Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror: Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Ampelfraktionen und Union im Bundestag einigen sich auf eine lange geplanten Resolution gegen Judenhass. Der Entwurf enthält auch umstrittene Forderungen.
Ausgehandelt haben das Papier die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Dirk Wiese (SPD), Konstantin von Notz (Grüne), Konstantin Kuhle (FDP) und Andrea Lindholz (CDU/CSU). Sie teilten am Samstagmorgen mit: „Mit dem Antrag setzen wir ein klares Zeichen, den Antisemitismus in unserem Land wirksam und nachhaltig zu bekämpfen.“ Deutschland trage „vor dem Hintergrund der Shoah eine besondere Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens.“
Der Entwurf beginnt mit einer Bestandsaufnahme. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sei Antisemitismus in Deutschland „auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau.“ Das gelte sowohl für rechtsextremen und islamistischen Judenhass als auch für „israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus“.
Das Papier bekräftigt einen Beschluss des Bundestags von 2019, der sich zur sogenannten IHRA-Definition von Antisemitismus bekennt. Diese wird von zahlreichen Regierungen weltweit verwendet, ist aber umstritten, weil sie Antisemitismus sehr weit fasst. Nach der Definition ist etwa auch die pro-palästinensische Boykottbewegung BDS als klar antisemitisch einzuordnen. Und der Entwurf geht noch weiter: „Auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland“ solle geprüft werden, heißt es darin.
Gesinnungsprüfung und schärfere Gesetze
Gefordert wird im Entwurf zudem, dass die IHRA-Definition maßgeblich dafür sein soll, an wen öffentliche Gelder fließen. Es dürften keine staatlichen Mittel an Organisationen gehen, die „Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.“ Wie das überprüft werden soll, steht nicht im Entwurf. Manche fürchten, dass die Passage so ausgelegt werden kann, dass auch legitime Kritik an Israels Regierung finanziell ausgetrocknet wird. Insbesondere Wissenschaftler*innen und Künstler*innen drohe eine Art Gesinnungsprüfung, fürchten manche. Der Resolutionsentwurf enthält aber auch einen Absatz, der explizit die Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit betont.
Antisemitismus im Bildungssektor wird gleich mehrere Absätze gewidmet. Unis und Schulen sollen vor allem dabei unterstützt werden, Vorfälle zu bestrafen: „Dazu gehören die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss von Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen.“ Der Kampf gegen Antisemitismus solle zudem in die Curricula aufgenommen werden. Seit dem 7. Oktober 2023 war es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen an Universitäten gekommen, Anfang 2024 sorgte der brutale Angriff auf einen israelischen Studenten in Berlin für bundesweite Bestürzung.
Nicht zuletzt fordert der Entwurf die Bundesregierung auf, Gesetze so zu verschärfen, dass Antisemit*innen schärfere Konsequenzen drohen. Dies gelte „in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“. Auch an anderen Stellen legt der Text einen starken Fokus auf Antisemitismus unter Ausländer*innen und Immigrant*innen, etwa wenn er ein „erschreckendes Ausmaß“ von Judenhass konstatiert, „der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert“.
Und auch außenpolitische Forderungen finden sich in dem Papier. Die Bundesregierung müsse sich weiterhin für die „Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel als ein zentrales Prinzip der deutschen Außen und Sicherheitspolitik“ einsetzen. Israel habe das Recht, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen und seine Bürger*innen zu schützen. Bemühungen, eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost voranzutreiben, gelte es zu verstärken, gleichzeitig brauche es mehr Härte gegenüber dem Iran. Die Bundesregierung müsse sich weiter dafür einsetzen, dass die iranischen Revolutionsgarden auf EU-Ebene als Terrorgruppe eingestuft werden.
Der Einigung vom Freitagabend waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen. Ursprünglich wollten Ampelfraktionen und Union die Resolution schon 2023 im Bundestag beschließen, doch daraus wurde nichts. Auch das zwischenzeitlich ausgegebene Ziel, wenigstens zum ersten Jahrestag des Hamas-Massakers am 7. Oktober einen Durchbruch verkünden zu können, verfehlten die Verhandler*innen. Nun können die Fraktionen immerhin vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November ihre Einigung verkünden. Der Antrag soll laut den Fraktionsvizes der beteiligten Parteien in der kommenden Woche in den Bundestag eingebracht und verabschiedet werden.
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