Erdoğan gewinnt Wahl in der Türkei: Knapp über die Ziellinie
Recep Tayyip Erdoğan gewinnt gegen Kemal Kılıçdaroğlu. Dem Herausforderer gelingt ein Achtungserfolg. Aber war er der falsche Kandidat?
Dennoch ist es ein großer Achtungserfolg für Kılıçdaroğlu, den ihm noch vor einigen Wochen kaum jemand zugetraut hatte. Schaut man sich die Ergebnisse im Einzelnen an, hat Kılıçdaroğlu gegenüber dem ersten Wahlgang noch einmal deutlich zugelegt. Während Erdoğan rund 2 Prozentpunkte zulegen konnte, verbesserte sich Kılıçdaroğlu um rund 4 Prozentpunkte.
Schaut man auf die politische Landkarte der Türkei, hat die Stichwahl die Ergebnisse aus dem ersten Wahlgang im Wesentlichen bestätigt. Wie vor 14 Tagen siegte die Opposition überall entlang der Mittelmeer- und der Ägäisküste, sowie in den Metropolen Istanbul und Ankara. Dazu kamen die kurdisch dominierten Provinzen im Südosten.
Erdoğan hat dagegen wie zuvor an der Schwarzmeerküste und im Nordosten des Landes und in Zentralanatolien gewonnen. Die Spaltung des Landes ist noch einmal vertieft worden. Dazu kommen die Stimmen aus dem Ausland. Die WählerInnen in Deutschland und Österreich haben entscheidend mit dafür gesorgt, dass Erdoğan die Wahl noch einmal gewinnen konnte.
Trotzdem, der Lack ist ab, bei dem türkischen Langzeitpräsidenten. Nur mit dem Einsatz aller staatlichen Ressourcen, einer infamen Denunziationskampagne gegen Kılıçdaroğlu, der Behauptung, er sei der von Gott unterstützte Anführer des Landes und dem Einsatz einer politischen Justiz, konnte er sich noch einmal knapp über die Ziellinie retten.
Viele Menschen aus der Opposition sind überzeugt, dass Erdoğan gegen den populären Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu, den er rechtzeitig vor den Wahlen durch einen politischen Prozess aus dem Rennen genommen hat, wahrscheinlich verloren hätte.
Doch nach den Wahlen ist wie immer vor den nächsten Wahlen. Im Frühjahr kommenden Jahres stehen die Kommunalwahlen an. Kemal Kılıçdaroğlu hat in Istanbul 51,5 Prozent der Stimmen geholt, in Ankara fast genauso viele. Es spricht viel dafür, dass die Opposition ihre Stellung in den Großstädten dann noch weiter ausbauen kann. Erdoğan bleibt zwar Präsident, aber nur von dem eigentlich längst abgeschlagenen Teil des Landes.
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