Erklärung zur Atomkraft: Brauchen wir das oder kann das weg?

Pechblende, Thermosensibilität und eine politische Debatte: Fünf Fragen und Antworten zur weiteren Notwendigkeit von Atomstrom in Deutschland.

Plaaktte mit Sicherheitshinweisen im Kernkraftwerk

Sicherheitshinweise im Reaktorgebäude des AKW Isar2 in Essenbach bei Landshut Foto: Sebastian Beck/SZ Photo

1. Brauchen wir den Strom aus AKWs?

In der Jahresbilanz wird der Atomstrom längst von der Windkraft und auch von der Photovoltaik übertroffen. Unter den stetig verfügbaren Quellen erzeugte auch die Biomasse im ersten Halbjahr 2022 bereits mehr Strom als die Atomkraft. Zugleich überschritt die Menge des exportierten Stroms knapp die Erzeugung der deutschen Atomkraftwerke. Bilanziell hätte sich Deutschland also auch ohne die Reaktoren in den letzten sechs Monaten selbst versorgen können.

Allerdings lag auch die Stromerzeugung aus Erdgas im zurückliegenden Halbjahr höher als jene aus Uran. Das nährt Forderungen, die noch laufenden Reaktoren länger am Netz zu lassen, um im kommenden Winter Erdgas zu sparen. In erster Linie wird nun ein sogenannter Streckbetrieb diskutiert, um verbleibende Brennstoffreserven noch über den Jahreswechsel hinaus zu nutzen.

Das betrifft speziell den Block Isar 2; bei den anderen beiden Reaktoren, Emsland und Neckarwestheim 2, ist in dieser Hinsicht nicht mehr viel zu holen.Dass eine Laufzeitverlängerung der drei bestehenden Reaktoren zudem nur wenig Gas­einsparung brächte, hatten kürzlich zwei verschiedene Studien ergeben.

Aufgrund der Funktionsweise des grenzüberschreitenden Strommarkts würde nämlich ein Teil der Mehr­erzeugung ins Ausland abfließen, so die Simulationen. Ein anderer Teil würde im Inland vor allem Kohlekraftwerke aus dem Markt drängen. Gaskraftwerke hingegen könnten nur geringfügig ersetzt werden – und am Ende würde durch eine Laufzeitverlängerung der Gasverbrauch in Deutschland nur um rund 1 Prozent sinken.

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2. Was ist mit den drei Reaktoren, die Ende 2021 abgeschaltet wurden?

Ihre Reaktivierung wird gelegentlich als Option diskutiert, doch ernsthafte Überlegungen dieser Art gibt es nicht. Kürzlich hatte Joachim Bühler, Präsidiumsmitglied des TÜV-Verbands, zwar gesagt, die betreffenden drei Kraftwerke befänden sich nach Überzeugung seines Verbands „in einem sicherheitstechnischen Zustand, der es möglich machen würde, sie wieder ans Netz zu nehmen“.

Auf Rückfrage musste der Verband dann allerdings einräumen, er könne, anders als nach einer Untersuchung im März, keine aktuellen Aussagen mehr zu den einzelnen Reaktoren machen. Über den Fortschritt der Still­le­gungs­arbei­ten, die unterschiedlich stark fortgeschritten seien, sei man im Detail nämlich nicht informiert.

Öffentliche Kritik ließ nach den Aussagen des TÜV nicht lange auf sich warten. Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin sagte, nicht einmal die Betreiber behaupteten noch, diese drei Kraftwerke würden dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Trittin stellte zugleich die gutachterlichen Qualitäten des TÜV infrage. Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND sprach von „Voreingenommenheit“ des TÜV.

3. Ein AKW fahren kann nicht jeder. Gibt es überhaupt genug Spezialisten, um die Kraftwerke weiterzubetreiben?

Zu den „Hürden, die einen Weiterbetrieb erschweren“ zählt das Öko-­Institut in der Tat auch die mangelnde Personalverfügbarkeit. Denn natürlich braucht man für den Weiterbetrieb der Anlagen geschultes und geprüftes Betriebspersonal.

„Um einen Betrieb über das bisher festgelegte Datum vom 31. 12. 2022 hinaus durchführen zu können, müssten somit erneut die notwendigen Prüfungen vom Personal abgelegt werden“, schreibt das Öko-Institut in seinem Blog. Für neues Personal sei sogar eine mehrjährige Fachkundeausbildung notwendig. Zugleich hätten auch die atomrechtlichen Genehmigungsbehörden und ihre Gut­ach­ter­organisationen ihr Personal reduziert, somit fehle auch hier Fachpersonal.

4. Es wird nun viel über die Brennelemente gesprochen. Was ist das, und haben wir noch genug davon?

Am Anfang stehen Uranmineralien, zum Beispiel Pechblende, ein Uran­oxid. Daraus wird das radioaktive Metall Uran herausgelöst und ­chemisch ausgefällt; es entsteht der sogenannte Yellow Cake. Da in diesem Natururan-Pulver das leicht spaltbare Uran 235 nur einen Anteil von 0,71 Prozent hat, was für eine atomare Kettenreaktion in den klassischen Leichtwasserreaktoren nicht ausreicht, muss es angereichert werden.

Bei diesem Prozess wird in leistungsstarken Zentrifugen so viel schwer spaltbares Uran 238 abgetrennt, bis man den Gehalt an Uran 235 auf 3 bis 4 Prozent erhöht hat. In Deutschland geschieht das in der Urananreicherungsanlage in Gronau, die vom Atomausstieg nicht umfasst ist. Bei den Zentrifugen handelt es sich um Gas­zentrifugen, deswegen muss das Uranoxid zuvor in gasförmiges Uran­hexa­fluorid umgewandelt werden.

Nach der Anreicherung wird das Uran­hexa­fluorid wieder zu Uranoxid umgewandelt und zu Pellets gepresst. Indem diese in ein Hüllrohr gefüllt werden, entsteht ein Brennstab. Je nach Reaktortyp bilden zum Beispiel 64 oder 236 Brennstäbe ein Brenn­ele­ment. Und ebenfalls unterschiedlich je nach Reaktortyp benötigt man mehrere hundert Brenn­ele­mente. Eine letzte Brenn­ele­men­te­fa­brik – einst gab es weitere in Hanau – gibt es in Deutschland noch in Lingen.

Nach Zahlen der Euratom Supply Agency kamen zuletzt rund 20 Prozent des in der EU eingesetzten Natururans aus Russland, weitere 19 Prozent aus Kasachstan, das lange zu den engsten Verbündeten Russlands gehörte. Auch bei der Uranverarbeitung ist Russland stark vertreten: 26 Prozent des angereicherten Urans, das in die EU-Reaktoren geht, kommt aus Russland. Für die ost­europäischen Reaktoren russischer Bauart ist Russland sogar der ­einziger Anbieter von Brennelementen.

Die Brennelemente müssen für jeden Reaktortyp individuell gefertigt werden, weshalb allgemeine Angaben zu Lieferzeiten schwer zu machen sind. Zuletzt wurden überwiegend Fristen von 12 bis 18 Monate genannt.

5. Viele französische Atomkraftwerke stehen derzeit still. Brauchen wir die AKWs, damit in Paris das Licht nicht ausgeht?

Deutscher Strom hilft Frankreich derzeit, seine aufgrund der Knappheit extrem hohen Strommarktpreise etwas zu dämpfen. Das geschieht aufgrund der Funktionsweise des europäischen Strommarkts. In Zeiten, in denen in Deutschland der Strom billiger ist als in Frankreich, kauft Frankreich bei uns Strom. Sind die Preisrelationen umgekehrt, fließt der Strom in die Gegenrichtung.

In Frankreich war der Strom im Großhandel zuletzt deutlich teurer als in Deutschland. Während am Spotmarkt in Deutschland die Kilowattstunde seit Jahresbeginn im Mittel 20 Cent kostete, waren es in Frankreich 25 Cent.

Entsprechend kam es zu Exporten. Dadurch erhöht sich der Preis im Exportland aufgrund des damit dort verringerten Angebots, zugleich sinkt umgekehrt der Preis im Importland wegen der zusätzlich verfügbaren Menge. Gäbe es unbegrenzte Übertragungskapazitäten an den Grenzkuppelstellen, würde stets so viel Strom exportiert, bis sich die Strompreise in den Nachbarländern angleichen – einfache Marktlogik.

Im Moment hat Frankreich technische Probleme mit vielen Reaktoren seiner Flotte. Hinzu kommt fehlendes Kühlwasser. Ähnlich ergeht es übrigens auch der Schweiz, wo der Reaktor Beznau seine Leistung reduzieren musste, weil der Fluss Aare zu warm ist. Auch die Schweiz bezieht per Saldo derzeit Strom aus Deutschland.

In Frankreich droht im Winter das nächste Problem. Weil es in Frankreich so viele Stromheizungen gibt, schnellt der Stromverbrauch bei Kälte dort in die Höhe. In der Stromwirtschaft gibt es den Begriff der Thermosensibilität. Dieser Kennwert gibt an, in welchem Maße der Stromverbrauch eines Landes steigt, wenn es um 1 Grad kälter wird. Obwohl die Einwohnerzahl in Frankreich etwas geringer ist als in Deutschland, liegt dieser Wert bei den Franzosen 4,5-mal so hoch wie bei uns – das macht ein Strom­system bei Kälte verwundbar.

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