Die Grünen in der Regierung: Da hilft keine Kapitalismuskritik
Während Aktivistinnen von Weltrevolution träumen, suchen die Grünen nach Instrumenten für funktionierende Gebäudedämmung. Gut so?
A n einem Freitagabend im Januar treffen sich sieben Klimaaktivistinnen diverser Organisationen in Berlin-Kreuzberg, um bei einer Veranstaltung im Theater HAU die Lage zu skizzieren. Ein Mann ist auch noch dabei. „Kapitalismus, Kolonialismus, Extraktivismus“, sagt die Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma. Nirgends sei das so verwoben wie in der Autoindustrie, „aber wenn man diese Worte sagt, hat man vermutlich schon 95 Prozent der Gesellschaft verloren.“
Es wird nicht ausgeführt, ob sie damit sich selbst kritisiert oder die dummen Leute, die es nicht checken. Jedenfalls wird an diesem Abend klar, dass die Protestbewegungen offenbar erstens ziemlich ratlos sind und zweitens (daher?) umso entschlossener, den ganz großen Klassenkampf zu beschwören, global und intersektional. Die Milliarden der Wachgewordenen sollen die global agierenden Unternehmen weltweit in die Knie zwingen. So heißt es.
Ja, ist denn schon wieder 1968 – oder immer noch?
Zwar wird völlig zu Recht beklagt, dass die demokratischen Parteien in Deutschland sich im Wahlkampf zu 1,5-Grad-Politik bekannt hätten, ohne dafür einen Plan zu haben. Doch über politische Instrumente zur Linderung der Erderhitzung wird an diesem Abend im HAU überhaupt nicht gesprochen, nicht mal über das Klimagesetz der EU. Geschweige denn über Unternehmertum, Ideen, Erfindungen.
Von Dutschke zu Habeck
Selbstverständlich haben Protestbewegungen eine bestimmte Rolle und Funktion. Aber an so einem Abend im Theater fragt man sich schon, ob nicht nur liberale Demokratie und politische Kultur, sondern gerade auch der Protest sich zur Bewältigung einer imminenten Krise schleunigst neu und realitätsnaher aufstellen sollte.
So gesehen sind ausgerechnet die aus Protestbewegungen hervorgegangenen Grünen womöglich schon einen Schritt weiter; von Rudi Dutschke zu Robert Habeck, vom Weltrevolutionsgeraune zum konkreten Ausbau der Erneuerbaren und der Umgestaltung des Strommarktdesigns.
Der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister ist in den ersten Monaten der neuen Bundesregierung ohne Zweifel ihre öffentlich herausragende Figur, obwohl die Partei nur von marginalen 14,8 Prozent gewählt wurde. Während der Vizevizekanzler Christian Lindner (FDP) das Geld bewachen oder raustun darf, und Kanzler Olaf Scholz sich öffentlich zurückhält, hat Habeck mit bewährtem Pathos die ökosoziale Marktwirtschaft ausgerufen und beschrieben.
Es ist das zentrale Projekt dieser Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP, und es ist politisch ungewöhnlich, weil es nicht Mehrheiten hinterherdackelt, wie die deutsche Politikkultur das nicht nur Angela Merkel vorgeschrieben hat. Es ist riskant. Es will Mehrheiten gewinnen, während es sich vollzieht. Kurzum: Das kann krachend scheitern, und genau deshalb kann es auch etwas werden.
Habeck holt den Jackpot
Obwohl Habeck erst nicht recht wollte, hat sich schnell gezeigt, dass dieses Ministerium für Wirtschafts- und Klimapolitik der Jackpot sein könnte, sowohl für die Gesellschaft als auch für die Grünen; falls Habeck das sozialpolitisch so ausbalancieren oder aufziehen kann, dass Scholz und Lindner in relevantem Ausmaß mitgehen oder es zumindest zulassen müssen.
Aber wie kriegt man die asozial-fossile Politik (Dienstwagenpauschale und vieles andere) umgedreht? Da hilft keine Kapitalismuskritik, da braucht es neue Ideen und kompetente und innovative Gesetzestechnik. Darum geht es jetzt um Instrumente, die den Unterschied machen.
Selbstverständlich ist das für die Klimaaktivistinnen im HAU alles zu wenig, definitiv nicht der „Systemwechsel“, von dem sie träumen oder zumindest sprechen, bestenfalls „grüner Kapitalismus“. Aber die „Überwindung“ der Marktwirtschaft steht definitiv nicht an – außer durch autoritäre Systeme – sehr wohl aber die Überwindung der fossilen Industriegesellschaft.
Das Relevante und gleichzeitig Verstörende für manche Linksliberale wie auch Turboliberale besteht darin, dass Habeck Zukunftspolitik eben nicht als Verzichts- und Verbotsorgie anlegt (was auch nur ein Unsinns-Phantasma ist), sondern Unternehmertum und Leistung will, die sich auf der Grundlage neuer Politikinstrumente entfalten können.
Das schwierige Wort: Leistung
„Leistung“ ist ein schwieriges Wort für alle Grünen, die von Benachteiligungen her denken, weil die Privilegien nicht eingepreist scheinen, die Leistung zugrunde liegen können. Gleichzeitig ist es aber so: Wenn man sich selbst ernst nimmt in der Beschwörung der kurzen Zeit, die uns bleibt, dann muss man die Leistung jetzt von all denen einsammeln, die sie bringen können und ihnen den Rahmen dafür geben, und zwar politisch wie emotional-kulturell.
So hat Habeck, der ja Obama in Sprechen und Coolsein nacheifert, in einer „Yes, we can“-Einstandsrede nicht nur die jungen Grünen Weltretterinnen adressiert, sondern auch den FDP-Jungs mit den Aktenköfferchen gesagt, dass sie in dieser Gesellschaft gebraucht werden, dass sie hier etwas leisten können und dafür etwas bekommen werden, und zwar nicht nur Geld, sondern auch Wertschätzung.
Grüne und FDP haben bei den Unter-30-Jährigen eine absolute Mehrheit, die Rentnerparteien SPD und Union sind hier auch offiziell bereits Vergangenheit. Wenn es gelingt, diesen Führungsparteienwechsel nicht im selbstgefälligen Antagonismus der derzeit noch herrschenden Kultur zu belassen und ein grün-gelbes Bündnis der Jungen zu schließen, dann kommt die Bundesrepublik in einen neuen kulturellen und politischen Aggregatzustand und kann noch einmal Fahrt aufnehmen.
Selbstverständlich kann da aber viel dazwischenkommen, engagierte Kräfte werden daran arbeiten. Nicht zuletzt, wie wir sie kennen, innerhalb der Grünen.
Wer hat's verloren…?
Die entschlossene Ignoranz gegenüber den Gründen für die am Ende krachend verlorene Bundestagswahl zeigt, dass die Kretschmannisierung und Habeckisierung der Partei, also die emanzipatorische Entwicklung hin zur Gesamtgesellschaft, die Positionierung weg vom gesellschaftlichen Rand und hin zur ökologischen Wirtschaftspartei dort an die Grenzen stößt, wo die Konturierung der eigenen Identität und Marke die Betonung angeblich negativer Seiten des Mainstreams notwendig macht.
Die Merkel-Mittianer, die Scholz gewählt haben, haben das auch wegen Annalena Baerbock gemacht, das muss man verstehen und darf es nicht reduzieren auf eine reflexhafte Anklage gegen die angeblich misogyne Gesellschaft.
Es ist kein Zufall, dass die designierte Parteivorsitzende Ricarda Lang, 28, ihren Aufstieg auch einer Minderheitenkonturierung verdankt, was sowohl durch den Status als Darling der sogenannten Parteilinken als auch durch ein desaströses Erststimmenergebnis bei der Bundestagswahl bestätigt wird. Aber Lang ist auch eine negative Projektionsfläche der sogenannten Realos, insofern sollte man sie erst mal machen lassen und dann urteilen.
Selbstverständlich gibt es aber Leute, die sich von ihr erhoffen, das ideale Grün zu schützen und zu bewahren, gegenüber den grünen Ministern und Staatssekretärinnen, die der Realität verpflichtet sind und von ihr getrieben werden.
Reale Ideale
Es wird genügend Momente geben, wo Ideale und Realität, Vergangenheit und Gegenwart aufeinanderprallen werden. Etwa, wenn der deutsche Beitrag zu europäischer Machtpolitik neu bestimmt werden muss. Oder wenn eine Laufzeitverlängerung für die letzten deutschen Atomkraftwerke bevorstehen sollte.
Man weiß es nie genau, aber es spricht doch etwas dafür, dass die Grünen zwei Jahrzehnte nach ihrer ersten Regierungsbeteiligung verstanden haben, dass sie die Welt nicht „retten“ können, sondern nur kleine Spielräume haben, aber dass man die jetzt nutzen muss.
Das heißt nicht, dass die Partei nun schweigend zuzusehen hat, wie ihre Minister wursteln. Aber das gute alte „Raus aus der Regierung“-Geheul zum Schutz des eigenen Seelenheils steht definitiv nicht mehr zur Verfügung. Die Grünen wurden gewählt, um zu regieren und mit der bundesdeutschen Gesellschaft etwas hinzukriegen, wie sie nun mal ist.
Weggeduckt haben sie sich lange genug. Und ihre Wähler übrigens auch.
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