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Debatte um mehr MedizinstudienplätzeEin Rezept gegen den Ärz­t:in­nen­man­gel

In Deutschland droht eine medizinische Unterversorgung. Eine neue Studie zeigt: Die Regionen, die Ärz­t:in­nen ausbilden, haben eine bessere Versorgung.

Heiß begehrt: das Studium der Humanmdezin an deutschen Unis Foto: Alex Kraus/laif

Berlin taz | Wer in Deutschland Medizin studieren will, braucht gute Nerven sowie einen Plan B. Denn die Chancen, einen der begehrten Studienplätze zu bekommen, liegen nicht sonderlich hoch. Auf bundesweit 10.219 Studienplätze kamen im vergangenen Wintersemester 32.966 Be­wer­be­r:in­nen – nicht mal je­de:r Dritte durfte sein Wunschstudium aufnehmen. Der Hauptgrund für die begrenzten Kapazitäten sind die immensen Kosten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes belaufen sie sich auf rund 25.000 Euro pro Jahr und Platz.

Die Investitionen in mehr Studienplätze könnten sich trotzdem bezahlt machen. Das jedenfalls legt eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) nahe, die am Mittwoch veröffentlicht worden ist. Demnach weisen die Regionen mit einer medizinischen Fakultät oft eine höhere Ärz­t:in­nen­dich­te auf.

So gibt es beispielsweise in der Region Schleswig-Holstein Ost, in der ein Medizinstudium an der Uni Lübeck möglich ist, pro 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen 261 Ärz­t:in­nen – in der Nachbarregion Schleswig-Holstein Süd (ohne medizinische Fakultät) sind es nur rund 171 Ärzt:innen. Dieser „Klebeeffekt“ sei in ganz Deutschland zu beobachten, sagt Studienautor Cort-Denis Hachmeister der taz.

Für seine Auswertung hat der Datenanalysespezialist beim CHE die regionale Ärz­t:in­nen­dich­te aus den Daten der Kassenärztlichen Vereinigung in Beziehung zu den Hochschul­stand­orten gesetzt. Das Ergebnis: Auch Regionen abseits der Metropolen – etwa um Bonn, Göttingen oder Rostock – profitieren vom medizinischen Nachwuchs vor Ort. Auch hier sind die Nachbarregionen oft deutlich schlechter versorgt.

Sehr langsame Aufstockung

„Mich hat überrascht, wie klar dieses Bild ist“, sagt Hach­meis­ter. Er hofft, dass die Länder erkennen, wie sehr der Ausbau der Studienplätze in ihrem eigenen Interesse liege. In den letzten zehn Jahren seien trotz vieler Appelle die Plätze für Stu­di­en­an­fän­ge­r:in­nen nur um rund 1.000 gestiegen. Der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte Anfang 2023 5.000 neue Plätze – mit bescheidenem Erfolg.

In Bremen und Brandenburg kann man an keiner staatlichen Uni Medizin studieren

„Viele Bundesländer bilden nach wie vor unter ihrem Bedarf aus“, kritisiert Hach­meis­ter. In Bremen und Brandenburg könne man aktuell sogar noch an keiner staatlichen Hochschule Medizin studieren – auch wenn sich dies in Brandenburg ab dem Wintersemester 2026/27 ändert. Am meisten Me­di­zi­ne­r:in­nen bilden aktuell gemessen an der Ein­woh­ne­r:in­nen­zahl das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern aus.

Seit Jahren wird diskutiert, ob die Anzahl der Medizinstudienplätze ausreicht, um eine alternde Gesellschaft zu versorgen. Aktuell sind nach Angaben der Bertelsmann Stiftung rund 5.000 Stellen für Haus­ärz­t:in­nen unbesetzt. Nach Hochrechnungen der Bosch-Stiftung werden im Jahr 2035 rund 11.000 Haus­ärz­t:in­nen fehlen, knapp 40 Prozent der Landkreise droht eine Unterversorgung. Gründe dafür sind, dass Hausärzte zunehmend in Teilzeit arbeiten oder altersbedingt aufhören. Die Versuche, die ländliche Versorgung über sogenannte Landarztquoten zu verbessern, sind bislang mäßig erfolgreich.

Was die neue Bundesgesundheitsministerin, Nina Warken (CDU), die auf Haus­ärz­t:in­nen als erste An­sprech­part­ne­r:in­nen im Gesundheitssystem setzt, gegen die drohende Unterversorgung unternehmen möchte, ist unklar – ebenso ob der Bund die Länder beim Ausbau der Studienkapazitäten unterstützen würde. Eine entsprechende Anfrage der taz ließ das Gesundheitsministerium unbeantwortet.

