Corona und ausbeuterische Landwirtschaft: Weg vom Fleischmarkt
Ausbeutung, Landraub und Vertreibung fördern in den Entwicklungs- und Schwellenländern den Verzehr von Flughunden und anderem infiziertem Wildfleisch.
S eit Wochen hält das Coronavirus Sars-CoV-2 die Welt in Atem. Auf den Spuren der globalisierten Produktion von Waren und Dienstleistungen verbreitete es sich in Windeseile über den gesamten Erdball. Das medial aufmerksam, teilweise reißerisch begleitete Geschehen weckt Erinnerungen an große Epidemien vergangener Jahrhunderte, die in Zeiten der modernen Medizin als überwunden gelten. Seuchen schüren Ängste und sind bedrohlich. Restriktive Maßnahmen, mit denen die Politik die rasche Ausbreitung des Virus bremsen will, stoßen auf Akzeptanz, weil sie Sicherheit suggerieren. Wenn es nur noch um Gefahrenabwehr geht, ist es allerdings schon zu spät. Hier gilt eine uralte Weisheit der Medizin: Vorbeugen ist besser als heilen.
Die Nachrichten über das Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit Covid-19 überschlagen sich. Manches stimmt, anderes ist trivial, etliches gehört in den Bereich der Fake News, und vieles sind Halbwahrheiten, mit denen Medien ihren Absatz steigern wollen. Unnötige Furcht erzeugt beispielsweise die Aussage, eine Ansteckungsgefahr bestehe bei Corona bereits vor dem Auftreten von Beschwerden, das trifft nämlich auf viele Infektionen zu. Statistiken rapide steigender Zahlen von Infizierten und Todesopfern verbreiten Angst – obwohl allein der Straßenverkehr weitaus mehr Menschen umbringt. Und angesichts Zehntausender Toter aufgrund von Zigarettenrauchen und Alkoholkonsum erscheint die aktuelle Corona-Panik irrational.
Auch ist bisher unklar, bei welchen Patient*innen aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen eine Corona-Infektion tödlich endet. Schon bei den dramatischen Ebola-Ausbrüchen ab 2013 nahm niemand Notiz davon, dass in den drei betroffenen westafrikanischen Ländern jeden Tag mehr Menschen an Tuberkulose starben als an Ebola. Auch weiß man nicht, warum das Virus für Männer gefährlicher ist als für Frauen. Keiner fragt, ob die Opfer denn tatsächlich an oder nicht eher mit dem Virus sterben, denn kaum jemand testet überhaupt auf etwas anderes als Covid-19. Es ist die Stunde der Virolog*innen, die zu Höchstform auflaufen und sich in dramatischen Seuchenszenarien überbieten.
Die politische und wissenschaftliche Debatte über die Corona-Pandemie ausschließlich auf die biomedizinische und -technologische Perspektive zu verengen und damit in unverantwortlicher Weise zu verkürzen, stört in der akuten Krisenstimmung kaum jemanden.
Anhaltende Weigerung der Entscheidungsträger
Viel besorgniserregender als der aktuelle Corona-Ausbruch ist aber die anhaltende Weigerung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entscheidungsträger, zwischen den Epidemien und Pandemien mit derselben Konsequenz gegen deren Ursachen vorzugehen, mit der sie in der akuten Ausbruchssituation das gesellschaftliche und zivile Leben der Menschen einschränken.
Anfangs sparte die westliche Welt nicht mit Schelte für die chinesische Regierung und ihr konsequentes Durchgreifen in der Ausbruchsregion. Wenige Wochen später ziehen fast alle Länder nach, schließen ihre Grenzen und greifen massiv in das gesellschaftliche Leben und die bürgerlichen Freiheiten ein.
Nicht nur in China, auch anderswo besteht die Gefahr, dass unter dem Vorwand der Seuchenkontrolle eingeführte Überwachungsmaßnahmen auch nach dem Abklingen der akuten Bedrohung in Kraft bleiben.
Dabei ist hinlänglich bekannt, dass schon die Ebola-Ausbrüche in Westafrika auch eine Folge der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen waren: Die intensive Befischung der Meere treibt die küstennah lebende Bevölkerung im westlichen Afrika zur Sicherung ihrer Proteinversorgung immer tiefer in Regenwälder, wo sie mit dem Ebola-Erreger in Kontakt kommen. Gleichzeitig bieten vor allem die riesigen Palmölplantagen den Ebola übertragenden Flughunden ideale Lebensbedingungen.
Noch ist die Entstehung der Coronavirus-Pandemie nicht vollständig geklärt. Der Blick auf den Fleischmarkt in Wuhan, der tote und lebendige exotische Tiere bietet, weist allerdings darauf hin, dass auch der aktuelle Seuchenausbruch mit auf das Konto der globalen Ernährungswirtschaft geht. Das Bestreben des weltweit agierenden Agrobusiness, mit betriebswirtschaftlich optimierten Monokulturen den internationalen Lebensmittelmarkt zu beherrschen, führt in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu Landraub und Vertreibung – und fördert so den Verzehr von Flughunden und anderem infiziertem Wildfleisch.
Die Macht der kapitalorientierten Landwirtschaft
Wie in vielen anderen Teilen der Welt verdrängen die industrielle Schweine-, Rinder- und Geflügelmast Holzfäller und Wildtierjäger*innen immer tiefer in die Urwälder. Dadurch kommen sie auch mit bisher unbekannten virulenten, teilweise hoch infektiösen Krankheitserregern wie Sars-CoV-2 in Kontakt, die auf Tier und Mensch übergreifen können.
Verantwortungsvolle Gesundheits- und Sicherheitspolitik darf sich nicht auf Quarantäne- und Notfallmaßnahmen beschränken, sondern muss diesen Zusammenhängen Rechnung tragen. Offenbar ist es einfacher, die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, als die kapitalorientierte Landwirtschaft und ihr rücksichtsloses Gewinnstreben in die Schranken zu weisen. Dabei wäre dies ohnehin nötig, um die massive Umweltbelastung durch Ackerbau, Viehzucht und Transport zu verringern und die Menschen vor ihren vielfach gesundheitsschädlichen Produkten zu schützen.
Globale Seuchen bieten der Weltgesellschaft die Chance, sich mit dem eigenen kollektiven Verhalten und den etablierten Vorstellungen auseinanderzusetzen. „Die Welt danach wird eine andere sein“, versprach Bundespräsident Walter Steinmeier für die Zeit nach der Coronapandemie. Möge er recht haben und die aktuelle Panik genügend Druck zum Umdenken auf allen – auch agrarökonomischen – Ebenen erzeugen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland