Energiewende in Niedersachsen: Potential noch nicht ausgeschöpft

In Niedersachsen hat ein Forschungsprojekt Potentialflächen für Photovoltaik ausgewiesen. Doch es hakt vor allem am Netzanschluss.

Eine Photovoltaik-Anlage zwischen Ackerflächen

Müssten teilweise nur noch ans Netz genommen werden: Photovoltaik-Anlagen in Niedersachsen Foto: Matthias Schrader/ap

Am Boden wachsen Kräuter, darüber sollen Solarmodule Strom für die Energiewende produzieren: Die Firma Steinicke in Lüchow würde ihre Agrophotovoltaikanlage gerne ans Stromnetz anschließen. Der landwirtschaftliche Betrieb warte aber bereits seit dem Frühjahr auf eine entsprechende Zertifizierung, wie das Unternehmen mitteilt. Die ein Hektar große Anlage im Nordosten Niedersachsens steht dabei sinnbildlich für die Stoßrichtung und die Probleme der Solarindustrie in Deutschland.

Als saubere und kosteneffiziente Technologie zur Stromerzeugung sei die Photovoltaik zur Umsetzung der Klimaziele unverzichtbar, sagt Carsten Körnig vom Bundesverband Solarwirtschaft: „Der stärkere Ausbau von Photovoltaikanlagen ist deshalb unerlässlich.“

Um geeignete Freiflächen für PV-Anlagen in Niedersachsen auszuweisen, haben die Universität Hannover und das Institut für Solarenergieforschung in Hameln im Auftrag der Landesregierung zwei Jahre gemeinsam geforscht. Das Projekt „Inside“ analysierte die topografischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in allen Teilen Niedersachsens.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen unterscheiden in ihrem Bericht zwischen vier Kategorien, die das Potenzial für PV-Anlagen einordnen sollen: geringer, mittlerer, hoher und sehr hoher Raum­widerstand. Hindernisse wie Wälder, intensive Landwirtschaften oder Naturschutzgebiete erschweren den Ausbau der Photovoltaik. Dagegen werden Grünlandflächen oder ertragsarme Ackerflächen explizit als Potenzialflächen mit geringem Widerstand ausgewiesen. Diese machten rund 13 Prozent der Landesfläche Niedersachsens aus. Die Ergebnisse sind in Form von Karten für Gemeinden frei zugänglich. Sie sollen die Entscheidung und die Installation von Solar­anlagen vereinfachen.

Daneben verweist auch Körnig auf die Kombination aus PV-Anlagen, landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz. So könne auch „zwischen den Modulreihen einer PV-Anlage neuer Lebensraum für gefährdete Pflanzen und Tiere“ entstehen.

Die Energiewende hakt an den Genehmigungen

Trotz der wissenschaftlichen Erkenntnisse kommt die Energiewende vielerorts aber nur langsam voran: In Niedersachsen, wie in ganz Deutschland, hakt gerade die Inbetriebnahme von Photovoltaikanlagen. Grund dafür seien in vielen Fällen die ausstehenden Zertifizierungen, die gleichbedeutend mit einer Betriebserlaubnis sind, wie der Landtagsabgeordnete Martin Bäumer von der mitregierenden CDU sagt. „Es kann nicht sein, dass aufgrund formaler und bürokratischer Hürden weiterhin Gas aus den Speichern entnommen wird, während saubere erneuerbare Energien nicht genutzt werden“, sagt Bäumer.

Tatsächlich hat sich die Zertifizierung von PV-Anlagen in den vergangenen Jahren erschwert, was unter anderem mit bundesrechtlichen Reformen zusammenhängt. Diese führten 2019 dazu, dass die Schwelle, ab welcher Anlagen eine offizielle Zertifizierung benötigen, von einem Megawatt auf 135 Kilowatt abgesenkt wurde, wie Körnig sagt: „Daher betrifft die Zertifizierung nun eine viel höhere Anzahl an Anlagen.“

Jorid Meya vom niedersächsischen Umweltministerium verweist deshalb auf die Zuständigkeit des Bundes. Laut Meya wurde vom Ministerium bereits eine Anhebung der Schwelle gefordert.

Dieser Forderung setzte das Bundeswirtschaftsministerium Ende Juli eine Übergangsregelung entgegen: Zertifizierungsstellen dürfen bis Dezember 2025 Zertifikate mit der Auflage erteilen, „dass noch fehlende Nachweise innerhalb von 18 Monaten nachzureichen sind“, wie Susanne Ungrad vom Wirtschaftsministerium sagt. PV-Anlagen bis 950 Kilowatt dürften dadurch schon jetzt vorläufig ans Netz angeschlossen werden.

Wie sich diese Übergangsregelung auf die Inbetriebnahme auswirke, könne der Bundesverband Solarwirtschaft noch nicht abschätzen. So wie der Firma Steinicke erging es aber bislang vielen Betreiber:innen. „Die Wartezeiten dauern teilweise bis zu einem Jahr“, wie Körnig bereits im vergangenen Jahr in den Medien sagte. Das führe bislang dazu, dass viele Be­trei­be­r:in­nen unterhalb der Zertifizierungsschwelle von 135 Kilowatt blieben. Ob die Energiewende durch die Übergangsregelung des Wirtschaftsministeriums beschleunigt werden kann, bleibt fraglich. Denn der Zertifizierungsstau ist damit nicht vom Tisch – er ist nur aufgeschoben.

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