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Die Ampel und ihre Impfpflicht-PläneErste Bauchlandung

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Kommt die Impfpflicht? Zumindest ihren gesetzten Zeitplan wird die Ampelkoalition nicht einhalten. Sie wiederholt damit die Fehler der Vorgängerregierung.

Keine Pflicht in Sicht: Damals-noch-nicht-Kanzler Olaf Scholz bei einem Impftermin im April 2021 Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

W ird es eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona geben? Wetten möchte man derzeit nicht darauf. Die Ampel-Koalition verabschiedet sich gerade scheibchenweise von ihrem ehrgeizigen Ziel, diese rasch einzuführen. Die FDP ist eigentlich schon raus, SPD und Grüne erbitten mehr Bedenkzeit. Die selbsternannte Fortschrittskoalition steuert auf ihre erste Bauchlandung zu.

Interessanterweise stolpert sie gerade über das gleiche Thema wie die späte GroKo. Hatte diese noch erklärt, es werde auf keinen Fall eine Impfpflicht geben, vollführte Olaf Scholz als Kanzler in spe die Wende und erklärte, diese komme im Februar oder März. Nun wird klar: Der Zeitplan ist nicht zu halten, die Impfpflicht womöglich auch nicht. Es wäre der doppelte Wortbruch – erst schließt die Große Koalition eine Impfpflicht aus, dann kriegt die nächste Regierung sie nicht hin.

Das liegt nicht so sehr am fehlenden Willen. Sondern daran, dass die langsamen Prozesse des Politikbetriebs, die forsche politische Kommunikation und das dynamische Infektionsgeschehen nicht zusammenpassen. Politische Prozesse brauchen Zeit, sie basieren auf Abwägung und Abstimmung, die Ergebnisse müssen am Ende rechtssicher sein und Bestand haben. Ein Virus aber, das sich ständig verändert und Schutzschilde unterwandert, ist der politischen Realität immer mehrere Schritte voraus.

Weniger Macherattitüde, mehr Demut

Das muss die Ampelkoalition nun schmerzlich erfahren. Erst hat sie mitten in der vierten Welle die Aufhebung der epidemischen Lage nationaler Tragweite beschlossen und war gezwungen, den eigenen Gesetzentwurf hastig nachzubessern. Dann verkündete sie die Einführung einer Impfpflicht, doch die Mutante Omikron zerstörte jäh alle Hoffnungen auf schnelle Eindämmung der Pandemie. Bremen, wo die Impfquote am höchsten ist, hat gerade auch die höchsten Infektionsraten.

Im Expertenrat ist man sich zwar einig, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt, der Virologe Christian Drosten betont, dass eine durchgeimpfte Bevölkerung auch für neue Virenvarianten besser gewappnet sein wird. Aber es zeigt eben auch, dass sich eine Impfpflicht nicht so einfach einführen lässt wie der Mindestlohn von 12 Euro. Und dass es sich rächt, den Bür­ge­r:in­nen Hoffnungen vorschnell als Gewissheiten zu verkaufen.

Scholz hatte übrigens auch angekündigt, den Stil der politischen Kommunikation ändern zu wollen, um nicht jeden Tag neue Nachrichten zu verkünden. Das könnte die Ampel tatsächlich sofort umsetzen: Weniger Macherattitüde, mehr Demut vor der pandemischen Notlage und auch mal das Eingeständnis, es noch nicht zu wissen.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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11 Kommentare

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  • Es scheint, als spiele die Koalition auf Zeit. Solange die Impfpflicht nur eine abstrakte Forderung ist, kann man sie leicht propagieren, aber der Teufel steckt im Detail, wenn es konkret wird:



    1. Zurzeit ist eine Impfpflicht verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigen, weil die aktuell verfügbaren Impfstoffe weder vor einer Infektion der Geimpften mit der Omikron-Variante noch andere Personen vor einer Infektion durch die Geimpften schützen. Es bleibt eigentlich nur der Schutz der Geimpften selbst vor schweren Verläufen, wobei allerdings zu beachten ist, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine "Freiheit zur Krankheit" gibt (s. hier: www.bundesverfassu...08_2bvr186617.html. Randnummer 72).



    2. Und es ist auch noch unklar, wie die Impfpflicht denn durchgesetzt werden soll. Eine richtige Zwangsimpfung soll es ja nicht geben, also bleibt nur die Verhängung von Geldbußen bei Verstößen. Da stellt sich die Frage, ob dann nur einmal eine Geldbuße festgesetzt werden soll oder immer wieder neu, solange die betreffende Person sich nicht hat impfen lassen. Bleibt es bei einer einmaligen Geldbuße, zahlen überzeugte Impfverweigerer die einfach, und nichts ändert sich. Und es fragt sich, ob die Erfüllung der Impfpflicht systematisch kontrolliert werden soll oder nur nach dem Zufallsprinzip.

    Statt diese schwierigen Fragen zu klären, wird einfach gewartet, bis wieder Frühling ist und die Inzidenzzahlen von allein wieder sinken oder die Herdenimmunität durch Omikron-Infektionen zustande kommt oder beides.

  • Die momentane Zustand in dem wir zwar bereits über Impfstoffe verfügen, die aber von der Omikron-Variante unterlaufen werden, sorgt offenbar für eine Menge Verwirrung.

    Bei der Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht sollten wir uns aber davon nicht kopfscheu machen lassen.

    Zwar ist das ursprüngliche Ziel, die Pandemie über eine Herdenimmunität zu überwinden unter diesen Prämissen nicht erreichbar. Aber da wir in der komfortablen Situation sind, schon in den nächsten 3 Monaten auf einen, für Omikron angepassten Impfstoff hoffen zu dürfen, sollten wir dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren.

    Ich denke wir sollten bei der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht auch langfristig denken, zumal die Erderwärmung das Geschehen nicht nur klimatisch beeinflusst, sondern auf allen Ebenen, also auch den Mikroebenen in denen sich Mutationen abspielen.

    Insofern geht es bei dieser Frage auch darum sich fit für die Zukunft zu machen.

    Andere Länder machen uns vor, dass Impfquoten von nahezu 100% möglich sind und es wird interessant werden zu schauen wieviel besser diese Länder durch die anstehenden Wellen kommen werden.

    Übrigens gäbe es (in der Zukunft) durchaus eine Möglichkeit den Konflikt zwischen den Geimpften und den Impfgegner zu entschärfen..und zwar so:

    sollte sich nach Omikron eine weitere Mutation einstellen, so ließe sich der Prozentsatz berechnen, der nötig wäre um eine Herdenimmunität zu erreichen. Dieser Prozentsatz könnte dann als Zielmarke dienen, verbunden mit der Botschaft: "wenn wir gemeinsam diese Marke erreichen, dann braucht es auch keine Impfpflicht".. Dieser Ansatz käme den Gegnern einer Impfpflicht entgegen, allerdings nur dann wenn diese auch der Zielmarke entgegen kämen und sich freiwillig impfen ließen.

    Ein solches beidseitiges Entgegen kommen würde auf die Selbstverantwortung aller setzen und entspräche insofern dem Grundgedanken des schwedischen Modells.

    • @Wunderwelt:

      "Die momentane Zustand in dem wir zwar bereits über Impfstoffe verfügen, die aber von der Omikron-Variante unterlaufen werden, sorgt offenbar für eine Menge Verwirrung. (...) Aber da wir in der komfortablen Situation sind, schon in den nächsten 3 Monaten auf einen, für Omikron angepassten Impfstoff hoffen zu dürfen, sollten wir dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren."

      Das Ding ist, dass ein "angepasster" Impfstoff an Omikron ein ganz neuer Wirkstoff mit theoretisch neuen Risiken ist. Und der muss wie alle neuen Medikamente die Phasen der Zulassung durchlaufen.

      Bei der Masern- und Pockenimpfpflicht war klar, um welchen Impfstoff es sich handelte und dass dieser wirkte. Bei Corona muss die Frage geklärt werden, welche Impfstoffe genau von einer Impfpflicht erfasst werden sollten. Die aktuellen, deren Risiken bekannt (und überschaubar) sind, die aber gegen Omikron nur mäßig wirken? Oder neue Impfstoffe, deren Risiken und Wirkung nicht in vollem Umfang absehbar sind? Ich möchte nicht vom Staat verpflichtet sein, alle 6 Monate einen neuen Impfstoff verabreicht zu bekommen, der gerade frisch aus der Phase 3 Studie kommt.

      "sollte sich nach Omikron eine weitere Mutation einstellen, so ließe sich der Prozentsatz berechnen, der nötig wäre um eine Herdenimmunität zu erreichen."



      Mit dem Wirkungsgrad der aktuellen Impfungen lässt sich keine Herdenimmunität erreichen (Quelle: Quarks), das Konzept der Herdenimmunität, der Ausrottung der Krankheit, ist überholt. Ziel ist es jetzt, die Covid-Pandemie endemisch werden zu lassen. D.h. die Krankheit verschwindet nie ganz, ein Großteil der Bevölkerung hat aber durch Genesung oder Impfung Abwehrkräfte entwickelt, damit die Krankheit nicht die Krankenhäuser überlastet. Ein Beispiel für eine solche endemische Krankheit ist die Grippe.

  • Na ja, wegen der Verschiebung um einen Monat muss man mE nicht gleich Zeter und Mordio schreien.



    Vielleicht ist es ja sogar politisches Kalkül: Die angedrohkündigte schnelle Einführung der Impfpflicht sollte die Leute an die Nadel locken (was ja in etwa geklappt hat). Und die zeitliche Verzögerung könnte eine gezielte Maßnahme sein die helfen soll, den Druck, der jetzt von der Straße kommt, aus dem Kessel zu nehmen. Zudem ist die Auswirkung der Impfpflicht eh erst zum Herbst relevant.



    Viel wichtiger scheint mir die Frage nach der Realisierung des Impfregisters zu sein. Da sehe ich CCC (zurecht) und FDP (wohlfeil) eine unheilige Verzögerungs-Allianz bilden.



    Das u.a. der Karneval als Verschiebungsgrund herhalten muss, ist indes eine Lachnummer, die auch von Armin Laschet hätte stammen können.

  • "Die selbsternannte Fortschrittskoalition steuert auf ihre erste Bauchlandung zu"

    Ist nicht die erste.

    1. Kein Tempolimit (Sondierungen), aber trotzdem ungeniert erklären, 2022 und 2023 würden die Klimaziele nicht eingehalten

    2. Auslaufenlassen der pandemischen Lage, Bundesnotbremse, Lockdowns nicht mehr möglich: "Impfen, impfen, impfen" ist die Devise (korrespondiert mit dem Artikel) - Gesundheitssystem vor dem Kollaps

    3. Humanitäre Katastrophe an der Grenze Belarus-Polen, Menschen erfrieren, Polen setzt bei Minustemperaturen Wasserwerfer ein, kein Zugang für Journalist:innen - Baerbock erklärt sich dennoch solidarisch mit der PiS-Regierung (die dortige AfD), sanfte (und folgenlose) Ermahnungen zur Rechtsstaatlichkeit.

    Merkel, in ihren letzten Tagen im Amt, telefoniert mit Lukaschenko, wenigstens ein wenig verbessert das die Lage (einige Unterkünfte) - und wird scharf von Nouripour kritisiert: „Die paar Leute, die jetzt in der Kälte stehen, die sind nicht das Problem. Das Problem ist der Erpressungsversuch.“ taz.de/Krise-an-be...r-Grenze/!5815401/

    Schäuble schlägt eine Aufnahme in Deutschland vor - keine Reaktion.

    Die "paar Leute" - Geflüchtete, die im Niemandsland zugrunde gehen, vor Weihnachten (!) wurde eine Schwangere erfroren in den Wäldern aufgefunden - kommen in der neuen "wertegeleiteten" Außenpolitik nicht vor, werden von Polen in AfD-Manier ungehindert (Baerbock: 'Solidarität gegen Lukaschenko') wie Feinde behandelt, mindestens 19 Tote.

    Das kann wan schon nicht mehr als "Bauchlandung" bezeichnen, es ist das Ende der grünen Menschenrechtspartei.

  • Ich würde sagen, wir checken einfach mal weiter was passiert, wenn wir mit schlechtem Impfstatus alles weiterhin fast alles offenhalten.



    Vor allem Diskos und Stadien, weil die sind ja nun wirklich systemrelevant.

    Hoffentlich kommt uns da bei diesem Großversuch nicht noch eine tödlichere Variante in die Quere.



    Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Länder, die eine Zero Covid Policy fahren, sind uns unterlegen, weil es dort weniger Freiheiten gibt ...

    • @neu_mann:

      Endless Forms Most Beautiful.

      Eine Sache, die ich durch diue Pandemie gelernt habe: roundabout 3/4 (vorsichtig geschätzt) der Deutschen haben - ziemlich unabhängig vom formalen Bildungsstand - keine wirkliche Ahnung, was ein Virus eigentlich ist, und wie die Teile funktionieren. Und sicherlich ein gutes Drittel von diesen 3/4 hat bereits arge Probleme, bis 3 zu zählen.

      Schön ist das nicht, wenn Darwin regelt, aber kann man nix mehr dran machen.

  • Die Frage nach einer Impfpflicht wurde aufgeworfen, lange bevor das erste Vakzin überhaupt verfügbar war. Das wäre der Zeitpunkt gewesen, sich in parlamentarischer Debatte über Bedingungen und Voraussetzungen klar zu werden. Stattdessen wurde das Thema erst monatelang unterdrückt und jedes Ansprechen auch nur der Möglichkeit verpönt, um dann plötzlich in einer Hauruckaktion über's Knie gebrochen zu werden. Kein Wunder, wenn das schiefgeht. In Deutschland werden grundlegende Gesetze nun einmal, zumindest in der Theorie, nicht von allmächtigen Autokraten auf den Verodnungsweg erlassen.



    Wenn man natürlich nicht auf den Inhalt einer Frage achtet und nicht erkennt, wie wichtig die frühzeitige Suche nach einer überzeugenden Antwort ist, sondern nur danach fragt, ob sie nicht von den Falschen gestellt wurde, dann sollte man sich über die absehbare Folge nicht wundern. Jetzt über mangelnde Zeit und die "langsamen Prozesse des Politikbetriebs" zu jammern ist in jedem Fall offensichtlich unwahr.

    • @Axel Berger:

      Ja klar wollte das niemand anpacken. Mit dem vor der vierten Welle ziemlich unattraktiven Thema Impflicht wollte keiner im Bundestagswahlkampf Wähler verprellen.

      Jetzt, wo ein Großteil geimpft ist und entgegen den Versprechungen das Ende der Beschränkungen auch für die vollständig Geimpften nicht in Aussicht ist, kann man damit ganz anders punkten.

      Das Thema oder eine Teilimpfpflicht für bestimmte Gruppen hätte man frühzeitig ehrlich in die Debatte einbeziehen müssen. Zumindest als Ultima Ratio. Dann könnte heute auch niemand gebrochene Versprechen beklagen.

    • @Axel Berger:

      "Stattdessen wurde das Thema erst monatelang unterdrückt und jedes Ansprechen auch nur der Möglichkeit verpönt[.]"

      Damit sagen Sie eine verdammte Menge darüber, welche Medien sie so konsumieren. In meinen Quellen war das Thema jedenfalls ziemlich durchgängig in der Diskussion, und da wurde nichts "unterdrückt", sondern noch der letzte Hirnfurz irgendwelcher versoffenen Käptn Iglos aus Rendsburg-Eckernförde in seiner ganzen ekelhaften Realitäts- und Fachfremde breitgetreten.

      Dass Merkel versucht hat, den Bundestag bei jeder Gelegenheit zu umgehen, und einem in der Verfassung gar nicht vorgesehenen exekutiven Klüngelclub zur höchsten Ersatzlegislative gemacht hat, hat nichts mit der Impfung zu tun - das war schlicht und einfach ihre generelle Leitlinie in der Pandemiepolitik (und vielleicht der Hauptgrund für all den Schlendrian).

      Was wäre denn im Sommer 2020 eine "überzeugende Antwort" gewesen? Dass zB der Moderna-Impfstoff - also der allererste Prototyp - direkt Jackpot war, und Biontech gut genug aber beim Langzeitschutz eher so meh, konnte wirklich kein Mensch wissen. Dass heterologe Impfung so dermaßen überlegen ist, war zwar naheliegend, aber selbst ein Drosten hätte sich damit nicht aus dem Fenster gelehnt, weil homologe Impfung das allgemein übliche Verfahren ist.