Dynamische Strompreise: Das Versprechen vom billigen Strom
Immer mehr dynamische Stromtarife kommen auf den Markt. Doch wer davon profitieren will, braucht einiges an Technik, Geld und Zeit.
Ab dem kommenden Jahr wird ein entsprechendes Angebot – nicht die Nutzung – sogar Pflicht. Wann die Waschmaschine läuft, das E-Auto lädt oder die Wärmepumpe Strom zieht, soll dann nicht nur von den Bedürfnissen der Nutzer:innen abhängen, sondern auch vom aktuellen Strompreis. Dabei ist die Funktionsweise der neuen Angebote nicht immer leicht zu durchschauen.
Bei klassischen Stromverträgen gilt: Was monatliche Grundgebühr und Kilowattstunde kosten, ist im Vertrag festgelegt und bleibt über diesen Zeitraum stabil. Bei dynamischen Stromverträgen bleibt nur die Grundgebühr gleich. Der Arbeitspreis, also der Preis pro Kilowattstunde, schwankt in Abhängigkeit vom Börsenstrompreis. Die Idee dahinter: Verbraucher:innen sollen Strom dann nutzen, wenn er billig und somit in Fülle vorhanden ist, zum Beispiel weil gerade viel Strom aus Windkraftanlagen ins Netz gespeist wird. Und Strom sparen, wenn die Preise hoch, das Angebot also geringer ist.
„Die dynamischen Tarife sind auf alle Fälle viel komplexer als die herkömmlichen“, sagt Christina Wallraf, Energieexpertin bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die erste Voraussetzungen: die Zeit und und die Bereitschaft, sich mehrmals täglich mit den Strompreisen auseinanderzusetzen und stromintensive Aktivitäten gegebenenfalls in günstigere Zeiten zu schieben.
Ab 2032 soll jeder Haushalt einen Smart Meter haben
Dazu kommt einiges an Technik. Wer einen entsprechenden Tarif nutzen will, braucht dafür einen Smart Meter, also einen vernetzten Stromzähler, um den Verbrauch stundengenau abzurechnen. Ab 2032 sollen solche Stromzähler für jeden Haushalt eingebaut werden, aktuell hat nur ein Teil der Haushalte einen Anspruch darauf: Großverbraucher mit mehr als 6.000 Kilowattstunden im Jahr sowie Haushalte, die zum Beispiel eine Wärmepumpe, eine Photovoltaik-Anlage oder ein E-Auto mit eigener Ladestation haben.
Die Kosten liegen für Normalnutzer:innen bei 20 Euro pro Jahr, wer etwa eine Wärmepumpe hat, zahlt 50 Euro im Jahr. Dazu können noch jährliche Kosten für Zusatzleistungen den Einbau kommen, die im zweistelligen Bereich liegen. Alternativ zum Smart Meter reicht etwa beim Anbieter Tibber, einem der Pioniere dynamischer Tarife, auch ein mittlerweile üblicher digitaler Zähler, wenn der Haushalt ihn mit einem zu bestellenden Verbrauchs-Tracker kombiniert. Der kostet gut 100 Euro und wird am Stromzähler befestigt.
Um zu wissen, was der Strom denn nun kosten wird, müssen Kund:innen in die App des Anbieters schauen. Hier werden jeweils die Preise für die kommenden 24 Stunden angegeben. Auch ein Smartphone ist also notwendig. Der zusätzlichen Investition gegenüber steht die erhoffte Kostenersparnis, wenn große Stromverbräuche in die günstigeren Stunden gelegt werden können. Bei Grundverbrauchern wie dem Kühlschrank oder Router ist das nicht möglich – bei Geräten wie Lampen, Backofen oder Haartrockner hängt es sehr davon ab, wie flexibel der eigene Alltag gestaltbar ist.
„Morgens und abends sind die Preise bei dynamischen Tarifen tendenziell teurer“
Auch Green Planet Energy – früher Greenpeace Energy – hat einen dynamischen Tarif im Angebot. Hier gibt es keine App. Wer den dynamischen Tarif nutzt, muss sich im Kundenportal registrieren und kann dort die stundenaktuellen Preise einsehen, ab 15:00 Uhr auch die für den Folgetag. In einem beispielhaften Tagesverlaufsdiagramm des Anbieters schwankt der Strompreis durchaus nennenswert: Nach einem Tief am frühen Nachmittag, in dem die Kilowattstunde bei gut 20 Cent liegt, klettert der Preis zum Abend hin auf knapp 40 Cent.
„In einem normalen Haushalt wird vor allem morgens und abends Strom verbraucht und dann sind die Preise bei dynamischen Tarifen tendenziell teurer als bei den herkömmlichen“, sagt Energie-Expertin Wallraf. Sie empfiehlt solche Tarife daher nur für Haushalte, die zum Beispiel ein E-Auto mit eigener Ladestation haben und den Verbrauch entsprechend verlagern können.
Kund:innen, die sich dennoch für einen solchen Tarif interessieren, rät Wallraff dazu, sich zwei Fragen zu stellen: Verstehe ich das Geschäftsmodell? Und kann ich die Abrechnung nachvollziehen? Und wer tatsächlich einen dynamischen Tarif ausprobieren will, sollte zunächst einen mit kurzer Kündigungsfrist wählen – um gegebenenfalls schnell wieder zurückwechseln zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja