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Deutsche Wohnen & Co enteignenDie Zäsur

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Die Ber­li­ne­r*in­nen stimmen für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne. Damit wird erstmals grundsätzlich am neoliberalen Modell gerüttelt.

Von den Hauswänden in die Wahllokale: Riesenerfolg für die Initiative DW & Co enteignen Foto: dpa

E s ist vollbracht: 56,4 Prozent der Berliner Wäh­le­r*in­nen haben dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen zu einem deutlichen Sieg verholfen. Am frühen Montagmorgen waren schließlich alle Gebiete ausgezählt. Mit ihrem Grundbedürfnis nach Wohnen wollen – und können – sie nicht länger Spielball und Geschröpfte von Finanzanlegern und Spekulanten sein. Stattdessen fordern sie, die kapitalistische Organisierung des Wohnungsmarktes rückgängig zu machen. Für die politische Debatte in Berlin und im ganzen Land ist das eine Zäsur. Das Ende des neoliberalen Modells ist erstmals wirklich greifbar.

Schon oft ist der Neoliberalismus totgesagt worden, spätestens seit der letzten Weltfinanzkrise ab 2008. Doch auch wenn die Denkweise aus der Mode gekommen ist und sich die Staaten in der Coronakrise als starke Akteure zurückmeldeten, wurde die Logik der Märkte nicht gebrochen. Der Neoliberalismus lebte einfach weiter, nur ohne Heilsversprechen. So gut wie alle Bereiche des Lebens sind in Wert gesetzt und damit zu einem Gut geworden, das Menschen ausschließt. Von einzelnen Rekommunalisierungen im Energiesektor abgesehen, ist es bislang nirgends gelungen, die Unterwerfungen unter die Spielregeln der Märkte wieder umzukehren.

Wenn die Ber­li­ne­r*in­nen nun mehrheitlich fordern, etwa 250.000 Wohnungen zu vergesellschaften, also den Konzernen zu entreißen und wieder unter öffentliche Kontrolle zu bringen, zeigt das, wie wenig Kapitalinteressen und die Bedürfnisse der meisten Menschen zusammenpassen. Angstkampagnen vor abgeschreckten Investoren und einem Imageschaden für die Stadt oder Vergleiche zu kommunistischen Regimen oder gar der NS-Diktatur konnten daran nichts ändern. Der ins Reich des Bösen verbannte Begriff der Enteignung feiert in Berlin seine Wiederauferstehung als Zukunftsversprechen für ein menschenwürdigeres Leben.

Der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen ist das gelungen, weil sie weder ideologisch daherkam noch dogmatisch argumentierte. Sie orientierte sich einzig an den Bedürfnissen der Ber­li­ne­r*in­nen nach bezahlbaren Mieten und der Bannung der Angst vor Verdrängung. Mit einem milderen Mittel als der Vergesellschaftung ist das aber nicht zu erreichen – das ist in zehn Jahren des Kampfes gegen den Mietenwahnsinn klar geworden. Für Kompromisse mit den Konzernen ist es nach diesem Entscheid zu spät, sie würden auch an der Logik des Maximalprofits scheitern.

Der kommende Senat muss die Enteignung sofort angehen und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen, nicht zuletzt daran hängt seine demokratische Legitimation. Der Ausdehnung des Marktes auf Bereiche der Gemeinnützigkeit hat das Vertrauen in die Demokratie schon genug erschüttert.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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24 Kommentare

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  • Ich muss aber klar gestehen, ich verstehe die Berliner nicht so ganz. Man entscheidet sich pro-Enteignung, und wählt dann eine Frau zur wahrscheinlich kommenden Bürgermeisterin, die klar gemacht hat, dass sie alles gegen die Enteignung tun wird.

  • CDU und FDP argumentieren ja gerne, Enteignung wären undemokratisch und illegal.



    Nun sind Enteignungen vom Grundgesetz gedeckt. Und wenn es darum geht, ganze Dörfer zu enteignen um Autobahnen oder Tagebaue zu ermöglichen, da war die CDU immer ganz vorne mit dabei.