Grüne fordert bessere Arbeitsbedingungen

Aus Sicht der Grünen-Bundestagsabgeordneten und Gesundheitsexpertin Paula Pie­chotta wäre ein Ausbau der Studienplätze mit Bundesgeldern jedoch der falsche Weg. „Wir brauchen nicht mehr Medizinstudienplätze in Deutschland, sondern bessere Arbeitsbedingungen für Ärz­t:in­nen sowie eine Aufwertung der nichtakademischen Gesundheitsberufe“, sagt Pie­chotta der taz. Sie halte es für einen Irrsinn, dass Assistenzkräfte bis heute oft kein Blut abnehmen dürfen.

Piechotta begrüßt aber, wenn neue Medizinstandorte wie im Fall Brandenburgs auf dem Land errichtet würden: „Wir wissen, dass Ärz­t:in­nen eigentlich nur dann auf dem Land arbeiten, wenn sie entweder dort herkommen oder sich im Rahmen ihrer Ausbildung dort niederlassen.“

Das kann auch in Wien oder Budapest sein. Wegen der fehlenden Studienplätze studieren aktuell über 9.000 Deutsche im Ausland Medizin. Wie viele danach nach Deutschland zurückkehren, wird nirgends erfasst.

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18 Kommentare

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  • Es gibt hunderte Studenten die gerne Medizin studieren würden aber keinen Platz bekommen, gleichzeitig werben einige Unis im Ausland für Studenten die dann Studiengebühren zahlen sollen. Da momentan USA für viele Inder nach Trump Reformen ausfällt, zieht es es z.B. Inder nach Deutschland um zu studieren. das kann doch so nicht richtig sein, wir finanzieren mit unseren Steuergelder die Unis , da müsste es doch so geregelt sein, dass bei den Studiengängen wo wir Mangel haben, z.B. erstmal alle Studenten mit deutscher Staatsbürgerschaft genommen werden, bevor Studienplätze gegen Studiengebühren angeboten werden, oder? Für Studiengänge wo es mehr Plätze als Bewerber gibt, kann man die gerne weltweit vermarkten!

  • Ja, oftmals bleibt man in der Nähe des Studienortes. Aber wie man am Eingangsbeispiel Lübeck eigentlich sehen könnte, müssen noch andere Faktoren für die Niederlassung/Zulassung als Ärztin/Arzt eine Rolle spielen. Lübeck liegt im Eck von drei Raumordnungsregionen: in einer gibt es relativ viele Ärzte in den anderen beiden nicht. Warum?



    Und natürlich kann nicht jede Raumordnungsregion eine Hochschule haben.



    Wobei bei der Angabe zur Dichte der Ärzte, heutzutage eigentlich eine Ergänzung bzgl. Vollzeitstellen nötig ist, da Arztgemeinschaften mit Teilzeitbeschäftigungen stark zunehmen.

  • und wieder eine Studie zu etwas, was in der DDR normal war. Da wurden ganze Hochschulen an den A... der Welt gestellt, um gut qualifizierte Leute ins Hinterland zu bringen. Aber das konnte ja nicht einfach übernommen werden, weil... . Ja, warum eigentlich nicht? Dazu gab es die Verpflichtung, mindestens für eine Weile einen Arbeitsplatz in Regionen annehmen zu müssen, wo freiwillig niemand hin wollte. Ob das heute noch so durchsetzbar wäre, sei dahin gestellt.

  • Es ist für mich unbegreiflich, warum bei einem Medizinstudium in Deutschland ausschließlich der NC vorausgesetzt wird. Österreich wird ja immer mal gerne als gutes Beispiel genommen. Dort gibt es keinen NC, sondern einen speziell auf das Studium ausgerichteten Test. Ist in der Schweiz übrigens auch so.



    In Deutschland wird das bei Piloten oder Fluglotsen ebenfalls gemacht. Ein 1er Abi sagt Null über die Fähigkeit aus, ein guter Arzt zu werden.

    • @Ahnungsloser:

      "Dort gibt es keinen NC, sondern einen speziell auf das Studium ausgerichteten Test. Ist in der Schweiz übrigens auch so."

      Den Mediziner-Test gibt es in Deutschland auch wieder - ironischerweise war der zwischenzeitlich zwecks "Senkung der Zugangshürden zum Medizinstudium" abgeschossen worden. Und um das "wasch mich, aber mach mich nicht nass" fortzusetzen ist politische Vorgabe, dass sich die Chance auf auf einen Studienplätze durch die Teilnahme nicht verschlechtern darf - weswegen sie sich in der Umkehr auch nur begrenzt verbessern kann...

    • @Ahnungsloser:

      Das ist ein sehr wichtiger und korrekter Beitrag. Der NC überhaupt ist zumindest reformbedürftig. Manche Leute entwickeln sich im Job deutlich besser als es eine Schulnote ausdrücken kann.

  • Niemand auf der Welt bildet mehr Ärzte aus als Deutschland (prozentual zur Bevölkerung) fast nirgendwo ist, das sehr teuer Studium, kostenlos wie bei uns. Wie ist es mit der Dankbarkeit der ,kostenlos, Studierenden....viele suchen sich besser bezahlte und stressfreiere Jobs im Ausland, an der Uniklinik in Bern sollen 25 % der Ärzte deutscher Herkunft sein, Halbtagsjobs in Kliniken und Praxen nehmen zu.... Worklive Balance auch im Medizinbetrieb.

    Erschreckend...ohne das wir aus Ost-, aus Entwicklungsländer Mediziner absaugen würde unser Gesundheitssystem zusammenbrechen.



    Was das für die medizinische Versorgung in Rumänien, Bulgarien ja auch Syrien bedeutet....EINE KATASTROPHE

    • @Fairness85:

      Persönlich habe ich jedes Verständnis. Ich kenne zufällig jemand, die als Ärztin von der deutschen Seite des Bodensees auf die Schweizer wechselte. Die Arbeitsbedingungen (nicht nur Geld) seien deutlich besser, und es gab ferner eine eigene gesundheitliche Krise, wo keine Vollzeit mehr angebracht war.

      Ärztinnen und Ärzte wieder ihren eigentlichen Herzblut-Job und weniger Dokumentationsexzesse plus Schnellabfertigung plus Igel/Private-Bevorzugung machen lassen, würde schon viel bringen. Das häufig noch autoritär-hierarchische Gehabe in der Ausbildung ist auch nicht mehr "best practice". (Nebenpunkt: Mit Patientens sprechen erfordert feinstes Deutsch, bis hin zu Regiolekten, Importieren stößt nicht nur auf ethische Grenzen)

      Und jetzt das Aber. Volkswirtschaftlich wäre bei über 30.000€ Ausbildungskosten nur für die Uni/Jahr (2016 mal im Spiegel gelesen) tatsächlich das alte Modell effizienter, wo ein Arzt/ eine Ärztin Vollzeit durchzieht und der Partner/ die Partnerin etwas Günstigeres gemacht hat und vielleicht auch teils unterstützt. Gesellschaftlich gar nicht mein Ideal, doch die Rechnung muss mensch schon aufstellen. Das Leben hat Widersprüche.

  • Deutschland hätte schon vor Jahren beginnen sollen die Unis in die von Leerstand und Wegzug der Jugend betroffenen Gegenden zu verlegen. Das würde den Mietmarkt in den Metropolregionen entlasten und der vergreisenden Peripherie eine dringend benötigte Frischzellenkur verpassen. Bafög sollte es dann nur noch für Studienplätze in der Provinz geben.

    • @Šarru-kīnu:

      Aber das ist doch gemacht worden, und zwar nicht zu knapp. Die Hochschulen bzw. Unis z.B. in FfOder, Cottbus, Görlitz, Zittau, Eberswalde, Chemnitz sind Neugründungen oder nach 1990 mit enormem finanziellen Aufwand ausgebaut worden. Das Verhältnis Doz.:Stud. ist meist besser als an den "alten" Unis im Westen. Das Problem ist, dass viele dt. Jugendliche nicht in den FNL studieren wollen, daher dort z.B. hoher Anteil ausländischer Studenten, die die guten Studienbed., günstigeren Mieten etc. zu schätzen wissen.



      (Hab ich nicht erst dieser Tage eine Werbung def Uni Erfurt auf der Taz-Seite gesehen?)

  • Medizinstudienplätze sind arg teuer, und eine Wiederbelebung angemessener Steuern oder auch eine Beteiligung der Medizinstudis direkt mit ihrem sicheren und geldbringenden Leben wäre auch daher eine Idee, weil leider immer noch "der Sohn" oder "die Tochter von" deutlich häufiger Medizin studieren.



    Da wird gerade weiter Geld nach oben geschoben.

    Zweitens: wie werden aus den teuer Ausgebildeten auch Arzt und v.a. Ärztin? Eigentlich müsste rein pragmatisch gesehen mensch den Mediziner-Inzest weg-stupsen, dass nicht dann doch (meist Frau) Dr. med. nur mehr 30 % oder gar nicht mehr medizinisch arbeitet.



    Plus Abkehr vom hierarchisch-ausbrennenden Berufsbild. Plus innerlich zehrende Ungleichheit bei Privat und Gesetzlich auslaufen lassen, das geht gegen jedes Berufsethos.



    Nebenpunkt: Falls der Satz oben sagen will, dass Bonn, Rostock und Göttingen keine Metropolen wären: Sie decken Eifel/Rhein bzw. Südniedersachsen plus ab. Rostock ist die einwohnerstärkste Stadt von McPomm. Die Idee, mit Studis die scheinbare Provinz zu beleben, darf dabei gerne weitergedacht werden. Niedrige Lebenshaltungskosten sind da nur ein Grund.

    • @Janix:

      Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, was die Medizinstuduenplätze so teuer macht. Werden da Kosten für die Forschung oder für die Krankenversorgung den Studienplätzen zugerechnet?

      • @Francesco:

        Bevor man den Studenten auf die Kranken loslässt, sollte der unter halbwegs realitätsnahen Bedingungen elementare Handgriffe einüben... Und die Zeiten, in denen der Henker ( oder due Armenfürsorge) fast tagesaktuell Übungsmaterial ohne Verwesungserscheinungen geliefert hat und das auf einem einfachen Holztisch "verarbeitet" wurde, sind ja dankenswerterweise vorbei...

        • @FriedrichHecker:

          Und was heißt das jetzt konkret? Was ist daran teuer?

  • "Es gibt es beispielsweise in der Region Schleswig-Holstein Ost, in der ein Medizinstudium an der Uni Lübeck möglich ist, pro 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen 261 Ärz­t:in­nen – in der Nachbarregion Schleswig-Holstein Süd (ohne medizinische Fakultät) sind es nur rund 171 Ärzt:innen. Dieser „Klebeeffekt“ sei in ganz Deutschland zu beobachten, sagt Studienautor Cort-Denis Hachmeister der taz."



    In Beziehung zu setzen wäre aber nach meiner Einschätzung die Zahl der in diesen Regionen tätigen Ärztinnen und Ärzte zu der Zahl der in diesen Regionen wohnenden Ärztinnen und Ärzte, denn in Umland von Metropolen wie Hamburg und Köln wohnt es sich auf dem Lande, Speckgürtel gelegentlich genannt, ganz gut. Andererseits verlassen viele Ärztinnen und Ärzte die schönen Destinationen ihrer Ausbildung, wie Heidelberg, Tübingen, Münster oder Freiburg höchst ungern. Da ist auch eine weitere Strecke z. Pendeln nicht unüblich und ein mobiles Arbeiten wie in Fächern der Kategorie Methoden-orientiert (z.B. Pathologie) nicht unerwünscht.



    Über Teilzeit und Familienvereinbarkeit von Studium und Beruf könnte man auch lange Kommentare verfassen.



    Wir sehen den Fachkräftemangel nicht nur, wir spüren ihn schon "gut".

  • Mehr Studienplätze sind eine notwendige Maßnahme. Es braucht aber auch Einfluss darauf, was die auf Staatskosten ausgebildeten Studenten nach ihrer Ausbildung machen. Eine kurze Google Suche ergab z.B. für Freiburg 10 Frauenärzte und 13 Anbieter von Brustvergrößerungen. Ein gewisses Missverhältnis, wenn man medizinische Notwendigkeiten zum Maßstab macht.

  • „Sie halte es für einen Irrsinn, dass Assistenzkräfte bis heute oft kein Blut abnehmen dürfen.“



    Wie ist das gemeint? Mir ist noch nie von einem Arzt Blut abgenommen worden, sondern immer von den Arzthelferinnen.

    • @kiwitt:

      Treffer...manchmal hat man den Eindruck Autoren kennen nicht die Realität.



      Meine Lebenspartnerin fürchtet in ihrer Frauenarztpraxis die ( manchmal bei Arzthelferinausfall) aktiv werdende Ärztin ( Vampir) und vergöttert die dafür eigentliche zuständige "Schwester".



      Bemerkung: Frauen haben in der Regel die schlechteren Venen und Schwangere besonders schlechte.