Debatte weißer Feminismus: Ja, wir sind ungeduldig
Weiße Feministinnen agieren häufig im Sinne des Patriarchats. Denn weiße Mittelmäßigkeit kann vorteilhaft sein.
E s gibt Äußerungen, die sich als „K(r)ampfansagen“ etikettieren lassen. Etwa die folgende Behauptung: „Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus eine Schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein Standard reproduziert wird.“ So Sophie Passmann im Interview neulich mit der Schweizer Zeitschrift Annabelle. Auf den ersten Blick erweckt die Aussage den Eindruck, ein ungeschickter Versuch zu sein, den Tokenismus anzuprangern. Doch gleich daraufhin fügt Passmann unmissverständlich hinzu: „Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview-Mikrofon hinein? Ohne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben.“ Deshalb habe sie sich bereits vor zwei Jahren aus dem „Politik-Scheiß“ komplett zurückgezogen.
Doch eben mit der nach Ressentiment klingenden Rhetorik ist es der Influencerin gelungen, wieder in die Schlagzeilen und diesmal auch in die Kritik zu geraten. In der BIPoC-Community nennen wir es White Girl Tears, weibliche Tränen als Ausdruck weißer Fragilität. Fakt ist, Passmanns Passagen strotzen nicht gerade vor Solidarität mit jenen Opfern sozialer und sexueller Marginalisierung, die zugleich durch systemischen Rassismus unterdrückt werden. Dementsprechend machten etliche Afrodeutsche, darunter die Bestseller-Autorin Jasmina Kuhnke, ihrer Indignation Luft. Laura Hertreiter, Ressortleiterin bei der Süddeutschen, leistete Passmann Schützenhilfe. Es folgte ein heftiger Shitstorm, in dessen Verlauf Kuhnke und Verbündete mit üblen Hasskommentaren überschüttet wurden, ausdrücklich auch von erklärten Feministinnen. Hertreiter und andere rieten, Schwarze Frauen sollen sich eher darauf konzentrieren, sich bei weißen Feminist*innen verständlicher zu machen.
Nun eine Eilmeldung: Die Misogynoir, nämlich der Hass auf Schwarze Frauen, ist kein Hirngespinst, sondern Realität. Dieser Hass artikuliert sich zum einen als die Exotisierung und Erotisierung unserer Körper. Parallel werden uns höhere geistige Fähigkeiten abgesprochen, auch wenn Weiße sich ständig an der Schatzkiste unserer intellektuellen und kreativen Leistungen vergreifen. Erheben wir unsere Stimme, ohne dabei Blues, Gospel oder Pop zu schmettern, werden die Tone-Polizist*innen losgeschickt, um uns zu dressieren und von den Vorzügen devoter Dankbarkeit zu überzeugen.
Ja, wir sind ungeduldig. Angry Black Women halt. Woher kommt das nur? Und warum richten wir unsere Wut ausgerechnet auf andere Feminist*innen?
Dem weiß dominierten Feminismus wohnt ein Rassismus inne, der historisch tief verwurzelt ist. Umso bedauerlicher ist es, dass viele „moderne“ Feministinnen dieses Problem leugnen und, mit geschichtsrevisionistischer Arroganz, die Errungenschaften Schwarzer Frauenrechtlerinnen ignorieren. Hier sind nur drei der vielen afroamerikanischen Vorreiter*innen, die mir am Herzen liegen: Die als Versklavte geborene Widerstandskämpferin Sojourner Truth (1797–1883) verkörperte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts intersektionale Ansätze gegen die Mehrfachdiskriminierung, lange bevor die White Suffragettes ihren Black Friday (1910) erlebten. Die Mathematikerin Katherine Johnson (1918–2020) berechnete Flugbahnen für die Nasa im Vorfelde der Mondlandung und ebnete dabei den Weg auch für weiße Frauen bei der Raumfahrtbehörde. Marsha P. Johnson (1945–1992) warf 1969 als trans* Frau den ersten Stein von Stonewall und gab der schwulen, lesbischen Bewegung somit wichtige Impulse. Trotz alledem werden wir eher als Bitches und Bittstellerinnen angesehen. Bei feministischen Stammtischen kommt es immer noch vor, dass Weiße uns in die Haare fassen wollen. Von wegen Safe Spaces. Tragen wir ein Kopftuch, ob aus modischen oder religiösen Gründen, können wir mit Putzfrauenwitzen rechnen.
Weiße Feministinnen agieren häufig im Sinne des Patriarchats. So begegnen sie vielen Fortschritten in puncto Diversity mit demagogisch artikulierter Ablehnung. Welche marginalisierte Feministin, ob als Muslima, trans* Frau oder beides, möchte auf die Gnade einer Alice Schwarzer angewiesen sein? Die im Feminismus herrschende Misogynoir existiert nicht in einem Vakuum, sondern in einer brodelnden Biosphäre, in der besorgte Bürger*innen gegen die wirklich Benachteiligten unerbittlich kämpfen.
Es ist nicht das Ziel vieler weißer Feminist*innen, Gerechtigkeit für alle Frauen zu erlangen. Nein, sie sind von Angst vor Privilegienverlust getrieben. Denn sie haben sich mittlerweile darauf eingestellt, dass die weiße Mittelmäßigkeit, als gesellschaftliche Norm von heteronormativen Männern eingeführt, an und für sich vorteilhaft sein kann. Wir BIPoC-Frauen, die trotz struktureller Unterdrückung unermüdlich nach oben streben, jagen den Ewiggestrigen allerdings einen Schreck ein. Denn Privilegierte wittern, dass wir erfolgreicher mit Widrigkeiten umgehen können. Schon unsere Beherrschung der Mikroaggressionen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, härtet ab und sensibilisiert zugleich. Stehvermögen mit Soft Skills. Viele Unternehmen haben das erkannt und belohnen uns, wenngleich schleppend und nicht ohne Schönheitsfehler, mit beruflichen Positionen, die für uns eine Generation zuvor gar nicht infrage kamen.
Privilegierte Feministinnen und ihre Fürsprecherinnen haben grundsätzlich das Recht, die Welt von ihrer Warte aus zu beschreiben, ohne Weitsicht oder Nächstenliebe zeigen zu müssen. Sie müssen uns auch nicht den roten Teppich ausrollen – aber wir sind keine Fußmatten. So sollten sie sich nicht wundern, dass es noch lange nicht leise wird. Gerade dadurch wird die Gesellschaft unaufhaltsam bunter und reflektierte Frauen jeglicher Couleur werden die Strukturen der Diskriminierung gezielt und gemeinsam bekämpfen.
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