Digitale Gesundheitsakte: Die Patient:innen werden gläsern
Die elektronische Patientenakte wurde so lange verschleppt, dass auch Ärzt:innen den Glauben verloren. Nun kommt sie wirklich, sagt Karl Lauterbach.
Die elektronische Patientenakte ist seit Jahren in Planung. Doch die Einführung verläuft schleppend. Zwar müssen die gesetzlichen Krankenkassen sie bereits seit 2021 anbieten. Doch bislang nutzt weniger als ein Prozent der Versicherten diese Option. Lauterbach sieht daher die medizinische Versorgung und den Forschungsstandort Deutschland in Gefahr. Institutionen und Unternehmen würden sich anderen Ländern zuwenden, in denen sie einfacher an die Daten herankommen.
Mit der ePA sollen Ärzt:innen die Daten ihrer Patient:innen an einem zentralen Ort digital ablegen. Das betrifft etwa Befunde, Röntgenbilder oder eingenommene Medikamente. Behandler:innen und auch die Versicherten selbst könnten dann darauf zugreifen. Zudem sollen auch Forschungsinstitutionen und Industrie diese Daten pseudonymisiert nutzen können.
Lauterbach hofft, dass sich die medizinische Versorgung damit verbessert: einerseits durch eine bessere Forschung. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege, der Krebsforscher Michael Hallek, erinnerte bei der Vorstellung der Pläne, dass Deutschland sich in der Pandemie an Daten und Studien aus dem Ausland habe orientieren müssen. Auch in der Krebsforschung sei man aufgrund des Mangels an Gesundheitsdaten weit zurückgefallen.
Alle Daten sofort verfügbar
Auf immer wieder geäußerte Datenschutzbedenken erwiderte Lauterbach, dass die pseudonymisierten Daten nur auf Antrag und nur für gemeinwohlorientierte Forschungszwecke freigegeben würden – Kriterien würden noch festgelegt, die Patient:innen könnten dem auch widersprechen. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Ulrich Kelber, wollte sich aktuell nicht äußern.
Andererseits soll mit der ePA die Patient:innenversorgung auch im Alltag effektiver werden, indem sämtliche Daten eines Patienten, etwa beim Besuch einer neuen Fachärztin, sofort verfügbar sind. „Wir nehmen bislang täglich Fehlmedikationen und Doppelbehandlungen in Kauf, weil Patientendaten nicht verfügbar sind“, so der Arzt und Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen (Grüne) zur taz. Daher sei die Einführung der ePA absolut im Interesse der Patient:innen.
Auch für die Versicherten soll die Transparenz steigen, da sie selbst auf die Daten zugreifen können. Doch das Prinzip, nach dem sie ohne aktive Zustimmung direkt eine ePA eingerichtet bekommen, stößt auch auf Kritik – etwa bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht torpediert werden“, so Vorstand Eugen Brysch. „Es gilt zu akzeptieren, dass nicht jeder ein Tablet besitzt oder das Internet nutzt.“
Derzeit ist vorgesehen, dass die Versicherten vorrangig per App auf ihre Daten zugreifen sollen. Bei einem Teil der Versicherungen ist auch ein Zugriff via PC möglich, allerdings bietet der nicht den vollen Nutzungsumfang. Versicherte könnten zudem Zugänge für Angehörige ermöglichen, die die Datenverwaltung übernehmen.
Ärzt:innen machen Druck
Laut dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat die ePA „das Potenzial, zum Herzstück eines digital modernisierten Gesundheitswesens zu werden“. Allerdings müssten Ärzt:innen verpflichtet werden, die ePA auch zu befüllen.
Die Vorsitzende des größten Ärzt:innenverbands Marburger Bund, Susanne Johna, betonte, wie dringend nötig die Einführung sei. Sie müsse aber so gestaltet sein, dass sie die Arbeit der Ärzt:innen erleichtere und nicht erschwere. Auch bei der kassenärztlichen Bundesvereinigung warnt man vor einer unausgereiften Umsetzung. Tatsächlich ist vor allem die Frage, wie bereits vorhandene Befunde in die ePA gelangen sollen, noch nicht abschließend geklärt, wie Lauterbach einräumte.
Nach dem Willen des Gesundheitsministers soll es jetzt dennoch schnell gehen mit den Neuerungen, die auch den breiten Einsatz elektronischer Rezepte ab dem 1. Januar 2024 vorsehen. Er plane die beiden nötigen Gesetzesvorhaben „in den nächsten Wochen“ vorzustellen, so Lauterbach. Mit größerem Widerstand aus der Patient:innenschaft rechnet er nicht: In Österreich hätten bei einem entsprechenden Vorhaben gerade mal 3 Prozent der Menschen der elektronischen Akte widersprochen.
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