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Debatte um ProstitutionsgesetzStaatlich geschützte Vergewaltigungskultur

Valérie Catil

Kommentar von

Valérie Catil

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat die Debatte wieder angestoßen: Deutschland unterstützt männliche Freier beim Zugriff auf Frauenkörper.

Symbolfigur für den Kampf gegen sexualisierte Gewalt geworden: Gisèle Pelicot Foto: Mikael Anisset/imago

E in Teil der Täter im Pelicot-Prozess gab an, regelmäßig Prostituierte aufgesucht zu haben. Entsprechend waren diese Männer, auch wenn sie Dominique Pelicot nicht bezahlten, mit dem Ablauf vertraut: Ein männlicher Vormund, ein Zuhälter, gibt ihnen Zugang zu dem Körper einer Frau, sie denken, sie haben einen Anspruch auf diesen Körper, und verüben sexuelle Akte daran.

Dass dieser Körper zu einer Person gehört, die in Gisèle Pelicots Fall betäubt und somit nicht in der Lage ist, ihre Zustimmung abzugeben, interessierte sie nicht. Genau wie es Freier nicht interessiert, ob die Prostituierten, die sie aufsuchen, Gewalt erleben, durch einen Zuhälter zu der Arbeit gezwungen werden, ob sie minderjährig, Opfer von Menschenhandel oder anderen ausbeuterischen Umständen sind. Dass Prostitution unter diesen Umständen in Deutschland stattfinden kann und Männer dieses Angebot trotzdem wahrnehmen, ist Ausdruck einer tief verankerten Vergewaltigungskultur.

Ob und wie Prostitution hierzulande stattfinden darf, ist derzeit wieder Subjekt einer Debatte, nachdem sich die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) für die Umsetzung des sogenannten Nordischen Modells in Deutschland aussprach. Das würde Sexkauf – jedoch nicht den Verkauf – kriminalisieren. Bordelle müssten schließen. Prostituierten würden unter diesem Modell Unterstützung angeboten, auch um aus dem Job auszusteigen. Genau so wird es bereits in Schweden, Kanada oder Norwegen umgesetzt.

Als Freier kann man auf der Welt nur selten auf Prostituierte treffen, die ihre Körper freiwillig verkaufen. Laut einer Studie üben weltweit lediglich rund zehn Prozent ihre Tätigkeit freiwillig aus. Dass männliche Gewalt und weibliche Unterdrückung Prostitution innewohnt, ist somit unumstritten.

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Um zu überleben

Einige Aussteigerinnen sagen, dass sie sich an die vermeintliche eigene Freiwilligkeit klammern mussten, um in dem Job zu überleben. Ob und wie freiwillig diese Arbeit selbst in den besten Fällen stattfindet, kann man nur den Frauen glauben, die sich als frei bezeichnen.

Dennoch muss die Frage folgen: Sind wir für diese Freiwilligen bereit, in Kauf zu nehmen, dass andere Frauen unfreiwillig in der Prostitution landen? Die Frauen, die das derzeitige System immer noch nicht zu schützen weiß und die somit täglich dutzendfach Opfer von männlicher sexualisierter Gewalt werden?

Von schätzungsweise 400.000 Prostituierten in Deutschland sind nur 32.300 offiziell gemeldet. Unter dem nordischen Modell würde sich Prostitution somit kaum in einen unsichtbaren illegalen Bereich verschieben, wie Kritiker_innen sagen, weil sie dort längst stattfindet.

Ob Frauen unter diesem Modell allerdings besser geschützt sind? Es gibt Studien, die belegen, dass der Menschenhandel zurückginge, Prostituierte aber schlechtere Arbeitsbedingungen haben.

Sicher ist allerdings: Männer in Deutschland, die einen anderen menschlichen Körper kaufen wollen, werden derzeit vom Staat dabei geschützt, also unterstützt.

Man sagt ihnen damit: Ihr habt – wenn ihr zahlen könnt – immer das Recht und den Zugang zu weiblichen Körpern. Das Geld aus dieser Gleichung zu nehmen, ist gedanklich nicht schwer. Die Täter von Gisèle Pelicot funktionierten genau nach diesem Prinzip.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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10 Kommentare

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  • Laut einer Studie üben weltweit lediglich rund zehn Prozent ihre Tätigkeit freiwillig aus. Dass männliche Gewalt und weibliche Unterdrückung Prostitution innewohnt, ist somit unumstritten.

    Ach so, es ist weltweit so also kann man diese Zahlen auf Deutschland übertragen?

    Die Legalität gibt den Prostituierten die Möglichkeit Geld einzuklagen, sie haben Rechte.



    Und es ist verständlich, dass mit den Gesetzesänderungen dem "Hurenpass" der behördlichen Genehmigung mit Lichtbild, welcher bei der Arbeit mitzuführen ist, sich wenige offiziell als Sexarbeiter*innen anmelden.

    Und soweit ich weiß vermieten die Personen ihre Zeit. Es ist eine Dienstleistung und kein Kauf.

  • Ich vermute mal, dass viele - wenn nicht sogar die meisten - Männer, die das Verbot ablehnen, selbst Kunden sind.



    Das Argument, dass die Prostituierten dann in den Illegalität rutschen, ist angesichts der obigen Zahlen einfach nur ein Schmarrn.



    Zitat: "Von schätzungsweise 400.000 Prostituierten in Deutschland sind nur 32.300 offiziell gemeldet".

    • @Il_Leopardo:

      Das lediglich 32300 Personen gemeldet sind liegt unter anderem an dem "Hurenpass" der behördlichen Genehmigung mit Lichtbild den man mitführen muss...



      Dafür haben sexworker*innen Rechte und können Geld zum Beispiel einfordern.

  • Erstaunlich dieses Einsehen. Ich hoffe Frau Klöckner hält durch. Es wurde höchste Zeit. Die durchschnittliche Lebenserwartung von 45Jahren im Gewerbe sagt eigentlich alles.

  • Interessant ist ja auch gerade, dass dann in Deutschland sich zu generellen Verboten dann immer aus der wohl kleinen Minderheit der wirklich freiwilligen "Sexarbeiter*Innen" sich dann welche melden, die sich unterdrückt fühlen. Dann wird das Thema wieder zu den Akten gelegt. Vielleicht muss man das dann mal einordnen und an dieser Stelle die Minderheitenmeinung und deren vermeintlichen Schutz ignorieren. Es kommt ja auch keiner auf den Gedanken, Tarifrecht auszusetzen, weil sich ein paar Deppen gerne ausbeuten lassen.

  • Ich konnte es noch nie verstehen, wie Deutschland sein Experiment so sehr in den Sand setzen konnte, wie den Versuch Prositution durch Legalität in geregelte Bahnen zu lenken.



    Statt die Prostituierten wirklich zu schützen, wurden sämtliche Kontrollen fallengelassen.



    In jedem anderen Beruf funktionieren Auflagen.



    Warum dann hier nicht?



    Es gäbe so viele Nachweise, die man fordern könnte, deren Einforderung eine Prüfung der Freiwilligkeit einfach machen könnte. Aber stattdessen scheint eine rechtsfreie Zone geschaffen worden zu sein, bloß weil Prostitution an sich nicht mehr illegal war.



    Wieso schaffen es Finanz- und Gesundheitsämter nicht, hier ein Auge drauf zu haben?



    Achja, weil den Behörden, die es regeln sollen, noch nicht einmal die Papierformulare zur Verfügung gestellt werden, die für eine Nachweis-Datei benötigt werden.

  • "freier" lässt sich auch mit kleinem "F" schreiben.



    Erkennen wir die Dilemmata an: Es gibt gewiss die Escorts aus freiem Willen im Spitzensteuersatz, doch auch sehr viele andere, teils mit Drogenproblemen und Zuhälterei, teils 'aus dem Lastwagen'. Wer hier eine simple Lösung findet, hat einen Preis verdient, der Artikel zeigt die Aporien. Weniger Zuhälterei anstreben und bei den Kunden auch ansetzen wären vielleicht ein Anfang.

  • Volle Zustimmung zum nordischen Modell. Die absurde Legalisierung der Prostitution in D war übrigens ein dezidiert linkes Projekt. Deutschland ist der dadurch einer der Dreh- und Angelpunkte des weltweiten Menschenhandels geworden.

  • Danke. Vielleicht nicht jedes Detail, aber im Grunde sehe ich es genauso.