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Ende Gelände über Verfassungsschutz„Das ist ein krasser Zustand“

Der Verfassungsschutz stuft Ende Gelände als linksextremen Verdachtsfall ein. Die Sprecherin der Organisation, Jule Fink, kritisiert die Entscheidung.

Protestaktion gegen den Abriss des Dorfes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier 2021 Foto: Jochen Tack/imago
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

wochentaz: Jule Fink, fühlen Sie sich überwacht?

Jule Fink: Es ist schon gruselig, dass der Verfassungsschutz jetzt das Recht hat, uns zu überwachen und verdeckte Er­mitt­le­r*in­nen in unsere Gruppen einzuschleusen. Die Menschen, die sich fernab der Großstädte in kleinen Ortsgruppen engagieren, sind oft die einzigen in ihrer Region, die sich für Klimaschutz und gegen rechts einsetzen. Dass die sich jetzt genau angucken müssen, wer da eigentlich zu ihren Treffen kommt, macht uns wütend.

Ende Gelände wurde vor allem durch Aktionen und Blockaden in Braunkohlerevieren bekannt. Hat die Einstufung als linksextremer Verdachtsfall im aktuellen Verfassungsschutzbericht Sie überrascht?

Die Berliner Ortsgruppe wird schon seit 2020 als Verdachtsfall geführt, von daher: nicht besonders. Wir wussten natürlich, dass der Verfassungsschutz ein rechter Inlandsgeheimdienst ist, der sich beschönigend „Verfassungsschutz“ nennt. Die Vertuschung der NSU-Morde, der jahrelange Vorsitz von Hans-Georg Maaßen, das ist ja genau so bekannt wie die Tatsache, dass die Behörde lieber linken Ak­ti­vis­t*in­nen hinterherschnüffelt, als sich um die Wahrung der Grundrechte zu kümmern. Trotzdem ist es ein Skandal.

Im Interview: Jule Fink

Jule Fink, 23, ist Sprecherin von Ende Gelände und studiert Sozialwissenschaften in Berlin. Sie engagiert sich seit 2019 in der Klimabewegung.

Ist Ende Gelände linksradikal?

Wir verstehen uns als anti­kapitalistische, antifaschistische, feministische und anti­koloniale Gruppe. Das kann man als linksradikal bezeichnen. Wir sind basisdemokratisch, viele Treffen sind offen. Uns als extremistisch darzustellen, ist einer Demokratie unwürdig. Es ist besorgniserregend, wie die Klima­bewegung zunehmend kriminalisiert wird.

Ist der Verfassungsschutz nicht etwas spät dran? Der Höhepunkt von Ende Gelände ist doch vorbei.

Das würde ich so nicht sagen. Ende Gelände hat sich in den vergangenen Monaten umstrukturiert. Wir haben viele regionale Strukturen aufgebaut und machen nicht mehr eine Massenaktion pro Jahr, sondern mehrere. Insofern sind wir flexibler und unberechenbarer geworden. Aber ich kenne die Kriterien des Verfassungsschutzes nicht. Wenn ich mir den Bericht durchlese, scheinen sie mir sehr fragwürdig.

Was war der Auslöser für den Umstrukturierungsprozess?

Wir haben festgestellt, dass eine Massenaktion mit rund 6.000 Menschen, wie im Jahr 2019, eine starke Protestform ist, um die Aufmerksamkeit auf einen Ort der fossilen Zerstörung zu lenken, wie die Kohletagebaue im Rheinland. Es bedeutet aber auch einen enormen Organisierungsaufwand und ist relativ vorhersehbar. Wir wollten uns in die Lage versetzen, flexibler zu intervenieren. Auch als klar wurde, in welchem Maße Deutschland gerade mit den LNG-Terminals für Flüssiggas neue fossile Infrastruktur ausbaut.

wochentaz

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Was ist dieses Jahr noch geplant?

Wir bringen uns dieses Wochenende bei den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Essen unter dem Motto „Widersetzen“ ein, außerdem gibt es im August wieder ein „System Change Camp“. Das wird dieses Mal in Thüringen stattfinden, wir werden uns dort sicher auch viel mit Strategien gegen rechts beschäftigen. Wie vielen in der Klimabewegung ist es uns ein Anliegen, die Bereiche Verkehrswende und Mobilität zu thematisieren, weil es da so große Versäumnisse gibt. Ansonsten wollen wir uns weiter auf den krassen LNG-Ausbau konzentrieren und auch Kohle als Thema beibehalten.

