Bundesparteitag der Grünen: Perfekt inszeniert, tief verunsichert
Nach drei Tagen der Debatte lautet die Botschaft: Wir wollen regieren, wir sind keineswegs zahm. Und: Es gibt rote Linien.
Drei Tage lang, bis Sonntag, tagten 750 Delegierte der Ökopartei im Berliner Velodrom, einer unterirdisch angelegten Halle mit viel Beton. Es ging um viel: Die Grünen dümpeln bei Umfragen um 7 Prozent, sie haben sich bis heute nicht davon erholt, dass ihnen wegen Martin Schulz die Wähler wegliefen. Drei Monate vor der Wahl ist der Parteitag vielleicht die letzte Gelegenheit, den Trend zu drehen.
Und, das vorab, die Grünen lieferten den Medien eine professionelle, US-amerikanisch anmutende Politshow. Sie fassten Beschlüsse, die Idealismus und Vernunft sorgfältig austarieren. Die Reden ihrer Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir strotzten vor Angriffslust. Alle namhaften Protagonisten der beiden Parteiflügel demonstrierten eine fast befremdliche Geschlossenheit.
Unter der perfekten Inszenierung jedoch lag eine tiefe Verunsicherung. „Alle sind hypernervös“, sagt eine Abgeordnete.
Vordergründig läuft alles nach Plan. Die Grünen bleiben offen für alle Koalitionen, sie folgen also dem taktischen Kurs Göring-Eckardts und Özdemirs. Ein Delegierter, der am Sonntag unheilschwanger „C.S.U.“ ins Mikrofon raunt, erntet dürftigen Beifall. Reinhard Bütikofer, Chef der Europa-Grünen, walzt den Bedenkenträger nieder. „Lasst uns diesen Haufen, der sich CSU nennt, nicht größer machen, als er ist“, ruft er.
Futter für die Kameras
Die Grünen, so die Botschaft, wollen regieren, und sie setzen voll auf ihre Inhalte. Außerdem tun sie alles dafür, den Eindruck auszuräumen, die Ökopartei sei ein Haufen zahmer Langeweiler. Der beste Beleg: Özdemir und Göring-Eckardt, denen große Sympathie für Schwarz-Grün nachgesagt wird, arbeiteten sich auffällig stark an Kanzlerin Angela Merkel ab.
Özdemir hat seinen Auftritt am Freitagabend, alles sieht aus wie bei einem Townhall-Meeting in den USA. „Roar“ von Katy Perry dröhnt durch die Halle. Özdemir trägt ein Headset, er spricht frei, vor sich zwei gläserne Teleprompter. Hinter ihm haben sich alle Bundestagskandidaten aufgestellt, sie rahmen den Spitzenmann ein, Futter für die Kameras.
Den Delegierten gefällt’s. Özdemir punktet mit seiner Aufsteigerbiografie und erzählt, wie ihn bei einem Schüleraustausch mal belgische Beamte im Zug herauspickten, weil sein türkischer Pass kein Durchreisevisum hatte. Immer wieder gibt er Merkel einen mit. Wer beim Klimaschutz auf sie vertraue, könne sich gleich eine Schwimmweste kaufen, ruft er. Die Grünen stünden in Europa für Respekt und Solidarität, „schulmeisterlicher Drill aus Berlin“ mache den Erfolg von Ländern wie Italien oder Griechenland nicht wahrscheinlicher.
Auch Göring-Eckardt gibt sich für ihre Verhältnisse maximal kämpferisch. Sie erinnert zuerst an ihre Biografie, an den Braunkohlegestank in Bitterfeld, der nach Unfreiheit rieche. Merkel regiere jetzt knapp 12 Jahre. „Und was ist fürs Klima rausgekommen? Blockade. Blockade für die Erneuerbaren, Blockade beim Kohleausstieg, Blockade beim E-Auto.“
Göring-Eckardt betont stärker als Özdemir soziale Themen und die Flüchtlingspolitik. Sie habe das mit dem Christentum so verstanden, „dass Nächstenliebe keine Obergrenze hat“, ruft sie. Die Grünen seien die „letzten Mohikaner der Willkommenkultur“.
„Ortsvereinsvorsitzende der CDU“
Der Klimaschutz ist das Topthema für die Grünen, und Özdemir macht seiner Partei ein Versprechen: Er und seine Kospitzenkandidatin würden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht die Regeln des Klimaschutzes festgelegt würden, ruft er in den Jubel. „Und Klimaschutz heißt dann nun einmal Kohleausstieg, sonst ist es kein Klimaschutz.“ Das ist die wichtigste Bedingung der Grünen für künftige Koalitionen.
Aber es gibt Momente, die zeigen, wie brüchig das Eis ist. Canan Bayram, die Nachfolgerin von Christian Ströbele im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, erzählt am Freitag am Rednerpult eine Anekdote: Eine Rentnerin habe ihr erzählt, die Spitzenkandidaten erinnerten „an Ortsvereinsvorsitzende der CDU“. Sie bekommt etwas Applaus – und wird von Parteitagsregisseur Michael Kellner niedergebrüllt.
Wenig später beginnt die Diskussion über die Präambel. Dieser Text, der dem Programm vorangestellt ist, wurde maßgeblich von beiden Spitzenleuten formuliert. Da stehe, kritisiert die Kreisvorsitzende aus Gelsenkirchen, für „andere Ziele“ gebe es andere Parteien. Das sei kindisch, so was extra zu betonen, argumentiert die Gelsenkirchnerin.
Plötzlich Tuscheln in den Delegiertenreihen. Spitzenkandidatin Göring-Eckardt redet persönlich dagegen – und verliert. Kawumm. Nach diesem Blitzeinschlag, das berichten mehrere Grüne, wächst auf wundersame Weise die Bereitschaft des Vorstands, Basisforderungen zu übernehmen.
Ehe für alle wird Bedingung
Es gibt sie ja, die Unzufriedenen, man findet sie im linken Flügel. Eine Abgeordnete schaut lange ins Leere, wenn man sie nach dem Spitzenduo fragt. Ein anderer Linksgrüner kann minutenlang erklären, warum sich in der Opposition gemeinsam mit sozialen Bewegungen viel erreichen lässt. Diese Option müsse stärker betont werden. Ein Dritter sagt, etwas resigniert: „Das ist wie in einem Auto auf der Autobahn. Da greifst du dem Fahrer auch nicht ins Lenkrad.“
An vielen Stellen schaffen es bei diesem Parteitag kantige Anliegen ins Programm – damit Kampfabstimmungen vermieden werden. Der aus dem Bundestag scheidende Abgeordnete Volker Beck landete einen kleinen Coup, indem er die Ehe für alle als verbindliche Koalitionsbedingung ins Programm drückt.
Zwei harte Jahreszahlen zu Kohleausstieg und Verbrennungsmotoren landeten doch noch im Zehn-Punkte-Plan, obwohl Özdemir und Göring-Eckardt darauf verzichten wollten. Dazu Özdemirs Versprechen beim Kohleausstieg – plötzlich gibt es doch rote Linien für die Grünen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen