Duzkultur in der Konsumwelt: Duz' mich nicht, du Kaufhaus!
Während der Kunde früher König war, wird er heute zum Kumpel degradiert. Das geht so nicht, findet unser Autor.
I ch habe mich nie als jemand gesehen, über den sich Loriot lustig macht. Aber neuerdings ist mir, wenn ich einkaufen gehe, mein Nachname wichtig. „Mein Name ist Wilhelmi und ich kaufe hier ein.“ Der Wunsch nach Förmlichkeit entsteht bei mir aus Trotz.
„Wie hat es dir bei uns gefallen?“, fragt ein Schriftzug über dem Ausgang von Karstadt. In der Straßenbahn geht es im gleichen Tonfall weiter: „Du erhältst das Deutschlandticket bei uns“, lese ich da. Und schließlich schafft es eine E-Mail meines Getränkelieferanten durch den Spamfilter. Die Betreffzeile: „Wir vermissen dich!“ Mit Ausrufezeichen. Aus dem komfortablen „Kölsch gegen Euro“-Transfer, dem ich für ein paar Tage nicht nachgekommen bin, ist eine schuldbeladene Einforderung geworden und aus meiner anfänglichen, diffusen Genervtheit echte Empörung.
Wer geduzt wird, ist Freund – und Freundschaft ist mitunter Arbeit. Freunde geben eine Runde aus, aber müssen genauso nach Mitternacht von der Polizeiwache abgeholt werden. Freunde haben Rechte und Pflichten zueinander. Meine Freunde dürfen mich vermissen und es mir vorwurfsvoll sagen. Mein Getränkelieferant hat mein Geld zu nehmen und mich ansonsten in Ruhe zu lassen.
Das Duzen breitet sich aus in der Wirtschaftswelt. Mit Ikeas Gekumpel ging es vermutlich los und Big Tech hat sich endgültig das nervig-anbiedernde „Du“ auf die Image-Fahne geschrieben. Alles wird entspannter – angeblich. Dagegen ist das Siezen eine nicht zu unterschätzende Kulturtechnik, die mehr und mehr in Vergessenheit gerät.
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Aus der förmlichen Anrede entsteht eine Distanz zwischen Kunde und Anbieter und aus dieser Distanz eine Qualität: Der Verkäufer als Experte und Verantwortungsperson und der Kunde als König. Das „Du“ aber verschleiert diese Unterscheidung. Die Frage, ob Standards eingehalten wurden und mein Geld gut angelegt ist, weicht der Frage nach Befindlichkeiten. Was die Befindlichkeiten der Unternehmen mit einschließt. Aus dem hofierenden „Waren wir Ihnen genug?“ wird die helikopterelternhafte Aufforderung „Schreib, wenn du zuhause bist“.
Schon klar, das „Du“ folgt unserem Wunsch nach Nähe, Wärme und Kommunikation auf Augenhöhe. Doch das kommerzielle „Du“ gaukelt diese Nähe nur vor. Am Point of Sale wird das „Du“ zu einem subtilen Mittel der Unterdrückung, zur „Tyrannei der Intimität“, wie es der Soziologe Richard Sennett formulierte. Dem Kunden wird ohne das „Sie“ der Königsstatus entzogen und gleichzeitig wird von ihm verlangt, dies als Schritt zur Gleichberechtigung zu feiern. Die Revolution von oben.
Der größte Trick, den der Teufel je angewendet hat, war, die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn nicht. Der größte Trick des (Geld-)Adels ist es, zu behaupten, es gäbe keine Paläste. Denn dann kann man sie nicht mehr stürmen. Und der größte Trick der Konzerne ist das kumpelhafte „Du“.
Wenn das eigentliche Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunde verschleiert wird, verliert nur der Kunde, nur seine Rolle ändert sich. Er muss sich plötzlich positionieren, dem Vermisstwerden des Getränkelieferanten nachkommen. Das ist Markenloyalität ohne Gegenleistung. Ja, manchmal muss man trotz Unlust seine Großmutter anrufen, aber die interessiert sich im Gegenzug auch dafür, wie es ihrem Enkel geht und bringt – umsonst! – Schokolade mit. Der Getränkelieferant leistet derlei nicht. Er fordert nur: Gib Geld! Wird Zeit!
Ich habe darauf keine Lust. Ich will mit Firmen nicht befreundet sein. Ich will Verkäufer, die mir eine gute Zeit bereiten, und ein Produkt, das sein Geld wert ist. Für Karstadt und Co also immer noch „Herr Wilhelmi“, so viel Zeit muss sein.
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