Am „System Change Camp“, also dem jährlich stattfindenden Klimacamp von Ende Gelände, stört sich der Verfassungsschutz in seinem Bericht besonders.

Auf den Camps veranstalten wir unter anderem Workshops zu den Themen Antikolonialismus, Klimagerechtigkeit oder der Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftssystems. Das jetzt so darzustellen, als wäre es gegen die Verfassung, ist absurd. Die Verfassung schützt nicht kapitalistische Profite, sondern Grundrechte.

Das Bundesamt behauptet, linksextreme Gruppen nutzten Klimaproteste als Zugang ins bürgerliche Spektrum. Was entgegnen Sie?

Das klingt wie eine absurde Verschwörungstheorie. Dass Klimagerechtigkeit im Kapitalismus nicht möglich ist, hat der Club of Rome schon in den 80ern festgestellt, es ist keine extreme Position. Diejenigen Kräfte im Staat, die die Interessen fossiler Konzerne schützen wollen, propagieren oft vereinfachende Konzepte wie grünen Wasserstoff oder E-Autos als Lösung. Wir müssen aber grundsätzliche Fragen stellen, etwa nach Wachstum und planetaren Grenzen. Dafür gibt es auch Rückhalt in bürgerlichen Gesellschaftsschichten.

Die Behörde darf Sie jetzt mit geheimdienstlichen Methoden überwachen, etwa die Kommunikation auslesen. Wie sehr schränkt Sie das in Ihrer Arbeit ein?

Das sind Repressionen, die uns unter Druck setzen und in unserer Arbeit behindern sollen. Natürlich erhöhen sie den Druck. Für uns ist aber klar, dass wir weitermachen und einen Umgang damit finden werden. Wir müssen uns mit sichereren Kommunikationskanälen auseinandersetzen und uns genau anschauen, wer was von uns wissen möchte.

Bedeutet es, dass Ihre Arbeitsweise konspirativer wird?

Nicht unbedingt. Aber es ist ein riesiges Problem, dass ziviles Engagement auf diese Art kriminalisiert wird. Vor allem in einer Zeit, in der wir einen Rechtsruck erleben. Viele Menschen wollen sich engagieren und die Bundesregierung ermutigt sie sogar dazu. Aber in unserem Fall ist es unerwünscht und wird mit Repression beantwortet.

Aber die Proteste gegen rechts nützen auch der Klimabewegung.

Wir als Klimabewegung brauchen dieses Aufstehen gegen rechts und bringen uns ja auch stark ein. Gleichzeitig nutzen die Parteien und Gruppen, die im Interesse der fossilen Industrie handeln, jeden Moment, um die Bewegung weiter zu kriminalisieren. Das sieht man auch an den Ermittlungen gegen die Letzte Generation oder an der Art, wie über die Proteste in Lützerath gesprochen wurde.

Bringt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz die Klimabewegung, in der es ja ziemliche Differenzen gibt, wieder ein Stück weit näher zusammen?

Wir stehen auf jeden Fall solidarisch zueinander. Viele Ak­ti­vis­t*in­nen müssen sich jahrelang mit Verfahren gegen sie herumschlagen. Die Letzte Generation bietet Trainings an, wie man sich im Gefängnis verhält. Konzerne wie die Braunkohlegesellschaft Mibrag schrecken auch nicht davor zurück, Jour­na­lis­t*in­nen und Pres­se­spre­che­r*in­nen anzuzeigen, die die Proteste dokumentieren. Wenn dann auch noch Druck von staatlicher Seite kommt, ist das schon ein krasser Zustand.

Muss die Klimabewegung gemocht werden, um erfolgreich zu sein?

Es bringt uns in gewissen Kreisen vielleicht Anerkennung, dass das rechte Bundesamt für Verfassungsschutz uns für unsere Vision auszeichnet. Aber unser Kampf für Veränderung gilt für die ganze Gesellschaft. Wir wollen alle einladen und mitnehmen, die Gesellschaft hin zu einer besseren zu gestalten – und wir wollen auf jeden Fall gemocht werden. Gleichzeitig sind die Machtverhältnisse eben sehr ungleich. Diejenigen, die daran arbeiten, dass die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, tun viel dafür, uns in die kriminelle Ecke zu stellen. Dort weiter zu stören, ist eine wichtige Aufgabe.

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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ende Gelände gibt an das System ändern zu wollen. So weit so gut. Die Frage sind die Mittel. Gewalt, Nötigung oder demokratische Überzeugungsarbeit.

  • Der Verfassungsschutz macht das, was das Innenministerium , dem er unterstellt ist, vorgibt. Derzeit ist die Regierung, also auch das Innenministerium, sicher nicht als rechtsorientiert einzustufen.

    • @Filou:

      Die letzten G20-Verfahren laufen immer noch. Gegen die Verletzten, nicht gegen die Täter aus den Reihen der Polizei, hinter deren Taten sich der damalige Bürgermeister Scholz in vollem Umfang stellte.



      Ihr Vergehen : die bloße Anwesenheit in einem angemeldeten und noch einmal gerichtlich bestätigten Protestcamp, das von der Polizei niedergeknüppelt wurde.



      Das erste Verfahren wegen der Menschenjagd von Chemnitz, das zu Maassens Fall führte, wurde gerade eingestellt. Die Anwesenheit der Angeklagten auf einer Demo, aus der heraus ein Dutzend Ausländer schwer verletzt wurden, blieb unbestritten. Aber ob wirklich sie auf die am Boden Liegenden eintraten, konnte nicht bewiesen werden.



      Und der Finanzbeamte, der verhinderte, das die Warburg-Millionen verjährten, wurde sofort von Scholz entlassen, als er Finanzminister wurde.



      Sieht so ein Rechtsstaat aus, wo der Täter seine Ankläger bestraft?

    • @Filou:

      Sicher sind die Mitarbeiter die unter der Ägide von Maaßen angestellt wurden, immer noch da, geprägt durch die jahrelange Ideologie und die Vorgabe vom Chef ( die Mitarbeiter von VS haben bestimmt die Haltung vom Chef vorgelebt bekommen und übernommen, was sonst), siehe die Aussagen und verhalten von Maaßen ( Maaßen hat nicht ein Schalter umgelegt und ist zu dem geworden was er heute ist, Maaßen war immer so, nur muß er es nicht mehr verstecken). Der Fisch beginnt an vom Kopf zu stinken, und wenn der Kopf nicht mehr das ist, dann stinkt der Körper weiter unter einen neuen Chef.

    • @Filou:

      Die Ampel-Regierung steht für:

      Asylrechtsabbau, Pro Wirtschaftslobby, Pro Militärlobyy, Mega-Aufrüstung wie noch nie, taube Ohren gegenüber Umwelt- und Verbraucherschützern, taube Ohren gegenüber Menschenrechtsorganisationen, Sozialabbau, usw - all das ist nicht rechts?

      Viele sagen ja, dies sei bloß "Mitte". Aber wer so eine "Mitte" hat, braucht keine Rechten mehr.

      • @Uns Uwe:

        Danke für diesen Kommentar 👍

  • Dachte ich mir. Maaßen mag ja weg sein, aber sein Gespenst spukt noch kräftig in den Gängen des BfV.

    Ausserdem frage ich mich immer, welchen Einfluss solche Lobbygruppen wie Policy Exchange [1] haben, die sich u.a. in UK ziemlich erfolgreich für repressives Vorgehen (von Gesetzgebung über Justiz bis zur Exekutive) eingesetzt haben.

    Befeuert von fossilem Geld.

    [1] en.wikipedia.org/wiki/Policy_Exchange

  • Der Verfassungsschutz wird sowohl von Linke als auch von Recht der Seite heftig kritisiert



    Jede der beiden politischen extremen behauptet, der Verfassungsschutz wäre auf der jeweils anderen Seite

    Das zeigt mir, der Verfassungsschutz macht seinen Job sehr gut!

  • Geht man davon aus, dass Frau Fink repräsentativ für "Ende Gelände" spricht, dann ist spätestens nach diesem Inteview klar wiese die Gruppe unter Beobachtung steht.

    • @maxwaldo:

      Sorry, ich habs noch nicht verstanden... Warum nochmal?

  • Warum klagt Ende Gelände nicht gegen diese Einstufung. Die ist doch haltlos.

  • Bullshit. Macht was gegen Rechte.......

  • Eine Gruppe die von Altnazis gegründet wurde, welche der Denazifizierung entgingen und ziemlich offensichtlich bei der NSU weggeschaut hat und vielleicht mehr.



    So wie sie jetzt existiert ein Schandfleck.

    Währenddessen haben wir einen rekordsommer nach dem anderen.



    Letztes Jahr ist kurz nach der Ernte in unserer Gegend ein Feld abgebrannt.

  • Gab es eigentlich mal irgendeine Organisation, die der Verfassungsschutz als Verdachtsfall einsortiert hat und die sich nicht darüber beschwert hat?