Berlin kauft knapp 15.000 Wohnungen: Schlussverkauf vor der Enteignung

Kurz vorm Enteignungs-Volksentscheid kauft der Senat der Deutschen Wohnen und Vonovia für 2,4 Milliarden Euro Wohnungen ab. Der Deal stößt auf Kritik.

Die High-Deck-Siedlung in Neukölln besteht aus einem Plattenbauensemble aus den 70ern und 80ern.

Zurückgekauft für 2,4 Milliarden Euro: High-Deck-Siedlung in Neukölln Foto: imago

BERLIN taz | Laut Koalitionsvereinbarung der rot-rot-grünen Landesregierung sollte das Land Berlin bis zum Jahr 2025 400.000 landeseigene Wohnungen besitzen. Bis zu 375.000 sind es laut Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) durch Neubau und Ankauf nun schon am Ende der Legislatur. „Wir sind dem Ziel deutlich nähergekommen, als manche glaubten“, sagte Kollatz am Freitag. Der Finanzsenator präsentierte zusammen mit den Geschäftsführern und Vorständen der Wohnungsgesellschaften Howoge, Degewo und Berlinovo sowie im Beisein der Vorstandvorsitzenden von Vonovia, Rolf Buch, und der Deutschen Wohnen, Michael Zahn, die notarielle Beurkundung von Berlins bisher größten Immobiliendeal der Legislatur.

14.754 Wohnungen gehen für 2,4 Milliarden Euro in Landesbesitz über, weitere 30.000 Ber­li­ne­r*in­nen dürften damit ab dem 1. Januar 2021 kommunale Vermieter haben, dazu noch 450 Gewerbeeinheiten. Die Wohnungen wurden über die Landesgesellschaften Howoge, Degewo und Berlinovo gekauft. Laut Finanzverwaltung belastet der Deal nicht den Landeshaushalt, weil er über Fremdkapital finanziert sei. Der Preis liege im Rahmen des Ertragswertes und könne sich langfristig durch Mieterträge refinanzieren. Mit der Rückführung in kommunale Hand hätten die Mieter Sicherheit, „dass die Wohnungen im preisgünstigen Segment liegen werden“, so Kollatz.

Die SPD musste sich zu dem Deal allerdings auch Kritik gefallen lassen: Lange blieben die Details geheim und selbst den Koalitionspartnern unbekannt. Die hatten vor einem möglicherweise erheblichen Sanierungsbedarf bei den Immobilien gewarnt. Zuletzt hatte die Finanzverwaltung sogar eine Klage gegen das Transparenzportal Fragdenstaat verloren, das unter anderem wissen wollte, welche Bestände genau Teil des Deals seien. Dennoch veröffentlichte Kollatz die Infos erst nach der Beurkundung Donnerstagnacht.

Nun ist bestätigt: Bei den verkauften Beständen handelt es sich überwiegend um Großsiedlungen und damit aktuellen und ehemaligen sozialen Wohnungsbau: die High-Deck-Siedlung in Neukölln, die Thermometersiedlung in Lichterfelde Süd, der Ernst-Lemmer-Ring in Zehlendorf und das Falkenhagener Feld in Spandau. Enthalten sind aber auch 1.000 Wohnungen in Kreuzberg rund um das Kottbusser Tor.

Durchaus Sanierungsbedarf

Mehr als die Hälfte der Bestände liegt laut Senat in Spandau, Steglitz-Zehlendorf und Neukölln. Im Vergleich dazu eher wenige Wohnungen würden auch in anderen Bezirken gekauft, nähere Details finden sich auf der Website der Finanzverwaltung.

Die Thermometer-Siedlung in Spandau

Die Thermometer-Siedlung in Lichterfelde Foto: imago

Die Investitionen seien für die landeseigenen Gesellschaften lohnenswert, wie diese am Freitag betonten. Die Ankäufe hätten keinen negativen Einfluss auf die Neubauziele. Nichtsdestotrotz seien bereits Gelder für Sanierungen veranschlagt. Die Howoge geht bei ihren 8.267 übernommenen Wohnungen von einem Asbestsanierungsbedarf in Höhe von über 80 Millionen Euro aus, hinzu kämen 50 Millionen für technische Instandsetzungen und weitere 50 Millionen als Puffer.

Die Berlinovo, die knapp 4.000 Wohnungen kauft, plant mit 167 Millionen Euro für Sanierungen. Die Degewo, bei der über 2.300 Wohnungen landen, rechnet mit 84 Millionen Sanierungsbedarf.

Ursprünglich wollte der Senat 20.000 Wohnungen kaufen. Warum es nun 5.000 Wohnungen weniger sind? Der Degewo-Vorstand Beck nannte „unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich von Bewirtschaftungsszenarien und unterschiedliche Risikoeinschätzungen“.

Die Finanzierung von Enteignungen erscheint möglich

Mit dem Deal kauft der Senat zu einem großen Teil ehemals öffentliche Bestände zurück. Der rot-rote Senat unter Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatte Mitte der Nullerjahre große Bestände privatisiert. Kollatz rechtfertigte dennoch den teureren Rückkauf mit gestiegenen Marktpreisen und der Wohnungsnot: „Wenn man Kommunalisierungsziele befolgt, muss man wissen, dass man Wohnungen zu anderen Preisen zurückerwirbt. Ich halte diesen Ansatz aber für richtig“, so Kollatz.

Das Falkenhagener Feld in Spandau

Das Falkenhagener Feld in Spandau Foto: imago

Michael Zahn von der Deutschen Wohnen, von der der Löwenanteil der Wohnungen stammt, sagte zur Bewertung der Immobilien, auch in Hinblick noch zu erfüllender Klimaschutzziele: „Wir haben keine unterdurchschnittliche Ware verkauft, sondern durchschnittliche Ware.“ Man hätte durchaus Interesse an der weiteren Bewirtschaftung etwa der Thermometer-Siedlung gehabt und finde den Preis sehr fair. Zahn ergänzte aber auch: „Man kann vielleicht erst in zehn Jahren erkennen, dass diese Transaktion für die Stadt eine gute war“, woraufhin ihm Kollatz sofort in dem Punkt widersprach, und dass man das wohl auch bereits früher sehen könne.

Ein ähnliches Finanzierungskonzept verfolgt auch das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen, wobei dieses sogar günstiger vergesellschaften will. Sprecher Moheb Shafaqyar sagte zu dem Deal: „Was die SPD hier kurz vor der Wahl veranstaltet, ist eine üble Nummer.“ Man befürworte die Überführung von Wohnungen in die öffentliche Hand, aber nicht „durch Hinterzimmerdeals und zu spekulativen Preisen“, so Shafaqyar. „Der Vorgang zeigt aber, dass ein Erwerb von Wohnungen in großem Stil haushaltsneutral finanziert werden kann. Auch wenn die SPD öffentlich gerne das Gegenteil behauptet, setzt sie genau dieses Konzept jetzt um.“

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