piwik no script img

Dreikönigstreffen der FDPZerrissen in die Zukunft

Die Liberalen wollen mit Zukunftsthemen punkten. Doch die Unzufriedenheit innerhalb der Partei und der Koalition lässt sich nur schwer übertünchen.

Stuttgart am Freitag: Lindner vor seiner Rede beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Stuttgart taz | Eigentlich sollte die traditionelle Neujahrskundgebung der Liberalen gut durchchoreografiert ablaufen. Doch gleich der Auftritt von Christian Lindner bringt eine Überraschung. Kaum dass der FDP-Chef zu seiner Rede ansetzt, rollen Klimaaktivisten vom Balkon der Stuttgarter Staatsoper Transparente aus: „Klima-Kollaps = Wirtschaftskollaps“ und „Besser nicht regieren als falsch“ steht dort. Dazu singen sie „We shall overcome“.

Doch das Parteipublikum reagiert gelassen. Der gewiefte Rhetoriker Lindner lässt den Protest abperlen: „Ankleben war gestern, anpacken ist heute“ ruft er den Aktivisten zu. Denn es brauche nicht nur Leute, die für Klimaschutz demonstrieren, sondern auch welche, die ihn in Form von Wind, Solar und Wärmepumpen montieren. Dafür gibt es den meisten Applaus im Auditorium. Das gemeinsame Feindbild hilft, die eigenen Reihen zu schließen, und man kann die eigenen Koalitionspartner, die sonst für solche Attacken herhalten müssen, schonen.

Nach etwas mehr als einem Jahr nach dem Start der Ampelkoalition und schlechten Ergebnissen bei Umfragen und Landtagswahlen fühlt sich die FDP-Führung gegenüber den Mitgliedern unter Rechtfertigungsdruck. Während die einen finden, die FDP müsste sich mehr an die Koaltion anpassen, trauern andere der Oppositionszeit oder gar der traumatisierenden letzten schwarz-gelben Koalition mit der CDU hinterher. Lindner erteilt beiden Haltungen eine Absage: „Mit der Union zu regieren, wäre nicht einfacher, nur anders.“ Und er betont staatstragend, mit der Regierungsbeteiligung habe die FDP Schaden vom Land abgewandt, das zähle „vor dem Auge der Geschichte“.

Dass man diese Zerrissenheit vielleicht auch in eine Strategie umwandeln kann, um die streitenden Positionen in der FDP im Zaum zu halten, zeigt die baden-württembergische FDP. Die hat, wie der Landesvorsitzende Michael Theurer betont, mit ihrem 15-Prozent-Wahlergebnis wesentlich zur Regierungsbeteiligung im Bund beigetragen. Während der baden-württembergische Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke im Vorfeld des Dreikönigstreffens trocken analysierte: „Ich stelle anhand der Umfragen und Wahlergebnisse fest: Die FDP leidet an der Ampel“, hält Theurer dagegen.

Als Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium ist er direkt an dem Regierungsbündnis beteiligt und sagt, man müsse die Regierungsarbeit vor allem besser erklären. Auf dem Landesparteitag am Tag vor dem Dreikönigstreffen forderte er sogar den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) auf, seine Koalition mit der CDU zu kündigen und auf eine Ampel umzustellen, sozusagen als Fortschrittskoalition, wie in Berlin.

Kein Werben um die Grünen

Dass das kein ernst gemeinter Vorschlag sein kann, zeigt sich schon daran, dass die Landespartei im vorgeschalteten Parteitag, wie auch die Redner beim Dreikönigstreffen, nicht gerade um die Grünen werben. Zuverlässig werden alle Themen, mit denen man die Grünen in Bund und Land auf die Palme bringen kann, unerwähnt gelassen: Von Gasförderung in Deutschland mittels Fracking-Technologie bis zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken.

Lindner und die Partei binden die eigenen Widersprüche in einem Schlagwort zusammen: Zukunft. Die Partei will den Fortschritt verkörpern und dafür Tabus in der Gentechnik und der Kernfusion schleifen. Als Finanzminister verspricht Lindner seiner Parteifreundin, der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, eine jährliche Bildungsmilliarde als Investition in die nächste Generation.

Und er prophezeit, dass die Koalitionspartner der FDP für ihre Forderungen nach Steuersenkungen und Maßhalten noch dankbar sein werden. Denn angesichts des schleichenden Wohlstandsverlusts durch gebremstes Wachstum und Inflation habe diese Regierung nur eine Chance auf Wiederwahl, „wenn wir dieses Land wieder auf die Erfolgsspur führen“.

Aber: Die Koalitionspartner hätten das nur noch nicht gemerkt, sagt Lindner. Glaubt man den Umfragen, viele FDP-Anhänger auch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Brauchen wir eine solche Partei überhaupt noch? Liberalismus wird als Standart in fast allen ernst zu nehmenden Parteiprogrammen gefordert, bei manchen sogar ernsthaft. Das was die FDP unter dem Begriff "liberal" versteht, lässt sich mit einer sehr kurzen Liste aufzählen: Profite, Rücksichtslosigkeit und Wähler*innenstimmen egal wie.

  • Die FDP wäre gut geeignet für eine Muppet-Show.

  • "nicht gerade um die Grünen werben. Zuverlässig werden alle Themen, mit denen man die Grünen in Bund und Land auf die Palme bringen kann, unerwähnt gelassen"

    Kann es sein, dass da ein "nicht" vor dem "unerwähnt" fehlt?

    • @Gunnar Roth:

      Glaub schon. Darüber bin ich auch gestolpert.

  • Es gibt nicht genug Golfspieler in diesem Land.



    Von daher bleibt die FDP der Wurmfortsatz Deutschlands, mit all seinen Problemen.

  • Es wurde zum Glück verhindert dass jeder dahergelaufene Habenichts Zug fahren kann als hätte er das Geld dafür und es wurde im Geiste der Freiheit verhindert, dass und äh,... der Staat einfach Leute einsperrt, die mit ihrer Drängelei Staus verursachen... oder durch sich ankleben?



    Oder sperrt der Staat doch wegen ein paar Staus Leute ein?



    Bin unsicher, jedenfalls wurde Schaden angewandt.

  • Lindner wird schon nächstes Jahr die Steuern senken, vor allem die von ihm selbst unter Handreichung von Habeck neu eingeführten Steuern auf Wind- und Solarenergie sowie Braunkohlestrom.

    Die stetig ausufernden Staatsdefizite nähren die Inflation, auch dafür wird Lindner einen Ausgleich großzügig parat haben.

  • „anpacken ist heute“ hat er dabei Wissing angeschaut? Linder ist kein „gewiefter Rhetoriker“ er bedient mit seinem hergeholten Pamp lediglich niederträchtige Ressentiments. Bild-Niveau.

  • Dummes Geschwätz. Wie wär's mit: leisten statt erben? Na?

  • Die FDP ist schon eine bemerkenswerte Partei.

    "Zukunft" heißt der Slogan. Die Partei will den Fortschritt verkörpern...dabei sagen alle (Klima-)Wissenschaftler, daß das mit der Zukunft nicht so rosig aussieht, wenn man die Vorstellungen der FDP umsetzt.

    Andererseits: man ist ja Technologieoffen...und die Klimaaktivisten sollen das mal lieber den Experten überlassen..

    Irgendwie scheint die FDP ein sehr selektives Verhältnis zur Wissenschaft zu haben. Offenbar hört man dort nur was man eben hören will...der Rest.? Ach das ist doch bloß diese.. na..ach ja..

    Realität...

    • @Wunderwelt:

      Na dann fragen wir doch mal einen Experten:



      (Zitat Prof. Maximilan Fichtner, Petersberger Gespräche 2022)



      Es geht um die Frage "machen wir das Rad jetzt dreieckig, viereckig oder rund?" Das nennt man dann Technologieoffenheit.