    Ich bin froh, dass die Berliner nicht auf die Angstmache der DW reingefallen sind.

    • @derSchreiber:

      Aber da wurde zu Marktpreisen entschädigt, Eigentümer haben also keine Vermögensnachteile erlitten.



      In Berlin gibt es Leute die glauben, man dürfe Eigentümer weit Unterhalb des Marktwertes enteignen.

      • @Paul Rabe:

        Berlin ist aber auch die Stadt, wo ein rot-rot-grüner Senat Sozialwohnungen die dem Staat gehörten, für einen Spottpreis an DW Vonovia verscherbelten die dann da einen fetten Reibach machten.

        Durch überteuerte Mieten genau dieser Unternehmen, stieg nämlich auch der Marktpreis ohne das sich an der Lage oder dem Renovierungsstand der Wohnungen etwas änderte.

  • Und wer zaht die Entschädigungen? Ist die Entschädigung für die Unternehmen nicht schon direkt ein Grund zu klagen? Ach nein, es wird ja keine geben müssen - wird ja einfach so enteignet?



    Und was haben die paar Prozent "Bestandsmieter" gewonnen? - Was die potentiellen Mieter? Wo kommen die Wohnungen für neue Miter her? Wäre es vielleicht hilfreicher, das Geld für Prozesse und Entschädigungen in Neubau zu stecken, die Preise durch höheres Angebot abzusenken? Wenn die Gewinne nicht mehr so exorbitant hoch sind, werden die Anteile an Vonovia und Co. dann nicht uninteressanter?



    Warum sind die Preise explodiert? Nur weil die Nachfrage da ist. Eine Diskussion mit der Tochter eines Freundes hat mich an deren Intelligenz zweifeln lassen. Sie will unbedingt nach Berlin ziehen und dort studieren. Auf die Frage, wie sie eine Wohnung finden und bezahlen will - sie spekuliert tatsächlich auf die Enteignungen.



    Pipi Langstrumpf....

    • @MeinNick2021:

      Ja, ja, der Markt regelt das schon. Nur, warum hat der Markt es nicht längst geregelt obwohl doch die Preise seit bald 20 Jahren immer höher und höher steigen. Vor Allem die Nachfrage nach günstigem Wohnraum steht einem immer knapper werdendem Angebot gegenüber, gebaut wird aber primär im hochpreisigen Segment.

      • @Ingo Bernable:

        Ja, der Markt regelt die Preise nach Angebot und Nachfrage. Niemand behauptet dass der Markt für günstige Preise sorgt. Das ist nur der Fall wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, aber seit der Wende ist die Nachfrage explodiert und das Angebot nicht.

        Dabei steigt die Nachfrage nach Wohnraum allgemein, und nicht nur nach günstigem Wohnraum. Scheinbar finden sich noch genug Interessenten die die gestiegenen (im Vergleich zu anderen Städten aber eher niedrigen...) Berliner Mieten bezahlen wollen/können. Die Wohnungen im Hochpreisigen Segment finden ja Abnehmer, sonst würde man sie nicht bauen.

      • @Ingo Bernable:

        "Vor Allem die Nachfrage nach günstigem Wohnraum steht einem immer knapper werdendem Angebot gegenüber, gebaut wird aber primär im hochpreisigen Segment." – Ja eben. Genau daran ändert das Projekt-der-Herzen, die Scheißkonzerne zu enteignen: gar nichts. Genau für die dringend nötigen staatlichen Baumaßnahmen bräuchte man jene Milliarden, die zum "(Rück)kauf" der bestehenden Wohnungen verplant sind. Selber Bauen und zugleich den Mindestanteil an Sozialwohnungen bei Investoren-betriebenen Neubauprojekten erhöhen wäre - glaube ich - pragmatischer.

  • Da dürfte schon die sehr interessante Frage nicht gelöst sein wer denn nun konkret enteignet wird und wer nicht enteignet wird?



    Der Staat muss ja einen gerichtsfesten Grund vorweisen können, wenn er einen bestimmten Eigentümer gegenüber einem anderen Eigentümer bei der Enteignung bevorzugt oder benachteiligt.



