, dass er plant, den Reaktor 2026 in Betrieb zu nehmen.
FORSCHUNGSZENTRUM TEHERAN: Zu den iranischen Atomforschungsanlagen in der Hauptstadt Teheran gehört ein Forschungsreaktor.
BUSCHEHR: Buschehr ist das einzige noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk des Landes und liegt an der Küste des Persischen Golfes. Dort wird russischer Brennstoff verwendet, den Russland nach Verbrauch zurücknimmt. Dadurch wird das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen verringert. (rtr)
Die israelische Armee habe ranghohe Militärs und Atom-Wissenschaftler in Iran sowie „die wichtigste Anreicherungsanlage“ des Landes und „einen großen Teil seines ballistischen Raketenarsenals ausgeschaltet“, sagte Netanjahu und fügte hinzu: „Es wird noch mehr kommen.“ Israels Armeechef Ejal Samir erklärte, der Einsatz werde „mit voller Kraft und in großer Geschwindigkeit“ fortgesetzt.
Im Zuge des Großangriffs „Rising Lion“ (sich erhebender Löwe) hatten am frühen Morgen israelische Kampfflugzeuge Ziele in der iranischen Hauptstadt Teheran, die Atomanlage Natans und mehrere Militäranlagen im Iran bombardiert. In Natans wurden unterirdische Anlagen zur Urananreicherung angegriffen, laut iranischem Staatsfernsehen wurde der Großteil des Schadens jedoch nur an der Oberfläche angerichtet.
Auch Atomanlagen wurden zerstört
Später meldete das israelische Militär einen Angriff auf die Atomanlage in der iranischen Stadt Isfahan. Dabei seien „eine Anlage zur Herstellung von metallischem Uran, Infrastruktur zur Umwandlung angereicherten Urans, Labore und weitere Infrastruktur zerstört worden“.
Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) meldete Teheran außerdem einen Angriff auf die Atomanlage Fordo. Die iranische Atomorganisation erklärte jedoch, dort und in Isfahan seien lediglich kleinere Schäden entstanden.
Bei den israelischen Angriffen wurden der iranische Armeechef Mohammed Bagheri und der Chef der mächtigen Revolutionsgarden, Hussein Salami, getötet. Das israelische Verteidigungsministerium erklärte, auch fast der gesamte Führungsstab der Luftwaffe der Revolutionsgarden sei „während einer Sitzung in ihrem unterirdischen Hauptquartier neutralisiert“ worden. Nach Angaben der israelischen Armee hatten sich die Kommandeure dort versammelt, „um einen Angriff auf den Staat Israel vorzubereiten“.
Am Freitagabend waren erneut Explosionen in Teheran und Umgebung zu hören, wie iranische Medien berichteten. Im Nordwesten des Iran wurden bei israelischen Angriffen nach Angaben von Staatsmedien 18 Menschen getötet.
Israel begründete seinen „Präventivschlag“ gegen den Iran mit dem weit fortgeschrittenen iranischen Atomprogramm. Die Islamische Republik habe sich bei ihrem Atomprogramm einem „unumkehrbaren Punkt“ genähert, erklärte die israelische Armee. Geheimdienstinformationen hätten Beweise dafür geliefert, dass Teheran inzwischen „Uran auf militärisches Niveau anreichern“ und „innerhalb kurzer Zeit eine Atomwaffe“ bauen könne.
Iran wertet den Angriff als „Kriegserklärung“
Die Angriffe richteten sich auch gegen Atomforscher. Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Tasmin wurden sechs Wissenschaftler getötet. Iranische Staatsmedien berichteten, auch Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, seien bei den Angriffen getötet worden, 95 weitere Menschen seien verletzt worden.
Irans Außenminister Abbas Araghtschi bezeichnete den israelischen Angriff als „Kriegserklärung“. Er wies nach Angaben seines Ministeriums Aufrufe an den Iran zurück, „angesichts der israelischen Aggression Zurückhaltung zu üben“. Das geistliche Oberhaupt des Iran, Ali Chamenei, drohte Israel mit massiver Vergeltung. Die Folgen des israelischen Angriffs würden das Land „in den Ruin“ treiben, sagte er in einer Fernsehansprache.
In Washington hieß es, die USA seien an dem israelischen Vorgehen nicht beteiligt gewesen. Trump forderte den Iran zu einem „Deal“ auf und warnte vor weiteren israelischen Angriffen, die „noch brutaler sein werden“.
Israel sieht seine Existenz seit langem durch den Iran bedroht. Die westlichen Staaten werfen Teheran vor, den Bau von Atomwaffen anzustreben. Ein internationales Abkommen zur Eindämmung des iranischen Atomprogramms aus dem Jahr 2015 hat keine Gültigkeit mehr.
International löste Israels Vorgehen größte Besorgnis aus. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) rief die Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf und warnte vor einer Destabilisierung der gesamten Region. Auch Länder wie Saudi-Arabien, China und die Türkei warnten vor einer Eskalation.
Der russische Präsident Wladimir Putin verurteilte den israelischen Angriff auf den Iran. In einem Telefonat mit Netanjahu bot Putin nach Kreml-Angaben an, „Vermittlungsarbeit zu leisten“, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Der UN-Sicherheitsrat sollte noch am Freitag auf Antrag Teherans zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.
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