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Der rechtsextreme Täter von SolingenOhne Druck keine Polizeiarbeit

Yağmur Ekim Çay
Kommentar von Yağmur Ekim Çay

War der Täter in Solingen rechtsextrem? Wieder einmal hatte die Polizei das zunächst ausgeschlossen. Ohne Druck von allen Seiten scheint es nicht zu gehen.

Bei dem vorsätzlich gelegten Brand in einem Mehrfamilienhaus in Solingen sind vier Menschen gestorben Foto: Uwe Möller/imago

V or einem Jahr setzte ein 39-Jähriger in Solingen ein Haus in Brand und tötete damit ein türkisch-bulgarisch stämmiges Paar und seine zwei Kinder. Dutzende Mi­gran­t*in­nen im Haus wurden verletzt. Die Zivilgesellschaft in Solingen erinnerte die Behörden zu Recht an den Brandanschlag von 1993, bei dem vier Rechtsextreme fünf Mitglieder der Familie Genç ermordeten. Die Wuppertaler Behörden schlossen jedoch schnell ein rechtsextremes Motiv aus – es gebe keine Anhaltspunkte dafür, der Fall sei weitgehend aufgeklärt.

Doch nun stellt sich heraus, dass auf einer Festplatte in der Wohnung des Täters mindestens 166 Dateien gefunden wurden, die grausam rechtsextremes Material beinhalteten – von Bildern der NSU-Terroristin Beate Zschäpe bis hin zu NS-verharmlosenden Darstellungen. Dass die Behörden überhaupt auf diese Dateien stießen, war der Hartnäckigkeit Dritter zu verdanken – in diesem Fall der Nebenklägerin Seda Başay-Yıldız.

Doch es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden ohne externen Druck nicht von selbst auf den Gedanken kommen, dass ein Täter rechtsextreme Motive gehabt haben könnte. In Magdeburg ignorierten die Behörden jahrelang den rechtsextremen Täter – und waren dann überrascht, als es 2024 zu einem Anschlag kam. In Mannheim wiederum war es Antifa-Recherche, die die Behörden schließlich dazu brachte, die rechtsextremen Tendenzen des Täters genauer zu überprüfen.

Spätestens nach den NSU-Morden oder dem Attentat in München 2016 hätte man gelernt haben müssen: Es bedarf weder einer organisierten rechtsextremen Gruppe, die sich zu der Tat bekennt, noch eines Bekenntnisschreibens – auch ein Täter, der sich allein radikalisiert, kann rechtsextreme Beweggründe haben.

Es ist alarmierend, dass die notwendige Achtsamkeit und Bereitschaft zur gründlichen Ermittlungsarbeit bei rechtsextremen Tätern und migrantischen Opfern immer wieder den Mut, die Recherche und den Druck der Zivilgesellschaft, Journalistinnen, Anwältinnen oder Ak­ti­vis­t*in­nen erfordert. Der Fall in Solingen zeigt: Das rechte Auge der Behörden bleibt geschlossen.

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Yağmur Ekim Çay
Korrespondentin
taz-Korrespondentin für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Davor Reporterin bei der Frankfurter Rundschau.
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4 Kommentare

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  • Einfach einmal einen Blick in die deutsche Rechtsgeschichte werfen. Die Rechtsprechungspraxis in Weimar von 1919 bis 1933 lässt sich kurz zusammenfassen mit Milde gegen rechts, rigide Härte gegen links.

    Das Thema ist gut erforscht und die Gründe für diese "politische" Justiz sind annähernd vergleichbar mit den heutigen Zuständen.

    Es hat auch nur recht wenig mit Ressentiments oder rechter Gesinnung bei Polizei oder Justiz zu tun, sondern u.a. beruht es auf einer Verweigerungshaltung die politische Dimension in die Rechtsfindung mit zu integrieren. Die ideologische Motivation hinter den Straftaten wird gerne ausgespart. Mit Sehstörungen auf dem rechten Auge lassen sich Ermittlungen und Verfahren schneller und bequemer abwickeln und das noch dazu ohne Störenfriede von außen.

    In Weimar hat dieses Verhalten von Politik, Justiz und Polizei zu einer Aushölung des Rechtsstaates und zu Vertrauensverlust der Bevölkerung in den Rechtsstaat und damit auch in die Demokratie geführt.

    Jedoch ist die Politik heute nicht ganz so naiv wie zu Weimarer Zeiten, wie es u.a. aus dem Entwurf des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes (BT-Drs. 20/8761) zu entnehmen war.

    • @Sam Spade:

      Es beruht offensichtlich nicht auf einer Verweigerungshaltung die politische Dimension in die Rechtsfindung mit zu integrieren. - Jedenfalls nicht, wenn es sich nicht um rechtsextreme Täter handelt. Da werden selbst harmlose Klimakleber als Terroristen verteufelt, als hätten sie etliche Leute ermordet.



      Wenn immer wieder von vornherein von der Polizei rechtsextreme Gesinnung bei Gewalttaten ausgeschlossen wird, obwohl sie dazu noch gar nicht (ausreichend) ermittelt hat, kann man das schwerlich als unpolitisch bezeichnen.

  • Und es sind Wiederholungsblinde, Jahr um Jahr. Wer da auf die Idee kommt, dass es in den Polizeien selbst auch mal rechtsextrem zugeht, der liegt natürlich komplett daneben. - Aber das hätte ja in dieser Republik (West) seit 1949/50 eine recht beeindruckende Tradition.

  • Wer ernsthaft glaubt, Polizei und Justiz seien auf der Seite des antirassistischen oder gar des antifaschistischen Kampfes, irrt gewaltig.



    Beide sind seit dem Ende des Faschismus stramm an der Seite reaktionärer Kräfte - halt nur mal mehr, mal weniger offen. Und die paar Feigenblätter in Form von Urteilen gegen Naziverbrecher oder zaghafte Ermittlungen gegen Neonazis täuschen doch nur über die wahre Ausrichtung und innere Verfasstheit hinweg.