    Bei Straßenbauprojekten oder die Braunkohle groben ergibt sich dies aus Sachenzwängen, zB dem geplanten Verlauf einer Straße.



    Ich wüsste nicht nach welchen verfassungsfesten Kriterien dies aber in Berlin nun passieren sollte, Den bei Wohnung ist es erst mal egal wo diese innerhalb Berlins liegen.

  • Aha, bei der Mietbremse hatten alle Experten darauf hingewiesen das es nicht Rechtens ist.... so war es natuerlich auch!

    Jetzt wollen Berliner auf Kosten der anderen Bundebuerger und -laender Wohnungen zurrueck kaufen die unter Rot Rot Gruen verkauft wurden. Als nicht Berliner ist es einfach so eine unfassbare Ohrfeige....

    • @DerOedeBloede:

      Selbst wenn letztlich Entschädigungen in Höhe des Markwertes fließen müssen, sind diese keine Kosten, sondern Investitionen.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Mit einem milderen Mittel als der Vergesellschaftung ist das aber nicht zu erreichen – das ist in zehn Jahren des Kampfes gegen den Mietenwahnsinn klar geworden. "

    Absolut richtig!

    "Für Kompromisse mit den Konzernen ist es nach diesem Entscheid zu spät, sie würden auch an der Logik des Maximalprofits scheitern."

    So isset! Aber die vielen Nebelkerzen, die geworfen wurden, lässt die Bürger oftmals an einen gezähmten, sozialen Kapitalismus - oh was für ein böses Wort - also besser System glauben.



    Glaubt irgendwer, dass ein Milliardenkonzern, der die Abzocke von Mietern deutschlandweit als Geschäftsmodell erklärt hat, künftig auf hohe Profite verzichten wird?



    Ja, ist die Antwort. Viele, viele Umnebelte glauben das tatsächlich.



    Angst beherrscht diese Leute, dass nämlich auch ihre kleine Hütte und sogar der Kühlschrank verstaatlicht werden kann.



    Da nimmt man doch lieber in Kauf, dass die Bosse ihren fetten Anteil am groß angelegten Raub kassieren. Hauptsache ich muss nicht bluten. Wenn es dann aber doch so kommt, ist das Geschrei groß.

    Deshalb ist es so wichtig, dass Giffey das Volksbegehren nicht einfach wegblasen kann. Wir sind noch lange nicht am Ende!!!!!!!!!!!!!Wir sind stark und wir sind die Mehrheit!

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Was sie hier als Milliarden schweren Konzern bezeichnen ist ja nur eine Kapitalsammelstelle in der das Kapital von vielen Leuten liegt, die selber keineswegs Millionäre sind.



      Die Argumentation hier würden „Reiche“ enteignet Dürfte man kaum nachweisen können.



      Die Anteilseigner solche Konzerne können sowohl Millionäre sein als auch kleine Angestellte die einen Teil ihrer Lebensversicherung dort eingezahlt haben

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @Paul Rabe:

        Sie haben es nicht verstanden.



        Auch wenn es viele shareholders bei vonovia gibt, selbst in meinem Bekanntenkreis, so ist es doch falsch, sich mit diesen Leuten einzulassen, denn letztlich trifft die Profitgier viele, viele Mieter. Solidarität Fehlanzeige.



        Dann kann ich doch gleich Lockeed- oder Rheinmetall-Aktien kaufen.

        de.wikipedia.org/w...ller_(Deutschland)

  • das ist dann wohl gelebte schizophrenie: 56,4% sagen ja zur vergesellschaftung, aber nur 14% wählen genau diejenige partei, die als einzige ebenfalls ja sagt...

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @franzferdl:

      So ist es - die Nebelkerzen haben ihre Wirkung nicht verfehlt!

  • Gratulation.



    Jetzt diskutieren wir zuerst die Koalition.



    Dann diskutieren wir ein neues Gesetz.



    Dann erlassen wir dieses Gesetz.



    Dann kassieren die Gerichte dieses Gesetz.



    Dann sind alle sauer auf die Gerichte.



    Und die Politiker verstehen die Welt nicht mehr und die Leute verlieren das Vertrauen in die Rechtsprechung. Die Spaltung der Gesellschaft geht weiter.

    Und warum kassieren die Gerichte das Gesetz?



    Vor Enteignung steht immer die Wahl des milderen Mittels. Berlin will geringere Mieten für seine Bürger. Das mildere Mittel wäre ein Mietendeckel. Diesen durfte es nicht verabschieden, warum sollte es dann Enteignung verabschieden dürfen?

    Und wenn es dürfte, was senkt die Miete nachhaltig – Geld in die Hand nehmen und Enteignen oder das gleiche Geld in die Hand nehmen und bauen? Da sieht Bauen wie das mildere Mittel aus.

    Wem hilft Enteignung? Nur den Mietern die drinne wohnen. Alle anderen zahlen die hohen Mieten oder Kaufpreise für neu gebaute Wohnungen. Ob das ausreichend ist für ein Gemeinwohl, welches für die Enteignung notwendig ist? Ist halt anders als eine Straße oder ein Park, den prinzipiell alle nutzen könnten. Hilft es dem Allgemeinwohl nicht mehr wenn mit dem Geld neu gebaut wird?

    Nehmen wir einen Kuchen. Ich habe weniger Stücken als Esser. Hilft es jetzt, wenn der Besitzer des halben Kuchens wechselt? Hilft das bei der Verteilung der zu wenigen Stücken? Wäre es nicht sinnvoller mehr Kuchen zu backen?

  • Korrekt wäre doch sicher die Formulierung "Enteignung rückgängig machen".



    Denn man kann sicher auch so argumentieren, dass die Enteignung damals stattfand und jetzt rückgängig gemacht werden solll ...

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Bolzkopf:

      Ich wünschte mir, dass Politiker auch für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können.



      Dass Wowereit und auch Landowski immer noch frei in Berlin spazieren gehen können, ohne angeschnauzt zu werden, ist mir nicht verständlich.

    • @Bolzkopf:

      Ahm Nein..... das ist mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar.

      Bei einem Wohnungsverkauf von einer Enteignung zu sprechen ist schon sehr laecherlich.

      Hoffentlich haben die 100 000 ehemaligen Wohnungsbesitzer es psychisch verkraften koennen 6 Stellige Betraege fuer die Wohnung bekommen zu haben

  • Eine Enteignung ist wohl eher ein Eigentor. Die Kosten für die Entschädigung tragen die Berliner Bürger - und die wird nicht knapp ausfallen, da man sich dabei an den Marktpreisen orientieren muss (außer das Scheitern vor Gericht wird mit einkalkuliert). Daraus folgt ein Ivestitionsstau und eine langfristige Verschuldung der Stadt bzw. des Landes. Vor allem gibt es dann keine einzige Wohnung mehr und Investoren werden einen großen Bogen um Berlin machen.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Frank Stippel:

      Sie kennen sich aus? Wie hoch sind denn die Kosten für eine Wohnung im Durchschnitt? Ich bin damals auf ca. 170.000 Euro gekommen.



      Die langfristige Verschuldung der Stadt haben wir vor allem dem CDU-Mitglied Landowski zu verdanken. Das sollten sie doch wissen!

      "Investoren werden einen großen Bogen um Berlin machen."



      Naja, vielleicht die bisherigen Investoren. Es gibt aber auch andere Geschäftsmodelle.

    • @Frank Stippel:

      Verstehe ich nicht ... wenn ich etwas erwerbe, dass eine Rendite abwirft und ich für die Finanzierung keine Zinsen bezahle kann ich doch nur reich werden.



      Egal ob als Kommune oder als Investor ...

  • Na dann träumen Sie mal weiter Herr Peter… diese Initiative wird genauso erfolgreich umgesetzt wie damals der Bürgerentscheid zum Flughafen Tegel …. Die einzige Partei die den Bürgerentscheid umsetzen will hat sogar Stimmen verloren. Das zeigt das vielen Menschen ihre Stimme beim Bürgerentscheid eher symbolisch gegeben haben - was auch ok ist es muss was passieren in der Wohnungspolitik. Ne Enteignung wird es nicht geben das ist sicher.