Die Wahrheit: Schlimm, schlimm!
Kommt jetzt das „Bündnis Luisa Neubauer“? Und was macht eigentlich die ausgetretene grüne Jugend? Ein Insider-Bericht.
Jede und jeder weiß es, irgendwann kommt einmal der Tag, an dem die Kinder das Haus verlassen. 18 lange Jahre gehen mit einem Fingerschnips, einem Fußtritt und einer erleichtert ins Schloss fallenden Haustür unwiederbringlich zu Ende; und was dann kommt, wissen alle: Die Kinderzimmer werden entmüllt und umgewidmet, meist zu solch gewinnbringenden Räumlichkeiten wie Nähzimmern oder Hobbyräumen, nur die ersten Wochenenden dräuen noch mit Pushbacks und Wäschesäcken, aber auch das vergeht. So ist das Leben. Also die Realität. Denn die war schon immer so und wird immer so sein. Es ändert ja auch niemand was daran.
Apropos, wie läuft das denn in der Politik? Die Zeitung war in den letzten Wochen voller Schlagzeilen, und ganz unten, irgendwo unter Vermischtes, da stand es dann: „Grüne Jugend tritt aus“. Bereits fünf Landesvorstände der bundesdeutschen Jugendabteilungen der Grünen Partei haben in den letzten vierzehn Tagen das grüne Handtuch geschmissen, Tendenz steigend, und sind aus dem Grünen Haus der „Mutterpartei“ ausgezogen.
Aber warum? Echt darum? Wegen Abi gemacht und jetzt lockt die große Welt des endlosen Studiums, der Erstsemesterpartys, der billigen Drogen und WGs mit Putzplan und Plenum im Moloch der Großstadt? Quo vadis, junge Grüne? War das jetzt alles zu viel des Grünen?
Schauen wir einmal auf die Begrünungen, nein, Begründungen der hinter den Ohren Grünen. Angeblich behagt der Grünen Jugend alles Grüne nicht mehr – von der grünen Wiese bis zum grünen Schleim. Keine froschgrünen Frösche mehr, die behutsam über die Datenautobahnen getragen werden, keine Topfpflanzen am Veggie Day.
Nicht mehr wärmepumpengepampert nächtigen
Fünf Landesvorstände sind gegangen, und täglich werden es mehr. Was ist da nur los? Was machen all die Katharinas, Franziskas, Steffens und Larse denn jetzt, wo sie nicht mehr unter dem mittelständischen Obdach der Mutterpartei wohlbehütet und wärmepumpengepampert nächtigen?
„Ich verlasse die Grüne Partei, weil sie nicht bereit ist, sich mit den Reichen und Konzernen anzulegen, um die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu ändern“, sagt Katharina. Und Lars erklärt: „Das, wofür wir kämpfen, lässt sich an diesem Ort nicht erreichen. Stattdessen trägt die Partei Sozialleistungskürzungen und Asylrechtsverschärfungen mit und fördert so gesellschaftliche Spaltung.“ Oh, sorry, das war ja Echttext jetzt! Tschuldigung, das war nicht so geplant. Regie!
Sagen wir also lieber, die Grüne Jugend „achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte“, ganz so, wie es die Sumerer schon im Jahr 3000 vor unserer Zeitrechnung gewusst und in Stein gemeißelt haben. „Shame, shame, shame!“, skandieren da die enttäuschten Eltern via Zoom. „Zoo statt Zoom!“, kontert da die Jugend!
Denn was heißt schon „übernommene“ Werte? Überkommene! Und ist die Jugend nicht schon immer so gewesen? „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten“, und zwischen diesem Stein der Weisen aus Babylon und dem der Sumerer von weiter oben im Text lagen auch noch mal schlappe 2.000 Jahre!
Die Eltern jedenfalls weinen nicht. Die Jungen haben endgültig ausprotestiert. Jetzt sind und werden sie ausgezogen, die Zimmer werden schnellstmöglich renoviert, die Wände lindgrün gestrichen, und bald ziehen schon die neuen Kader und Kadetten ein. Mutter Renate sieht das mit den Seitenwänden sowieso ganz gelassen: „Wer so Sozialismus-Ideen hatte, war von Anfang an bei den Grünen falsch.“
Klar, den Grünen ist es nie um die Befreiung des Menschen gegangen, höchstens um die der Umwelt. Ansonsten geht es den Eltern ja immer um die Realität, um Realpolitik. Also darum, alles mitzutragen, was von den Großeltern aus SPD und FDP oder CDU verlangt wird. Kurzum: um Aufrüstung und Ausländer raus. Und um Sozialabbau, wenn mal wieder danach gefragt wird, wie dieser Tage erneut beim Unmündigebürgergeld. Umwelt nur, wenn das irgendwie Geld oder Prestige bringt oder gut für die Wirtschaft ist oder gerade der Zeitgeist danach hängt.
Klimawandel, das interessiert am Ende des Tages beziehungsweise aller Zeiten doch wieder nur die aus der Klimablase. „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer“, wusste bereits Sokrates 500 Jahre nach den Babyloniern.
Also, Grüne Jugend, was tun? Erst mal Entziehungskur, sagt Lisa, nach den Klimaprotesten sind viele auf Klebstoff hängen geblieben. Dann muss eine neue Dachorganisation her, eine eigene. Also nicht „Grüne Junge Erwachsene“, sondern irgendwas „links Orientiertes“, wie Katharina und Lars meinen. Eine neue Partei! „Und dabei von rechts lernen“, heißt es anonym. AfD und BSW hätten es vorgemacht, warum sollte so was nicht auch für die Grüne Jugend gehen? Also „Bündnis Luisa Neubauer“?
Nee, nee, das kann man nicht nach draußen verkaufen. „Alternative Liste für Deutschland“? Gar nicht schlecht, aber man ist ja gar nicht für Deutschland, sondern eher gegen. Irgendwas mit Farben? Die Violetten, die Blauen, die Grauen? Gab es alles schon, hat auch keine Wähler hinter dem Heizungsgesetz hervorgelockt. „Die Linke“ wäre doch eine Idee! Ah, die gibt es schon. Obwohl, auch nicht mehr lange.
Gucken wir nach Österreich. Da sind schon viele junge Grüne komplett und geschlossen zur KPÖ abgewandert, in Deutschland gibt es keine kommunistische Partei, und die, die es gibt, ist ungefähr so interessant wie die MLPD. Immer diese Abkürzungen aber auch!
„Bewegung“ wäre natürlich auch eine Option. Eine Bewegung, besonders eine Jugendbewegung, wollten doch alle mal sein, oder ein Teil davon, so eine Bewegung hat schließlich was Mobiles, das geht nach vorne, fast so wie Aufstehen. „Die Klimabewegung“, das wäre ein geiler Name für das Ding! Oder ist das zu offensichtlich? Schwierig. Und währenddessen hören die Probleme da draußen einfach nicht mehr auf! Kriegerische Zeiten sind das!
Ach, wo soll das alles nur hinführen! Sagen wir es mit den Chaldäern, einem semitischen Volk von vor über 4.000 Jahren: „Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Geopolitik der US-Wahlen
Am Ende der alten Welt
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Krieg im Libanon
Netanjahu erhöht den Einsatz