Energiewende in der Landwirtschaft: Unten Gemüse, oben Solardächer
Die doppelte Nutzung von Wiesen und Äckern könnte Agrarwesen und Stromproduktion fördern. Bisher gibt es aber nur wenig Agri-Photovoltaik.
Solverde ist eine Genossenschaft, der Bürger:innen beitreten können, die beispielsweise im Umkreis der Anlagen wohnen. Eine Verzinsung der Einlagen von2 bis 4 Prozent pro Jahr wird versprochen. Projekte betreibt Solverde etwa in Lüptitz bei Leipzig und im baden-württembergischen Donaueschingen.
In Sachsen sind die langen Reihen der Solarmodule von Ost nach West schwenkbar, um der Sonne zu folgen. In den etwa zehn Meter breiten Zwischenräumen sät ein Landwirt Weißklee, der unter anderem Honigbienen als Nahrung dient. In Baden-Württemberg hat Solverde die PV-Zellen senkrecht fest montiert. Zwischen den Reihen wächst eine Magerwiese. Heu und Silage liefern Tierfutter. Zusätzlich beweidet manchmal eine Schafherde das Gelände.
Daneben existieren weitere Varianten der Agri-PV. Im niedersächsischen Lüchow hat der Kräuter- und Gemüseproduzent Steinicke eine aufgeständerte Anlage bauen lassen. Unter den Solarmodulen in sechs Metern Höhe können die Landmaschinen übers Feld fahren. Insgesamt gibt es hierzulande aber erst wenige Projekte. Die meisten sind Forschungsvorhaben von Instituten und Hochschulen.
Nicht für alle Äcker geeignet
Bundestag und Bundesrat haben nun kürzlich das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023 beschlossen – damit unter anderem die Flächen ausgeweitet, die für die Kombi-Produktion von Energie und Agrarerzeugnissen zur Verfügung stehen dürfen.
Der Deutsche Bauernverband und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands (BUND) äußerten sich grundsätzlich positiv. „Feldfrüchte und Grünland unter Strom sind gut für unsere Energieversorgung und eröffnen der Landwirtschaft neue Geschäftsfelder“, erklärte Thüringens Umwelt- und Energieministerin Anja Siegesmund (Grüne), als kürzlich die Fachhochschule Erfurt dem Land ein gigantisches Potenzial bescheinigte.
Gleichzeitig gab es aber auch Kritik. So sah der BUND Thüringen die Artenvielfalt in der Landwirtschaft in Gefahr. Und der Bauernverband des Landes beklagte den Mangel an leistungsfähigen Leitungen auf dem Land, was die Nutzung des Solarstroms erschwere. Agrarexperten weisen darauf hin, dass manche Pflanzen mit der Doppelnutzung nicht zurechtkommen: Etwa Mais braucht viel Licht, keinen Schatten.
Die Vorteile der Agri-Photovoltaik liegen grundsätzlich im riesigen Angebot sauberen Stroms. 1.700 Milliarden Watt zusätzliche Leistung von Agrarflächen seien möglich, errechnete das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Strommangel würde damit hierzulande nicht mehr herrschen. Aber man muss auch realistisch bleiben: Tatsächlich ausgeschöpft würde vermutlich nur ein kleiner Teil dieses Potenzials.
Einen zweiten Vorteil kann man an den Solverde-Projekten beobachten. Sie sind so konstruiert, dass sie wegen ihrer Ost-West-Ausrichtung „auch vormittags und nachmittags“ viel Solarstrom liefern, sagt Firmeningenieur Kögler. Heute dagegen fließt noch die meiste Solarenergie mittags, weil der größte Teil der Solaranlagen, beispielsweise auf Hausdächern, fest in Südrichtung installiert ist. Agri-PV kann die Stromerzeugung besser über den Tag verteilen.
Und drittens können sich Vorteile aus der Kombination von Energie- und Pflanzenproduktion ergeben. Manche Kulturen wachsen gut auch an eher schattigen Orten, etwa Winterweizen, Kartoffeln, Sellerie und Schnittlauch. Die Solardächer können die Austrocknung des Bodens bei Hitze verlangsamen. Und von ihrem Schutz gegen zerstörerischen Hagel und Starkregen mögen Obstbäume und Weinreben profitieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid