Energiewende in Kriegszeiten: Ukraine setzt auf Erneuerbare
In dem von Russland angegriffenen Land wünschen sich viele mehr Unabhängigkeit von fossilen Importen. Und es passiert auch etwas.
Die Forscher schätzen, dass zwei Drittel der klimaschädlichen Emissionen des Krieges (insgesamt 21,9 Millionen Tonnen CO2) von Treibstoff für russische Militärfahrzeuge, Jets und Hubschrauber verursacht wurde, fast ein Viertel durch ukrainische Jeeps und Panzer, der Rest durch explodierende Munition, weiteres Militärgerät oder durch den Bau von Festungsanlagen.
Es könnten viel weniger Emissionen sein, findet Olga Bojko, Koordinatorin des Ukrainischen Klimanetzwerks. Europa müsse dafür endlich aufhören, von Russland fossile Energieträger zu kaufen, sagt sie zur taz. „Das Geld, mit dem Russland weiterhin Waffen kauft, stammt unter anderem aus dem Export fossiler Brennstoffe. Die EU war nicht nur in hohem Maße von russischem Gas abhängig, sie kauft nach wie vor Kohle und Öl aus Russland.“ Wenn die Welt auf klimafreundliche Energien umsteige, seien Kriege weniger wahrscheinlich, ist sich Bojko sicher.
In der Ukraine ist ein Eintreten für den Umstieg auf Erneuerbare längst nicht mehr nur eine Forderung der relativ kleinen Ökoszene. Viele wollen weg von fossilen Energieträgern. Das liegt nicht nur daran, dass man die kriegsbedingten klima- und umweltschädlichen Emissionen von Militärfahrzeugen oder auch brennenden Objekten senken will. Die Nutzung von Erneuerbaren verringert vor allem die Abhängigkeit von anderen Ländern wie Russland.
Lokales Engagement
Auf lokaler Ebene gibt es in dem Land trotz der täglichen Angriffe tatsächlich Fortschritte in der Klimapolitik. „Gemeinden und Gebietskörperschaften setzen vielerorts Maßnahmen wie die Isolierung von Schulen und Krankenhäusern oder die Versorgung kritischer Infrastruktur mit erneuerbarer Energie direkt um“, berichtet Oleh Savytskyi, Kampagnenmanager der Umweltorganisation Razom We Stand, der taz.
Dutzende Initiativen und Hunderte von Gemeinden machten mit, weil es im Krieg nütze und weil es nachhaltig sei, sagt Savytskyi – er sieht aber auch „noch erhebliches Wachstumspotenzial“.
Allerdings fehle es der Zentralregierung unter den aktuellen Bedingungen „nicht nur an qualifiziertem Personal, sondern auch an einem strategischen, systematischen Ansatz, die notwendigen Reformen konsequent umzusetzen“, meint Savytskyi. „Es ist inzwischen klar, dass das für die Entwicklung und Umsetzung der Klimapolitik zuständige Ministerium für Umweltschutz seiner Verantwortung nicht gerecht wird und nicht in der Lage ist, eine Koordinierung mit anderen staatlichen Stellen herzustellen, um die notwendigen Veränderungen zu bewirken.“
Dezentral ist sicherer
Dabei seien die Aufgaben klar, so Savytskyi. Die Ukraine müsse die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern, Energieeffizienzmaßnahmen wie Gebäudedämmung umsetzen und kleine, dezentrale erneuerbare Stromerzeugungsanlagen bauen. Außerdem müsse die Energie-Infrastruktur dezentralisiert werden – ein dezentrales Stromnetz sei weniger anfällig für Raketenangriffe. Wichtig ist für Savytskyi auch die energetische Modernisierung von Industriebetrieben und die Umstellung des Agrarsektors auf Ökoproduktion.
Alles Maßnahmen, die die Ukraine auch dem EU-Beitritt und dem Ziel des Europäischen Green Deal näher bringen können, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Trotz Umsetzungsproblemen: Die Erkenntnis, dass die Ukraine wegkommen muss von fossilen Energieträgern, ist auch in der Regierung angekommen.
Am 20. und 21. September findet in Kiew und Den Haag gleichzeitig ein Nachhaltigkeitsforum statt, bei dem es um die Frage geht, wie die Ukraine auf eine nachhaltige Energiewirtschaft umsteigen kann. Teilnehmen werden unter anderem mehrere ukrainische Ministerien, die Europäische Bank für Wiederaufbau und die deutsche staatliche Entwicklungsorganisation GIZ. Thema: eine grüne Strategie für die Ukraine für die nächsten 20 Jahre.
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