Befreiung von Hamas-Geiseln: Empathie mit Israel
Vielen scheint es schwerzufallen, in Anbetracht der vielen zivilen Opfer weiter Verständnis für Israel zu haben. Genau darauf spekuliert die Hamas.
I n Israel war die Freude groß, als am Samstag vier Geiseln aus den Händen der Hamas befreit wurden. Hierzulande fällt die Rezeption eher verhalten aus. Zu schwer wiegen die Berichte über mittlerweile Zehntausende tote Zivilisten auf der anderen Seite. Israel und seine Unterstützer haben jeden Kredit verloren. Die Offensive in Rafah hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
Aber versuchen wir doch wenigstens einmal, die harte militärische Reaktion auf das Massaker vom 7. Oktober zu verstehen, das nichts anderes war als die Ankündigung des nächsten Holocausts. Was tun ein Volk, eine Regierung, eine Armee, die derart fundamental herausgefordert wurden? Sie versuchen, die Geiseln zu befreien, die die Hamas genommen hat, um eine Reaktion zu provozieren, die den Rest der Menschheit schockiert. Der Gegenangriff auf palästinensische Zivilisten ist von der Hamas eiskalt einkalkuliert; sie verheizt die Bevölkerung von Gaza, um Israel als Völkermörder und Kriegsverbrecher vorzuführen und zum Aufgeben zu zwingen.
Die Geiselbefreiung vom vergangenen Samstag veranschaulicht die tragische Lage Israels. Während vier Israelis endlich zu ihren Familien zurückkönnen, wurden Dutzende Palästinenser, auch Zivilisten, im Zuge der Operation getötet. Die Hamas hatte die Geiseln in einem Flüchtlingslager versteckt.
Warum sie nicht endlich Frieden geben, fragt man die Juden. Aber man fragt das nicht die Hamas, die die Geiseln sofort allesamt freilassen könnte. Manche Minister der israelischen Regierung, die man in Europa als Faschisten bezeichnen würde, verschärfen das Dilemma Israels, entweder weiterzukämpfen und neue Märtyrer der palästinensischen Sache hervorzubringen oder sich zu ergeben, einen faulen Frieden zu schließen und die jüdischen Bürger in der Gewalt einer islamistischen Terrorgruppe zu belassen. Und übrigens auch das palästinensische Volk in ewiger Abhängigkeit von ihr.
Jahrgang 1950, ist Ludwig-Börne-Professor an der Uni Gießen und befasst sich seit Jahren mit politischer Ökologie. 2021 erschien mit Frederic Hanusch und Erik Meyer „Planetar denken: Ein Einstieg“, transcript Verlag.
Ja, Israel manövriert sich ins Abseits. Aber diese Tragödie darf niemanden gleichgültig lassen, der sonst stets auf Empathie und Respekt pocht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei