Christian Ströbele zum Fall Amri: „Keine falschen Rücksichten“
Der Grünen-Geheimdienstexperte Christian Ströbele findet, die Behörden müssten wirkungsvoller gegen Gefährder vorgehen – und hegt einen Verdacht.
taz: Herr Ströbele, nun scheint klar: Anis Amri hätte doch vor seinem Anschlag in Berlin festgenommen werden können. Weil es Erkenntnisse der Berliner Polizei gab, dass er ein gewerbsmäßiger Dealer war, kein kleiner Fisch. Ein Skandal?
Hans-Christian Ströbele: Das ist die Fortsetzung eines Skandals, geradezu der i-Punkt. Gegen Amri waren ja schon zuvor schwerste Vorwürfe belegt, die für einen Haftbefehl gereicht hätten. Gewalttaten, gefälschte Dokumente, Unterstützung der terroristischen Vereinigung IS. Aber die Strafverfolgungsbehörden schritten bei keinem Punkt ein. Nun ist endgültig klar: Sie hätten es tun müssen und den Anschlag Amris verhindern können.
Wie erklären Sie sich, dass die Berliner Polizei von den großen Drogengeschäften Amris wusste und trotzdem nichts tat?
Man könnte vermuten: Schlamperei oder schlicht fehlende Lust. Aber da die Behörden ja nicht nur bei diesem Verdacht nichts taten, liegt der Verdacht nahe, dass es eine schützende Hand über Amri gab.
Eine schützende Hand? Welche?
Ich habe Anhaltspunkte, ansonsten kann ich auch nur spekulieren. Mein stärkster Verdacht richtet sich auf die USA. Die planten ja eine größere Aktion gegen den IS in Libyen, die am 19. Januar mit Bombern und rund hundert Toten ja auch durchgeführt wurde. Amri hatte Kontakt nach Libyen, vermutlich zu IS-Leuten. Womöglich sollte die US-Aktion nicht mit einer Festnahme Amris gestört werden.
Die USA haben Amri geschützt?
Da kann es Gespräche mit den deutschen Geheimdiensten gegeben haben, die etwas an die Polizei weitergaben. Jedenfalls fällt auf: Amri konnte sich in Deutschland alles erlauben, ohne dass gegen ihn vorgegangen wurde.
77 Jahre, seit 1998 im Bundestag und Vertreter der Grünen im Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste.
Bekannt ist nun auch, dass das Berliner LKA eine Akte manipulierte, um die Hinweise auf das gewerbsmäßige Dealen Amris verschwinden zu lassen.
Das wäre ein ungeheuerlicher Verstoß, eine Straftat. Die politisch Verantwortlichen müssen nun Konsequenzen ziehen. Und zwar nicht nur auf Landesebene, sondern auch im Bund, wo der Innenminister für das Komplettversagen aller Sicherheitsbehörden im Fall Amri zuständig ist. De Maizière muss endlich Verantwortung übernehmen, auch dafür, dass er dem Parlament falsche Unterlagen vorlegte, in denen etwa die jetzigen Erkenntnisse aus Berlin gar nicht vorkommen. Genauso überfällig ist ein Untersuchungsausschuss im Bundestag, den wir schon seit Wochen fordern.
Alles in allem: Was ist die Lehre aus dem Fall Amri?
Die Behörden müssen wirkungsvoller gegen Gefährder vorgehen. Wenn es belegbare Hinweise auf Terrortaten gibt, müssen sie tätig werden und Haftbefehle beantragen. Da darf es keine falschen Rücksichten geben, jemanden noch laufen zu lassen, um über ihn mehr Erkenntnisse zu bekommen.
Die Grünen plädieren für mehr sicherheitspolitische Härte?
Die Verhinderung von Anschlägen hat absoluten Vorrang. Die geltenden Gesetze müssen angewandt werden, das reicht. Das wir Terroranschläge verhindern müssen, das kann doch gar keine Frage sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fußball WM 2030 und 2034
Der Profit bleibt am Ball