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Berufsverbot für angehende Lehrerin​„Ich möchte mich nicht weggebuckelt haben“

Lisa Poettinger soll nicht Lehrerin werden, dafür ist die Klimaaktivistin der bayerischen Regierung zu radikal. Ihre Anwältin ist aber zuversichtlich.

Darf zur Zeit nicht Lehrerin werden: Klimaaktivistin Lisa Poettinger Foto: Stephan Rumpf/SZ Photo/picture alliance

München taz | Wer die Geschichte von Lisa Poettiger hören will, muss in den Keller. Und zwar in den des DGB-Gewerkschaftshauses im Münchner Stadtteil Berg am Laim. Unten dann zwei Gänge entlang, ein paar mal rechts abbiegen, am Kicker vorbei, und schon steht man im schmucklosen Jugendraum, in den der Solikreis „Lasst Lisa lehren“ zur Pressekonferenz geladen hat.

Denn genau darum geht es: dass Lisa Poettinger, die gerade ihr Staatsexamen gemacht hat, nach dem Willen des bayerischen Kultusministeriums nicht Lehrerin werden darf. Berufsverbot könnte man sagen, und genau das tun Poettinger und vier Mitstreiterinnen und Mitstreiter auch, die sich hier den Fragen der gedrängten Journalisten stellen. Sie fühlen sich an den Radikalenerlass erinnert, nach dem in Deutschland zwischen 1972 und 1991 Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue überprüft wurden. Rund 1200 Anwärtern – zumeist aus dem linken politischen Spektrum – wurde damals ihr Berufswunsch, sei es nun Postbeamtin oder Lehrer, verwehrt.

Der Hintergrund ist dieser: Im November teilte das Ministerium Poettinger mit, dass es beabsichtige, ihr die Zulassung zum Referendariat zu versagen. Ohne Referendariat allerdings kann Poettinger auch nicht Lehrerin werden. Die Begründung des Ministeriums: Die 28-Jährige sei Mitglied in linksextremistischen Gruppen, gegen sie liefen Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen eines „Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“. Und dann noch das eher schräge Argument, Poettinger habe in einem Interview den Terminus „Profitmaximierung“ gebraucht. Das sei eine „den Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung“ und damit „mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“. Dass der Ausdruck auch von Wirtschaftswissenschaftlern und anderen kommunistischen Gedankenguts unverdächtigen Personen wie etwa Papst Franziskus gebraucht wird – egal.

Der Freistaat Bayern habe eben sicherzustellen, so erklärt das Ministerium gegenüber der taz, dass sich Personen, die in den Staatsdienst aufgenommen werden, durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen. Lehrkräfte hätten wie kaum eine andere Beamtengruppe Einfluss auf junge Menschen und ihre Entwicklung. Und dann zitiert der Sprecher noch seine Chefin, Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler): „Wer nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden unserer Verfassung steht, den lassen wir nicht in den staatlichen Schuldienst!“

„Kapitalismus ist nicht Demokratie“

Eine Unverschämtheit, findet Poettinger. Sie stehe sehr wohl auf dem Boden der Verfassung, sagt sie. Sie habe sie sogar gelesen, und da stehe nirgends etwas über ein vorgeschriebenes Wirtschaftssystem – weder im Grundgesetz noch in der bayerischen Verfassung: „Kapitalismus ist nicht Demokratie.“ Im Gegenteil: Sie sei der Auffassung, dass der Kapitalismus die Verfassung untergrabe. In keinem Fall aber könne Kritik daran mit Demokratiefeindlichkeit gleichgesetzt werden.

Lisa Poettinger berichtet, wie gern sie Lehrerin werden würde. Englisch und Ethik, das sind ihre Fächer. Sie erzählt von den zum Teil prekären Umständen, in denen sie in Murnau am Staffelsee aufgewachsen ist. Auch von dem Preis, den sie von ihrer Schule bekommen hat, als sie sich 2015 als Gymnasiastin für Flüchtlinge engagiert habe. Überhaupt sei das Thema Flucht beziehungsweise Fluchtursachen und das Nichtstun des Staates dagegen der Hauptgrund für ihre Radikalisierung als Klimaaktivistin gewesen.

Poettinger ist klein, schlank, hat lange braune Haare, die Hände verschwinden gern mal ein bisschen in den Ärmeln ihres Pullovers. Sie spricht besonnen, lächelt. Man ist nicht überrascht, dass die Eltern des Waldkindergartens, in dem sie derzeit arbeitet, ihre Kinder ohne Bedenken in die Obhut dieser Frau geben.

Einer der Väter ist auch hier, verliest einen offenen Brief dieser Eltern an das Kultusministerium. Poettinger, heißt es darin, sei nicht nur eine engagierte und talentierte Erzieherin, sondern auch ein leuchtendes Vorbild für die Werte, die die Eltern ihren Kindern vermitteln wollten: Verantwortung, Umweltbewusstsein und gelebte Demokratie. „In ihrer täglichen Arbeit mit den Kindern lebt Lisa demokratische Prinzipien vor – sie zeigt, wie wichtig es ist, unterschiedliche Meinungen zu respektieren, Konflikte friedlich zu lösen und sich aktiv für eine gerechte und nachhaltige Zukunft einzusetzen.“ Außerdem habe Poettinger stets klargemacht, dass sie ihre Rolle als Aktivistin und die als Pädagogin klar trennt. Also doch keine linksradikalen Parolen im Kindergarten, im Klassenzimmer?

„Keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur“

Es ist ja nicht so, dass Poettinger nicht auch anders kann. Es war vor ziemlich genau einem Jahr, da stand die Studentin schon einmal im Rampenlicht. Auf der Bühne einer Demo gegen Rechts. Zigtausende Münchner waren damals zum Siegestor geströmt, wollten – gerade unter dem Eindruck der zuvor bekannt gewordenen „Remigrationspläne“ einiger AfD-Mitglieder – ihren Protest gegen Rechtsextremismus zum Ausdruck bringen.

Aber dann war es nicht zuletzt Poettinger, die viele von ihnen vor den Kopf stieß, in dem sie unter „Rechts“ weit mehr subsumierte als das, wogegen viele meinten, auf die Straße gegangen zu sein. Schon im Vorfeld beschwerte die Aktivistin sich via X: „Was wollen CSU-Politiker:innen vor Ort? Als Versammlungsleiterin kann ich sagen, dass ich gar keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur habe!“

Und auf der Bühne hielt sie dann noch ein Schild mit der Aufschrift „AfD hetzt * Ampel setzt um“ in die Höhe. Zu guter Letzt wurden die Demonstrantinnen und Demonstranten, die gekommen waren, um ihre Stimme gegen Hass und Hetze zu erheben, von der Bühne aus auch noch aufgefordert zu skandieren: „Ganz München hasst die AfD.“

Nicht wenige haben sich damals über Poettinger empört. Was aber eben auch daran lag, dass überhaupt so viele Menschen da waren. 200.000 Menschen kamen zu der Kundgebung gegen rechts, die Poettinger mit anderen organisiert hatte. Eine der größten Demonstrationen in der Münchner Geschichte.

Manches weiteres Fundstück von X beziehungsweise Twitter kommt jetzt freilich auch wieder auf den Tisch, etwa ein Post aus dem Jahr 2022, in dem sie schrieb, sie finde es in Ordnung, „Adressen von Nazis, Klimafaschos und Konzerneigentürmer:innen“ zu veröffentlichen und die Häuser mit Farbbeuteln zu bewerfen oder mit Graffiti zu beschmieren.

Ein Damoklesschwert für alle Klimaaktivisten?

Anderes in Poettingers X-Timeline ist plump bis radikal. Nur: Reicht das, ihr Demokratiefeindlichkeit zu attestieren? Wäre Poettinger tatsächlich die erste bayerische Lehrerin, die auch mal, freundlich formuliert, Streitbares von sich gibt, beziehungsweise, weniger freundlich formuliert: kruden Unsinn? Zumal wenn sie, wie es die Elterninitiative des Waldkindergartens behauptet, den politischen Aktivismus strikt von ihrer beruflichen Tätigkeit zu trennen weiß.

Für Poettinger wie auch ihre Anwältin Adelheid Rupp oder den Moderator der Pressekonferenz, Kerem Schamberger, alle drei Mitglieder der Linken, ist die Sache klar: Es geht hier nicht nur um Lisa Poettinger, sondern um eine „autoritäre Wende“, die „Erzwingung von Konformität“, ein „Damoklesschwert über den Köpfen aller Kilmagerechtigkeitsaktivist:innen“ sowie aller, die „die Machenschaften der Landesregierung an den Pranger stellen“, so formuliert es Schamberger. Es geht darum, alle „mundtot zu machen, die sich zur Wehr setzen“, denn in Bayern sehe man es mit der Meinungsfreiheit ja eh nicht so eng, sagt Poettinger.

Anwältin zuversichtlich

Schon im Dezember hat Poettinger dem Kultusministerium eine lange Antwort geschickt, erklärt, warum sie Lehrerin werden möchte, warum sie meint, sehr wohl auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Jetzt wartet sie noch immer auf Antwort. In gut zwei Wochen würde das Referendariat beginnen. Gegen ein Berufsverbot will sie sich mit allen Mitteln wehren. Die Solidarität mit ihr ist groß. Schon 3000 Menschen hätten eine Solidaritätsbekundung unterschrieben, erzählt Schamberger.

Ihre Aussichten stehen laut Rupp nicht schlecht. Eine bloße Mitgliedschaft beim Antikapitalistischen Klimatreffen genüge nicht, um ein Berufsverbot zu begründen, auch wenn es im Verfassungsschutzbericht erwähnt sei; es müsse schon ein konkreter Verfassungsverstoß belegt sein. Auch eine Vorstrafe ihrer Mandantin, die ein Berufsverbot begründe könnte, erwartet Rupp nicht. Denn selbst bei einer Verurteilung in den beiden Verfahren sei kein Strafmaß von mehr als 90 Tagessätzen zu erwarten.

In einem der beiden Fälle hat Poettinger ein hetzerisches Plakat beschädigt, das die AfD aufgestellt hatte, um gegen die Lesung einer Dragqueen für Kinder Stimmung zu machen. Im anderen Fall soll Poettinger bei den Zusammenstößen während der Räumung des besetzten Dorfes Lützerath gegen die Polizei gewalttätig geworden sein.

Um das Referendariat zu bekommen, ihren Überzeugungen abzuschwören oder ihr Engagement einzuschränken, das kommt für Poettinger nicht in Frage. Dafür sei ihr der Schutz unserer Lebensgrundlagen oder auch der Kampf gegen den Faschismus zu wichtig. „Ich möchte mich nicht weggebuckelt haben.“

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2 Kommentare

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  • Die bayerische Staatsregierung scheint eine unglaubliche Angst vor Lisa Poettinger zu haben. Wie kann sich eine bayerische Staatsregierung nur so sehr vor einer einzelnen engagierten jungen Frau fürchten? Es ist lächerlich!

  • Ohne Referendariat ist man kein fertig ausgebildeter Lehrer, ergo hat man dann mangels Beruf auch kein Berufsverbot.

    Sie möchte also CSUler von einer Demo gegen die AfD ausschließen, die sind ihr zu rechts, beklagt sich aber, dass sie, die sich selbst als Marxistin bezeichnet, als zu links für den Staatsdienst eingeschätzt wird?



    Da wird von jemand, der sich für eine Vertrauensposition bewirbt, eine Toleranz eingefordert, die sie selber nicht zu gewähren bereit ist.

    Ich würde nicht wollen, dass z.B. eine Nationalistin, die in Dresden Polizeibeamte angegriffen hat oder Wahlplakate der "Die Linke" beschädigt hat, Beamtin werden kann. Wenn das für die Anhängerin einer verbrecherischen Ideologie gelten darf und gelten muss, warum sollte es nicht auch für eine Anhängerin einer anderen verbrecherischen Ideologie gelten, nur weil diese links ist?

    Personen, die meinen, links motivierte Straftaten seinen die besseren Straftaten kann das in einer Demokratie gerne diskutieren. Im Staatsdienst ist er aber mit der Einstellung fehl am Platze.