Berlins SPD-Führung Giffey und Saleh: Zurück zur CDU light
Das Führungsduo der Berliner SPD verabschiedet sich von Positionen wie dem Mietendeckel. Als wirtschaftsnahe Partei aber hat die SPD keine Chance.
A lle, die schon vergessen hatten, wie sozialdemokratische Regierungspolitik aussehen kann, können diese seit einigen Jahren in Berlin erleben. Mieterschutz, Stärkung der landeseigenen Betriebe und Besserstellung der Beschäftigten, konsequente Hilfe für alle, die unter der Coronakrise besonders zu leiden haben, beitragsfreie Kitas oder eine progressive Sicherheitspolitik. Zu verdanken ist das meiste davon den sozialdemokratischen Koalitionspartnern Linken und Grünen.
Das künftige Führungsduo der Berliner SPD aus dem bisherigen Fraktionschef Raed Saleh und der designierten Bürgermeisterkandidatin Franziska Giffey will sich von diesem Kurs des Senats, den die SPD immerhin mitgetragen hat, nun deutlich absetzen.
In einem gemeinsamen Interview mit dem Tagesspiegel haben sie ihre politischen Schwerpunkte für die Wahl im kommenden Herbst dargelegt. Ihre zentralen Punkte: Neubau als die Antwort auf hohe Mieten, ein roter Teppich für Unternehmen, Karstadt-Neubau am Hermannplatz, das Eintreten für Sicherheit und Ordnung, Kampf gegen den Linksextremismus.
Wirtschaftsfreundliche Sicherheitspartei
Während viele in der Partei zumindest rhetorisch versuchen, der größten Krise der Sozialdemokratie in ihrer Geschichte mit einer Rückbesinnung auf ihre Wurzeln zu begegnen, verfolgen Giffey und Saleh eine gegensätzliche Strategie. Statt sich empathisch an die für sozialdemokratische Politik empfängliche Bevölkerungsmehrheit zu richten, wollen sie die SPD als wirtschaftsfreundliche Sicherheitspartei profilieren. Als CDU light aber, diese Lehre hätte die SPD aus den vergangenen 25 Jahren ziehen können, werden sie die Partei nicht aus dem 18-Prozent-Umfragetief herausführen.
In seinem programmatischen Aufschlag ignoriert das Führungsduo die wichtigsten Zukunftsthemen der Stadt. Wie kann auf die drohenden sozialen Verwerfungen infolge des Spardrucks durch die coronageschröpften öffentlichen Haushalte reagiert werden? Wie gelingt die Mobilitätswende abseits des Langfristplans, neue U-Bahn-Linien zu bauen? Wie soll dem Auseinanderdriften der Gesellschaft und der Gefahr von rechts auf der Straße und in den Sicherheitsbehörden begegnet werden? Und wie soll bezahlbares Wohnen auch nach Auslaufen des Mietendeckels sichergestellt werden?
Nur Leerstellen und Nichtantworten
Zumindest Letzteres haben Giffey und Saleh in den Blick genommen, mit der Nicht-Antwort „bauen, bauen, bauen“. Dabei hat zuletzt der SPD-Arbeitskreis Soziale Stadt selbst einräumen müssen, dass am Bedarf der Berliner*innen gänzlich vorbeigebaut wird. Nur neun Prozent der zwischen 2014 und 2019 fertiggestellten Wohnungen kosten unter 10 Euro pro Quadratmeter, noch nicht einmal vier Prozent unterliegen einer sozialen Mietbindung.
Dass den beiden rechten Sozialdemokraten dennoch nichts anderes einfällt, führt ihren gleichzeitig geäußerten Anspruch auf ein neues Superressort Stadtentwicklung und Verkehr ad absurdum; zumal sich viele noch an die tristen Jahrzehnte sozialdemokratischer Wohnungspolitik erinnern dürften. Getoppt wird das Ganze mit der inhaltlichen Leerstelle, wie die Autostadt zu einer klimagerechten Metropole mit neuen Mobilitätskonzepten umgestaltet werden kann.
Zentral im Wahlkampf soll das Thema Bildung werden, ein Ressort, für das die SPD seit 1999 ununterbrochen die Verantwortung trägt. Wie schulischer Erfolg vom sozialen Status des Elternhauses entkoppelt werden kann, bleibt trotzdem offen. Auch wird das bloße Versprechen auf mehr Digitalisierung keine Wähler*innen überzeugen.
Ebenso wenig wie das Versprechen, konsequent gegen den Linksextremismus – wie zuletzt in der Liebigstraße – durchzugreifen. Den polizeilichen Ausnahmezustand zugunsten eines Wohnraumspekulanten lehnten in einer Tagesspiegel-Umfrage gerade 70 Prozent der Berliner*innen ab. Bezeichnend ist auch, dass der ehemaligen Neuköllner Bürgermeisterin kein Wort zum rechten Terror im Bezirk einfällt.
Giffey und Saleh haben entschieden, das sozialdemokratische Terrain Grünen und Linken zu überlassen, um ein paar Stimmen von der CDU abzugraben. Sozialdemokratische Regierungspolitik geht dann wohl doch nur ohne SPD.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend