Diskussion um US-Raketen: Entscheidung mit kleiner Reichweite
Die deutsche Politik reagiert auf Bidens Kurswechsel in der Ukraine weitgehend positiv. Aber kündigt sich auch ein Umdenken bei der eigenen Linie an?
Die US-Regierung geht offenbar davon aus, dass Kyjiw die US-Raketen ATACMS nutzen wird, um den bevorstehenden Großangriff von russischen und nordkoreanischen Truppen auf die grenznahe Region Kursk zu stoppen. In Kursk hat die Ukraine russisches Gebiet besetzt. Das kann für Kyjiw ein taktischer Vorteil sein, falls der nächste US-Präsident Donald Trump einen Deal Frieden gegen Gebietsabtretung zugunsten von Russland forcieren würde. Offenbar ist Bidens Entscheidung auch ein Signal an Nordkorea.
Am ersten Tag des G20-Gipfels in Rio löste sich Scholz aus dem Windschatten Joe Bidens. Weder will er der Ukraine erlauben, mit deutschen Waffen Ziele im russischen Hinterland zu attackieren, noch will er Taurus-Mittelstreckenraketen liefern. Scholz geht es ums Prinzip. Er sei sich sicher, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Sorgen machten um die Sicherheit und den Frieden in Europa. „Wir müssen deshalb das Richtige tun, das heißt, klare Worte finden, aber immer besonnen handeln. Und dabei bleibts.“
Heißt: keine Lieferung von Taurus, weil deutsche Soldatinnen und Soldaten in die Zielsteuerung eingebunden werden müssten. Und auch keinen Freibrief für den Einsatz anderer „starker“ Waffen. „Charkiw war eine Ausnahme, aber das ändert nichts an den Grundprinzipien, die mir wichtig sind.“ Deutschland bleibe aber der zweitwichtigste Unterstützer der Ukraine. Fast scheint es so, der einzige. Denn das Thema Ukraine steht eigentlich gar nicht auf der Tagesordnung des G20-Gipfels in Rio. Es gestaltet sich offenbar auch mühselig, es in die Abschlusserklärung zu bekommen, wie Scholz andeutete. „Man muss dann auch Ross und Reiter benennen.“
Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock unterstützt den neuen Kurs der US-Regierung. Die Ukraine müsse die Abschussbasen im Inneren Russlands erreichen können, von denen aus Russland die Ukraine bombardiert, so die Außenministerin. Das sei „im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts“ legitim. Baerbock und der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck fordern ebenso wie viele Unionspolitiker, dass Deutschland das Waffensystem Taurus an die Ukraine liefern. Die Marschflugkörper haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern.
Vermeidung von Eskalationsgefahr
Mit Blick auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump haben sich auch die Koordinaten deutscher Politik verschoben. „Die Abstimmung der Bundesregierung mit den USA wird künftig nicht mehr so eng sein, wie sie es mit Joe Biden war“, sagt SPD-Politiker Ralf Stegner zur taz. Das Nein von Scholz zu der Lieferung von Taurus sei mit der Vermeidung einer Eskalationsgefahr „gut begründet“. Dieser Grund sei ja „nicht entfallen“. Die Auswirkungen von Bidens Kurswechsel auf die deutsche Politik hält Stegner insofern für überschaubar. „Für Deutschland bedeutet das nichts Besonderes.“
Die FDP hatte kürzlich öffentlich darüber spekuliert, im Bundestag einen Antrag für die Taurus-Lieferung einzubringen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte erklärt, dass auch Union und Grüne dafür stimmen würden. Allerdings entscheidet über die Lieferung von Waffensystemen – anders als über den Einsatz der Bundeswehr – nicht der Bundestag, sondern der Bundessicherheitsrat und damit der Kanzler, der dem Gremium vorsteht.
Zudem klingen die Stimmen aus der Union für eine schnelle Lieferung von Taurus eher gedämpft. CSU-Chef Markus Söder betonte zwar, die Union sei „immer offen bei Taurus“ gewesen. Nun aber müsse man abwarten, was Trump vorhabe. Die Union will im Wahlkampf offenbar den Eindruck vermeiden, den Krieg in der Ukraine unbedacht anzuheizen und Olaf Scholz somit ein Wahlkampfthema frei Haus zu liefern.
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