Förderung von Weiterbildung: Heil kündigt bezahlte Bildungszeit an
Bis zu zwölf Monate sollen sich Beschäftigte bezahlt weiterbilden können. Das soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Kritik kommt vom Mittelstand.
In Österreich können Beschäftigte für maximal ein Jahr eine berufliche Auszeit für eine Aus- oder Weiterbildung nehmen – oder eine Bildungsteilzeit für bis zu zwei Jahre. Wer so eine „Bildungskarenz“ nimmt, kann ein Weiterbildungsgeld bekommen.
Auch in Deutschland sollen sich Beschäftigte laut Heil künftig ein Jahr bezahlt weiterbilden können. Voraussetzung solle eine Verständigung von Arbeitgeber und –nehmer sein. „Das lässt sich auch als Bildungsteilzeit in zwei Jahren organisieren“, so Heil. Die Bundesagentur für Arbeit solle Unterhalt zahlen wie Arbeitslosengeld (Alleinstehende: 60 Prozent, mit Kind: 67 Prozent des Einkommens). DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel kritisierte die Dauer der Bildungszeit und –teilzeit als „leider zu kurz“. Umstiege und Neuorientierungen würden so nicht wirklich möglich.
Fahrten von Azubis werden übernommen
Teil des neuen Gesetzes soll eine Ausbildungsgarantie sein. Heil sagte, jeder junge Mensch solle die Chance auf eine Ausbildung haben. „Dafür fördern wir etwa die Mobilität und Berufsorientierung von jungen Menschen.“ Heute fänden Unternehmen in Regionen mit Vollbeschäftigung oft kaum Azubis. „In strukturschwachen Regionen schreiben sich junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, die Finger wund.“ Helfen soll Mobilitätsunterstützung für Praktika.
„Wenn jemand beispielsweise im nördlichen Ruhrgebiet keine Ausbildungsstelle findet, es aber in Köln die Möglichkeit gibt, ein Praktikum zur Berufsorientierung zu absolvieren, dann unterstützen wir das durch Übernahme von Unterkunfts- und Mobilitätskosten“, kündigte Heil an. Bei Azubis würden Kosten für Familienheimfahrten übernommen.
771 Millionen Euro für neues Gesetz
Das Weiterbildungsgesetz soll bei der Bundesagentur für Arbeit bis 2026 mit 771 Millionen Euro zu Buche schlagen. 190 Millionen Euro sollen vom Bund dazukommen. Beiträge und Steuern seien dagegen durch mehr Beschäftigung zu erwarten. Gewerkschafterin Piel zeigte sich insgesamt eher skeptisch. „Heil setzt mit seinem Gesetzentwurf wichtige Akzente“, sagte sie zwar. „Ob das tatsächlich für den Schub bei der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung reicht, ist noch ungewiss.“ Für die Förderung Geringverdienender forderte Piel einen Mindestbetrag – Aus- und Weiterbildung dürften nicht an zu wenig Geld scheitern.
Heil betonte: „Deutschland braucht nicht nur Master, sondern auch Meister.“ Viele junge Menschen wüssten gar nicht, welche „tollen Berufe“ es gebe. Der Arbeitsminister setzt sich deshalb für Änderungen schon in der Schule ein. „Ich wünsche mir, dass wir an allen Schulen in Deutschland möglichst ab der fünften Klasse verpflichtend Berufsorientierung haben.“
Unterm Strich soll laut Heil ein „ganz neuer Werkzeugkasten“ für Weiterbildung stehen. Fördermöglichkeiten würden vereinfacht. „Man sichert die Fachkräftebasis, weil in vielen Branchen neue Qualifikationen gefragt sein werden“, sagte Heil. Deutschland müsse „Weiterbildungsrepublik“ werden. Wenn Unternehmen im Wandel große Teile der Belegschaft weiterqualifizieren müssen, solle ein Qualifizierungsgeld helfen.
Alle Potenziale ausschöpfen
Oft würden händeringend Arbeits- und Fachkräfte gesucht. „Ob im Handwerk, in der Pflege, am Bau – das ist faktisch in jeder Branche ein großes Thema“, sagte Heil. Fachkräftemangel dürfe nicht zur Wachstumsbremse werden. Ab 2025 gingen die Babyboomer Stück für Stück in den Ruhestand. Gleichzeitig verließen heute rund 45.000 Schülerinnen und Schüler Jahr für Jahr die Schule ohne Abschluss.
Künftig müssten alle Potenziale im Inland ausgeschöpft werden. „Hier müssen wir alle Register ziehen“, sagte Heil. Dazu gehöre auch, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern sowie Menschen mit Handicap und Ältere noch stärker am Erwerbsleben zu beteiligen.
Einwanderungsgesetz im März
„Deutschland braucht zusätzlich qualifizierte Zuwanderung“, sagte der Minister. Heil warb für das geplante neue Einwanderungsgesetz. Im Kabinett solle es Anfang März grünes Licht für den Entwurf geben. Eckpunkte hatte die Koalition im November vorgelegt. Das Ziel: Anders als heute sollen verstärkt Nicht-EU-Bürgerinnen und –Bürger ohne anerkannten Abschluss ins Land kommen dürfen.
„Die Möglichkeiten für qualifizierte Einwanderung werden entbürokratisiert“, erläuterte Heil. Vor allem sollten Visa zur Arbeitsaufnahme schneller erteilt werden. „Zudem bekommen Menschen, die eine Ausbildung in ihrem Heimatland erworben haben, die Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten.“ Hier geht es zentral um weit schnellere Berufsanerkennungen.
Eine weitere, neue Säule: eine Chancenkarte. Mit ihr sollen Menschen nach einem Punktesystem nach Deutschland kommen. „Dazu schlagen wir die Kriterien Qualifizierung, Berufserfahrung, Alter, Sprachkenntnisse oder auch Deutschlandbezug vor“, sagte Heil. „Wenn man entsprechende Punkte aus dem Kriterienkatalog erfüllt, steht einem der deutsche Arbeitsmarkt offen.“
Mittelständler sehen Plan für bezahlte Bildungszeit kritisch
Heil kündigte über das reine Gesetz hinaus eine „Anwerbestrategie von Staat und Wirtschaft“ an. Fachkräfteeinwanderung dürfe nicht nur hingenommen werden. „Wir müssen sie wollen, organisieren und gezielt in anderen Ländern dafür werben.“ An die Adresse der Union gerichtet sagte Heil: „Ich erwarte von CDU und CSU, dass sie sich zu qualifizierter Einwanderung bekennen.“ Ein breiter Konsens der Demokraten sei wünschenswert.
Der Plan der Bundesregierung für bezahlte Weiterbildungszeiten für Beschäftigte stößt im Mittelstand auf Skepsis. Die mittelständischen Unternehmen profitierten zwar angesichts des akuten Fachkräftemangels von der Weiterbildung, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands mitteständischen Wirtschaft, Markus Jerger, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Ein Gesetz, das eine Weiterbildungs-Auszeit bis zu einem Jahr ermöglicht, geht aber völlig an der betrieblichen Realität vorbei. Solange nicht die Finanzierung, der Ersatz für den ausfallenden Mitarbeiter und die Frage der Rückkehr an den Arbeitsplatz geklärt sind, ist ein solches Gesetz mit dem Mittelstand nicht zu machen.“
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