Betrug beim Klimaschutz: Verbrenner schädlicher als gedacht
Das Umweltbundesamt will den Mineralölkonzernen Zertifikate für die Minderung von Treibhausgasen aberkennen. Es geht um Millionen Tonnen von CO2.
UER steht für Upstream Emission Reduction und kann etwa bedeuten, bei der Erdölförderung anfallendes Methan aufzufangen und weiter zu verwerten oder bei der Förderung Windenergie einzusetzen.
Für jedes dieser Projekte erhielten die Konzerne Zertifikate über die erreichte Treibhausgasminderung. Neben Investitionen in E-Mobilität oder nachhaltige Kraftstoffe aus pflanzlichen Reststoffen waren die UER eine Methode für die Mineralölkonzerne, ihr klimaschädliches Geschäft nachhaltiger zu machen. Doch offenbar klappt das nicht.
Von 75 weltweit genehmigten UER-Projekten sind nach ZDF-Recherchen und Branchen-Hinweisen vor allem die 66 in China befindlichen ins Visier geraten. 45 von ihnen „stehen unter einem sehr starken Betrugsverdacht“, sagte Uba-Präsident Dirk Messner am Montag. 32 von ihnen will das UBA rückabwickeln, „damit sichern wir rund 4 Millionen Tonnen unberechtigte UER-Zertifikate“, so Messner. Bei 13 Projekten, die schon abgeschlossen sind, sei das schwieriger. Hier werde die Staatsanwaltschaft ermitteln.
Das UBA unternehme hier endlich richtige Schritte, sagt Sandra Rostek, die das Hauptstadtbüro Bioenergie leitet, „doch es löst das Problem nicht“. Wenn nicht einmal die Compliance-Abteilungen von Weltkonzernen wie BP und Shell den Betrug entdeckt hätten, „funktioniert ja wohl das ganze System nicht“, sagt Rostek. Man müsse es umdrehen: Nicht mehr der Staat müsse nachweisen, dass ein Zertifikat falsch, sondern der Anbieter müsse vor der Erteilung beweisen, dass es korrekt sei. Dies gelte vor allem, weil auch ein zweiter Bereich betroffen sei, der für Nachhaltigkeit im Verkehr sorgen soll: nachhaltige Biokraftstoffe aus Stroh, Holz oder anderen Reststoffen.
Anreize zum Betrug
Anders als Diesel beispielsweise aus Raps, tierischen Fetten oder Frittierfett dürfen die Mineralölkonzerne diese nachhaltigen Biokraftstoffe ihrem Benzin und Diesel unbegrenzt beimischen. Dies habe zu einem Sog geführt und setze auch hier Anreize zum Betrug. Der Verdacht: Große Mengen an äußerst klimaschädlichem Palmöl werden in Deutschland als nachhaltiger Biokraftstoff verkauft.
Der österreichische Ölkonzern OMV, der im Zertifikate-Skandal auftaucht, weist das von sich: „Alle Lieferanten sind nach einem anerkannten freiwilligen Zertifizierschema der EU zertifiziert, beziehungsweise unterliegen der Aufsicht der deutschen Zollbehörden“, schreibt das Unternehmen. OMV schließe vertraglich mit den Lieferanten einzelne Herkunftsländer von Biotreibstoffen aus. Eingehende Nachhaltigkeitsnachweise würden beim Eingang kontrolliert und gegebenenfalls beim Lieferanten reklamiert.
„Die Untersuchungen der deutschen Behörden zeigen, dass die bestehende Nachhaltigkeitszertifizierung für fortschrittliche Biokraftstoffe nicht ausreicht“, sagt Elmar Baumann vom Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie. Die Forderung auch hier: Die Behörden brauchten mehr Kapazitäten und mehr Rechte.
„Zusammen mit den anderen Verbänden der Biokraftstoffwirtschaft fordern wir, dass Produzenten fortschrittlicher Biokraftstoffe eine behördliche Zulassung für den deutschen Markt beantragen müssen“, sagt Baumann, „sie müssen nachweisen, welche Rohstoffe sie einsetzen und über welche Produktionskapazitäten sie verfügen“. Außerdem müsse die zuständige Behörde, die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, das Recht haben, Betriebe unangekündigt zu kontrollieren.
Die Bioenergie-Lobbyistin Rostek fürchtet, dass der Zertifikate-Skandal der Mineralölbranche nur die Spitze des Eisbergs zeigt. „Wir befürchten ähnliche Probleme bei Zertifikaten für grünen Stahl oder Wasserstoff“, so Rostek. „Wir werden nicht umhinkommen, auch künftig Waren und Energie im Ausland einzukaufen“, sagt UBA-Präsident Messner, darum seien effektive Zertifizierungssysteme nötig. Das sei lösbar, etwa indem die Zertifizierer selbst besser kontrolliert und internationale Vorortvisiten durchgeführt würden.
Um eine Einordnung des Skandals gebeten, winken Experten etwa von Umweltforschungsinstituten übrigens ab. Dass der Kraftstoffmarkt für Verbrennungsmotoren nicht klimafreundlich machbar sei und auch Biokraftstoffe dazu nicht beitragen könnten, sei seit langem klar. Damit befasse man sich im Detail nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau