Die Zukunft der Ukraine: Mehr Diplomatie oder mehr Waffen?
Während die BRD Hilfen für die Ukraine verstärkt, stehen Gelder aus den USA auf der Kippe. Doch eine Niederlage gefährdet die ganze westliche Welt.
D a sage mal jemand, der grüne Vizekanzler Robert Habeck habe bei seinem Solidaritätsbesuch in Kyjiw am Donnerstag dieser Woche nicht vollen Körpereinsatz gezeigt. Eine Zugfahrt in die ukrainische Hauptstadt ist beschwerlich, macht jedoch sinnlich erfahrbar, wie nah uns dieser Krieg mitten in Europa ist.
Die Ukraine brauche jede Unterstützung „in ihrem Kampf um Freiheit“, sagte Habeck. Das klingt zwar floskelhaft, ist aber darum nicht weniger wahr. Die Äußerungen von Boris Pistorius (SPD) im Magazin Focus dürften viele Ukrainer*innen ebenfalls aufmerksam registriert haben.
Der Bundesverteidigungsminister hält einen Sieg der Ukraine immer noch für möglich, allerdings müsse alles dafür getan werden. Und Kanzler Olaf Scholz? Er hat nicht nur die Lieferung eines weiteren Patriot-Systems eingetütet, sondern wirbt jetzt auch bei den anderen Nato-Partnern, es Berlin gleichzutun.
Es bewegt sich wieder etwas – aber, um es im Politiker*innensprech zu sagen, den schon niemand mehr hören kann: Wir müssen uns ehrlich machen. Es pressiert, die Zeit läuft ab.
Militärisch steht der Ukraine, die jeden Tag Tote und Verletzte zu beklagen hat, das Wasser bis zum Hals. Der Aggressor Russland konnte in der Ostukraine in den vergangenen Wochen einige Geländegewinne verbuchen. Systematisch wird kritische Infrastruktur unter Beschuss genommen – aus Moskauer Sicht erfolgreich. Ein Großteil der Wärmekraftwerke ist zerstört.
Dienst in der Armee kein Selbstgänger
Charkiw wird ständig angegriffen. Die Großstadt im Osten, die russische Truppen 2014 nicht einzunehmen vermochten, unbewohnbar machen – so lautet offenbar das vom Kreml ausgegebene Kriegsziel. „Menschenmaterial“, das in der Ukraine verheizt werden kann, hat Wladimir Putin (noch) genug. Ein Leben in Russland zählt nichts.
Demgegenüber ist die Ukraine in der Defensive. Es mangelt an Munition, Waffen – vor allem Luftabwehr – sowie Soldat*innen. Nach jetzigem Stand laufen die ukrainischen Truppen Gefahr, nicht einmal die aktuellen Frontlinien halten zu können. Um Änderungen des Mobilisierungsgesetzes, das Präsident Wolodymyr Selenskyj erst vor Kurzem unterzeichnet hat, wurde lange gerungen.
Es zeigt, dass der Dienst in der Armee kein Selbstgänger ist. Das gilt umso mehr in einem Land, in dem es, anders als in Russland, eine wache, agile, jedoch zusehends erschöpfte Zivilgesellschaft gibt. Hinzu kommt eine wachsende Verunsicherung ob der Verlässlichkeit der westlichen Verbündeten.
Was passiert, wenn das US-Repräsentantenhaus an diesem Wochenende die avisierten Hilfsgelder in Höhe von 61 Milliarden Dollar nicht freigibt? Was, wenn sich zugesagte Waffenlieferungen verzögern? Was, wenn die Ukraine im Falle einer Eskalation des Konflikts im Nahen Osten zu einem Nebenkriegsschauplatz wird? Schließlich ist die Aufmerksamkeit schon jetzt ein knappes Gut. As long as it takes?
Leute wie die Politikerin Sahra Wagenknecht haben darauf eine klare Antwort: Nein. Da der Krieg auf dem Schlachtfeld auf absehbare Zeit nicht entschieden werden könne, müsse die Stunde der Diplomatie schlagen, um das Sterben zu beenden.
Im Krieg mit dem „kollektiven Westen“
Abgesehen davon, dass sich vor allem die Ukrainer*innen nichts sehnlicher wünschen als das, muss diese Forderung für sie wie Hohn klingen. In diesem Krieg, den Russland vom Zaun gebrochen hat, geht es für die Ukraine um nichts weniger als ums Sein oder Nichtsein.
Nicht nur das wird wegignoriert. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, worüber mit Russland verhandelt werden soll. In diesem Punkt lässt Moskaus Position an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Verhandeln ja, aber nur zu unseren Bedingungen. Im Klartext bedeutet das: die Menschen, die unter russischer Besatzung Gewalt, Zwang und Repressionen ausgesetzt sind, aufzugeben und hinzunehmen, dass sie nicht die letzten sein werden.
Doch mit der Ukraine könnte der Wahnsinn nicht aufhören. Moskau sieht sich schon längst mit dem „kollektiven Westen“ im Krieg. Der Kreml maßt sich eine Deutungshoheit an, die das Argument von westlicher Seite, die Nato müsse jede einzelne Waffenlieferung genau abwägen, um keinesfalls Kriegspartei zu werden, entkräftet.
Fehler aus der Vergangenheit vermeiden
Die politischen Entscheidungsträger in Europa und den USA müssten entscheiden, ob sie dieses Eskalationsmanagement fortsetzen oder sich auf einen Sieg der Ukraine festlegen wollten, schreibt der ukrainische Politikwissenschaftler Mykola Bielieskow in einem Beitrag für die Website der US-Denkfabrik Atlantic Council.
„Wenn die Ukraine nicht über die nötigen Mittel verfügt, um Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, wird Putin einen historischen Sieg erringen, der das internationale Sicherheitsklima verändern wird. Wenn das passiert, wird der heutige Akzent der Vermeidung einer Eskalation als der größte geopolitische Fehler seit der Appeasementpolitik der 1930er Jahre angesehen werden.“
Ein Fehler, der noch zu vermeiden wäre, wenn die Menschen denn aus der Geschichte gelernt hätten. Doch das ist schon öfter schiefgelaufen. Leider.
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