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Die kommenden KoalitionsverhandlungenVertrauen geht vor Details

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Die Ukraine-Hilfen und der Zollstreit bringen die angehende Koalition in finanzielle Bedrängnis. Jetzt ist Vertrauen zwischen Union und SPD gefragt.

Miersch, Esken und Klingbeil auf dem Weg zu Sondierungsgesprächen im Jakob-Kaiser-Haus Foto: Michael Kappeler/dpa

S chon direkt nach der Wahl war klar, dass die SPD im deutschen Machtspiel als einzig mögliche Juniorpartnerin von Friedrich Merz die Arschkarte gezogen hat. Jetzt wird deutlich: Das war untertrieben. Nicht Merz ist das Hauptproblem, sondern Donald Trump. Die nächste Bundesregierung wird wegen des radikalen Kurswechsels der alten Schutzmacht USA tiefgreifende Entscheidungen treffen müssen. Es drohen Aufrüstungszwänge und Verteilungskämpfe, die sich liberale DemokratInnen in ihren schlimmsten Albträumen nicht hätten vorstellen können. Das erfordert ein Umdenken.

Noch nie seit 1949 standen angehende Koalitionsparteien so unter Zeit- und Handlungsdruck wie jetzt Union und SPD. Nach dem Stopp der US-Hilfe für die Ukraine müssen sie dem angegriffenen Land noch mehr beistehen, ohne dabei einen Krieg mit Russland zu riskieren. Als wäre das nicht schwer genug, müssen sie sich auch noch auf einen Zoll- und Handelskrieg einstellen. Allerdings ist völlig unklar, was dessen Auslöser Trump als Nächstes tut. Auf jeden Fall braucht die angehende Koalition viel Geld.

Um auch international sofort finanzielle Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, liegt ein Beschluss mit der alten Bundestagsmehrheit näher als lange Verhandlungen mit der neuen. In normalen Zeiten käme ein solcher Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln nicht infrage. Aber er ließe sich vielleicht verzeihen, wenn die weltpolitische Notlage zu einer innenpolitischen Läuterung führt.

Union und SPD müssen verstehen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Merz darf auch im hintersten Hinterkopf nicht mehr mit der AfD liebäugeln. Und die SPD darf sich nicht mehr von jedem fiesen Halbsatz der Union provozieren lassen. Wichtiger als der genaue Inhalt des Koalitionsvertrags ist ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen. Detaillierte Verabredungen sind in einer unberechenbaren Trump-Welt ohnehin nicht lange haltbar. Das Schweigegelübde der VerhandlerInnen ist ein erster Vertrauenstest. Wird er bestanden, sollten sie möglichst schnell regieren. Und ja, man muss ihnen dabei mangels demokratischer Alternativen viel Glück wünschen.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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13 Kommentare

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  • Die Schattenflotte weiß längst, daß wir im Krieg sind, die russischen Hacker auch..

  • Wenn die SPD die 551 Fragen nicht beantworten mag ist ihr nicht zu trauen. Wenn Merz das hinnimmt ist ihm auch nicht zu trauen. Aber spielt keine Rolle, die Wahl ist gelaufen. 800 Milliarden Schulden 3 Tage nach der Wahl aus dem Hut zu zaubern und mit abgewählter Mehrheit der vermeintlich hierfür nicht ausreichenden neuen Mehrheit in spe zuzuschustern ist das Ende jeden Vertrauens. Und komm dem Wähler niemand mit der Ukraine, der Krieg läuft seit Jahren. Das Geld kommt zu spät für die Ukraine und auch für die Bundeswehr oder die Infrastruktur werden es die bekannten Stümper planlos verschleudern. Am Ende haben wir nur eine Billion mehr auf dem Deckel.

  • Danke für diesen Artikel.



    Ja, jetzt heißt es erwachsen werden.



    Für uns Alle, incl. Friedrich Merz.



    Wir haben uns lange im Schutz der USA getummelt und machmal auch laut über sie gegrummelt.



    Nun ist dieser Schutz mehr als fraglich geworden.



    Da heißt es ein wenig , Parteipolitik hinten anzustellen.



    Es ist ein gutes Zeichen, dass Merz die Schuldenbremse, die er ewig vor sich her getragen hat, nun auch reformieren will.



    Das Sondervermögen ist ein guter, erster Schritt.



    Es wäre auch für die Grünen zeitgemäß, dem zuzustimmen.



    Die momentane Kritik halte ich für überflüssig.



    Wenn gegen gesellschaftliche Spaltung vorgegangen werden soll, dann sollten gemeinsame Schritte auch gemacht werden, wenn sie sich anbieten.



    Die CSU schießt mit der Forderung dieses Jahr den Wehrdienst einzuführen, über das Ziel hinaus. Das ist völlig unrealistisch, da dafür die Infrastruktur fehlt. Der Pistorius Plan ist da sinnvoller. In einer Zeit, in der die Bedrohung wächst, müssen wir lernen uns selbst zu verteidigen. Das beginnt mit dem Wehrdienst.



    Die CSU hat diesen abgeschafft, daher sollte sie sich ein wenig zurück halten.



    Es wäre sinnvoll, wenn Pistorius den Job behält und die Reform fortführt.

  • "Vertrau mir", "vertrau mir", sagt die Schlange.



    Mit den Apfel der Erkenntnis lockend ...

    • @Bolzkopf:

      Äpfel? ...find ich gut!



      Mir ist Erkenntniss auch Wichtiger, als Leben in wabernder Sinnlosigkeit.



      Wer das möchte, dem/der stehen ja weiterhin eine Anzahl an legalen und illegalen Drogen zur Verfügung.



      In meinem Augen ist die Realpolitik, die gerade in Windeseile auf die neuen Verhältnisse reagiert, genau richtig.

  • " Jetzt wird deutlich: Das war untertrieben. Nicht Merz ist das Hauptproblem, sondern Donald Trump."

    ach nee, und alle sind total überrascht. Ich bins nicht, was man von Trump erwarten kann hatte er (1) vorher schon gesagt und (2) kann man aus seiner vorherigen Amtsszeit ablesen dass er das auch tatsächlich durchziehen wird. Wer hier überascht wird, hat nicht zugehört und wollte nichts verstehen, Was man von Merz auf der anderen Seite erwarten kann ist auch klar, wenig bis nichts nämlich. Er ist halt ein Umfaller ohne Richtung, auch das hat er vor der Wahl deutlichst gezeigt.

  • Auf Bundesebene, in NRW, sogar in Düsseldorf lügt die CDU und hält sich nicht an Absprachen. Diese Partei ist so vertrauenswürdig wie Putin.

  • Tja und schon hat Fritze einen 2ten Vornahmen > Pinocchio

  • Wenn man nicht mehr weiter weiß, rückt plötzlich der Faktor "Vertrauen" in den Vordergrund.



    Die leider völlig unterschätzte Basis einer jeden Demokratie.



    Wie soll es denn ohne überhaupt gehen?

  • Man kann es auch so sehen: Diese beiden Parteien der alten Bundesrepublik haben eine letzte Chance bekommen zu beweisen, dass sie auch in die neue gehören.

    Die Zeit läuft ihnen wortwörtlich in jeder Hinsicht davon (allein ihre Mitglieder und Wähler werden jedes Jahr weniger).

    Was jetzt zu tun ist:

    - Löst das Wohnungsproblem.

    - Schafft sichere und gutbezahlte Arbeit für Junge.

    - Arzt- und Krankenhausbesuche sollten keine Horrortrips mehr sein.

    - Bringt Schulen und Kitas in Ordnung (Kooperationsverbot ist mir egal, find a way).

    - Macht Europa unabhängig und resilient, aber haltet es demokratisch und im Einklang mit den Menschenrechten.

    - Schützt das Klima und macht vor allem Deutschland auch hier weniger anfällig.

    - Modernisiert Infrastruktur und Wirtschaft.

    Macht dafür gerne Imvestitionsschulden, lasst aber endlich auch mal die Profiteure unserer Wirtschaftsordnung ihren Beitrag leisten.

    Wenn diese kleine "Große" Koalition das in Ansätzen hinbekommt und ihr das Land (oder die Welt) bis 2029 nicht um die Ohren fliegt, dann können diese beiden Parteien auch bei jungen Menschen noch eine Rolle spielen.

    • @Stavros:

      Das wäre wirklich traumhaft, nur fürchte ich, mit einem F. Merz ist das nicht zu machen.



      Soziales interessiert den nicht.



      Ansonsten ist die CDU vor allem für eines bekannt: vor der Wahl und nach der Wahl haben nichts miteinander zu tun.

  • Voll gut! Vertrauen in einen Kanzler, der die Demokratie unterhöhlt indem er mit den Faschos kokettiert und deren Verschwörungsglaube vom deep state mit 551 unsäglichen Fragen gegen die Zivilgesellschaft befeuert...

    • @Hannes Hegel:

      Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vor allem im Falle der CDU. Die Opposition wird ihm scharf auf die gierigen Finger schauen müssen. Schauen wir mal, wie das Investitions-Sondervermögen in der Realität aussehen wird. Ich glaube nicht, dass es Deutschland vor Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich bewahren wird. Und die wären extrem notwendig.



      Und Sondervermögen sind an Investitionen gebunden. Und aus einem mir nicht ersichtlichen Grund gelten z.B. die Gehälter von LehrerInnen nicht dazu. D.h., wenn es gut läuft haben wir top renovierte Schulen ohne Personal.



      Gehst Du zur CDU, vergiss die Peitsche nicht! Sagt schon Nietzsche.