Diskriminierung im Handwerk: Lieber Wimmermann als Zimmermann
Der Fachkräftemangel hat viele Gründe, im Handwerk sind es auch diskriminierende Strukturen. Ein Zimmerer rät zu mehr Sensibilität.
Die ewigen Klagen meines Meisters habe ich noch im Ohr: Wie schwer es heutzutage sei, einen guten Gesellen zu finden, weil sich keiner mehr die Hände dreckig machen will.
Empfohlener externer Inhalt
Ich wollte mir die Hände dreckig machen. Wollte Zimmerei lernen, mit der Kettensäge umgehen, Statik checken, Fachwerk bauen und Dächer konstruieren. Und ich hab mich bei allen Betrieben beworben, die in meiner Stadt ausbilden. Denn einen guten Ausbildungsbetrieb zu finden, das ist auch nicht leicht. Einen, der Auszubildende mit Respekt behandelt, der auf Basic-Arbeitsrechte achtet und auch mir etwas zutraut, obwohl ich nicht dem Idealbild entspreche, das viele Handwerksmeister (sic!) von Azubis haben: cis-Mann, groß, weiß, able-bodied.
Ich habe berufsbedingt viel Kontakt zu Zimmer*innen, die diesem Idealbild nicht entsprechen. Und alle, wirklich alle Zimmer*innen, die ich kenne, haben sich nach der Ausbildung selbstständig gemacht. In den Betrieben, die sie in ihren Ausbildungen kennengelernt haben, will keine*r von ihnen arbeiten. Betriebe, wie der, in dem ich gelernt habe, wo der Chef, wenn morgens jemand Richtung Toilette geht, quer über den Hof schreit: „Ausgeschissen zur Arbeit kommen!“ und wo, wer sich beschwert, zu hören bekommt: „Bist du ein Zimmermann oder ein Wimmermann?“
Angesichts des Fachkräftemangels würde ich ja gern Werbung machen, aber: Ausbildung im Handwerk ist scheiße. Die Hierarchien sind starr, und als Auszubildende*r stehst du ganz unten, wirst verarscht, und wer kein weißer cis-Mann ist, auch diskriminiert.
Hierarchie macht den Job nicht attraktiv
Ob das nun der Grund für den „eklatanten Bewerbermangel“ ist, den der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in einer aktuellen Umfrage zur Ausbildungssituation beklagt? Sicherlich nicht der einzige, aber man könnte schon erwarten, dass sich Ausbildungsbetriebe ein bisschen Mühe geben, für Interessierte nicht komplett unattraktiv zu sein. Das Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (Kofa) macht den Fachkräftemangel zwar insbesondere am Mangel von Meister*innen und Gesell*innen fest. Doch würden Auszubildende, die in ihrem Lehrbetrieb gute Erfahrungen gemacht haben, diesem auch eher erhalten bleiben.
Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge sei in den vergangenen 10 Jahren laut Kofa nur leicht rückläufig. Im Jahr 2021 standen den 20.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen jedoch auch 22.000 Bewerber*innen gegenüber, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass in strukturschwachen Regionen weniger Ausbildungsplätze vorhanden sind. Diesem Ungleichgewicht will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit einer „Ausbildungsgarantie“ begegnen.
Mit einem Gesetzentwurf sollen Azubis, die für ihre Ausbildung umziehen, finanzielle Unterstützung erhalten, indem etwa Unterkunftskosten und Familienheimfahrten übernommen werden. Diese Maßnahme könnte Azubis tatsächlich entlasten, denn die Löhne vieler Auszubildender sind gerade in den ersten beiden Lehrjahren sehr gering.
Fachkräftemangel ausgerechnet dort, wo gut bezahlt wird
Nach der Ausbildung gibt es je nach Gewerk enorme Unterschiede auf dem Lohnzettel: So verdienen Friseur*innen in einem Vollzeitjob nur 1.708 Euro brutto, Elektromaschinenbauer*innen haben mit 3.776 Euro mehr als doppelt so viel. Bäcker*innen (2.423 Euro) und Bautischler*innen (2.828 Euro) bewegen sich im Mittelfeld der Lohnskala.
Die Lohnunterschiede sind so groß, dass sich pauschal wenig dazu sagen lässt, wie die Einkommenserwartung zur Motivation beiträgt, einen Handwerksberuf zu erlernen. Allerdings ist die Fachkräftelücke laut Kofa in der Bauelektrik und der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik am größten. Das sind ausgerechnet zwei sehr gut bezahlte Berufe, die zudem zu den beliebtesten Gewerken bei männlichen Ausbildungswilligen zählen.
In vielen Handwerksberufen sind auch weniger die Löhne problematisch, sondern vielmehr die Arbeitsbedingungen für Gesell*innen und Auszubildende: starre Hierarchien, wenig Bewusstsein für Arbeitssicherheit und diskriminierende Strukturen. Die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten, gibt es so gut wie nie.
Wenig Aussicht auf Verbesserung des Betriebsklimas
Trotzdem verändert sich seit Jahrzehnten nichts. Die Betriebe sind so klein, dass es in den meisten keinen Betriebsrat oder eine Auszubildendenvertretung gibt. Daher sind im Handwerk viel weniger Arbeitnehmer*innen gewerkschaftlich organisiert als in der Industrie. In den familienbetriebsähnlichen Strukturen vieler Handwerksbetriebe ist gewerkschaftliche Organisierung verpönt, da man damit „dem Chef in den Rücken fallen“ würde. Es gibt also wenig Aussicht auf Verbesserung des Betriebsklimas.
Auch ich wollte nach meiner Ausbildung auf keinen Fall in meinem Lehrbetrieb bleiben. Jetzt arbeite ich als Selbstständiger unter anderem im Handwerkerinnenhaus Köln mit Mädchen, die sich für eine Ausbildung im Handwerk interessieren. Für sie ist es trotz des Mangels an Auszubildenden genauso schwer wie für mich damals, einen Lehrbetrieb zu finden. Haben sie es geschafft, sind sie mit Sexismus konfrontiert und oft „die Einzige“ auf der Schule oder Baustelle.
Meine Kollegin, die Sozialpädagogin Hanna Kunas, berät ausbildungsinteressierte Jugendliche. Sie kennt die Schwierigkeiten, mit denen die Mädchen in ihrer Ausbildung konfrontiert sind. Damit sich daran etwas ändert, will das Handwerkerinnenhaus für die geschlechtsspezifische Diskriminierung sensibilisieren. Aus den Beratungsgesprächen weiß Hanna Kunas, dass Handwerksberufe unter vielen Mädchen nur mit geringem Prestige verbunden sind und sie sich deshalb eher Richtung Studium orientieren wollen.
Diesem schlechten Image will der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, entgegenwirken. Er wirbt mit einer Imagekampagne an Kitas und Schulen und betont in einem Gastbeitrag für das Karrieremagazin She Works die Wichtigkeit einer „Berufsorientierung frei von Stereotypen“ und sieht beim Thema Frauen in Handwerksberufen „noch deutlich Luft nach oben“. In seinem Betrieb bilde er gerade „zwei mutige, kluge Frauen aus, die ihre handwerkliche Begabung zur Berufung machen“. Ich wünsche den beiden Dachdeckerinnen, dass ihnen ihr Handwerk genauso viel Spaß macht wie mir. Und dass sie ihre Ausbildung möglichst schnell rum kriegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid