piwik no script img

Bauernproteste in Baden-WürttembergErst Buhrufe, dann Dialog

Bundesagrarminister Cem Özdemir stellt sich in Ellwangen der Wut der Landwirte. Der Grünen-Politiker begegnet ihnen mit Respekt – das zahlt sich aus.

Ein Minister, der zuhört: Cem Özdemir bei einer Bauernkundgebung in Ellwangen Foto: Heiko Becker/reuters

Heilbronn/Ellwangen taz | Bis zum Schluss zeigt Cem Özdemir an diesem kalten Mittwoch Steherqualitäten. Eigentlich will der Bundesagrarminister der Menge vor der Ellwanger Stadthalle nur noch einmal kurz seine Rede zusammenfassen, die er soeben drinnen vor rund 700 Bauern gehalten hat. Da wird er von Lukas Schmiedel auf der gegenüberliegenden Bühne unsanft unterbrochen. Und dann redet plötzlich der Vertreter der Jungbauern im Ostalbkreis, und der Minister hört zu.

Eine halbe Stunde hört sich der Grünen-Politiker an, dass den Bauern die Planungssicherheit für Investitionen fehle, dass sie die Bürokratie und die Kontrollen knebelten und drangsalierten. „Es geht um das Gefühl des Vertrauensentzugs“, sagt Schmiedel. Um die Kfz-Steuer und das Dieselprivileg gehe es nur noch am Rande, das sei eben nur der berühmte letzte Tropfen gewesen.

Özdemir lässt den Jungbauern fertig sprechen, dann greift er die Vorwürfe auf und versucht, die Politik der Ampel zu erklären. Die Zuhörer, die dem Dialog von Bühne zu Bühne folgen, hören plötzlich zu. Eben hatten sie Özdemir noch mit „Lügner“ und „Die Ampel muss weg“-Rufen bedacht. Es ist ein Moment, in dem der Dialog zwischen Politik und protestierenden Bürgern gelingt. In dieser Woche hat das Özdemir schon mehrfach hinbekommen.

Seit Wochenbeginn protestieren Landwirte bundesweit ­gegen geplante Einsparungen bei den Agrarsubventionen. Auch das Versprechen der Bundesregierung, bestimmte Kürzungen wieder zurückzunehmen, konnte den Protest nicht besänftigen. Es sind harte Zeiten für den Bundesagrarminister, der vielleicht in zwei Jahren baden-württembergischer Ministerpräsident werden will und es schon deshalb nicht brauchen kann, im ländlich geprägten Baden-Württemberg einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Es ist also auch in diesem Sinn eine Bewährungsprobe.

Die Reise nach Ellwangen zum Kalten Markt, der auf eine über tausendjährige Geschichte als Pferdemarkt zurückblicken kann, war schon im Sommer geplant. Eigentlich sollte er über Tierwohl reden. Nun geht es um die Bedürfnisse von Landwirten. Doch trotz aller Klagen scheint sich Özdemir bei ihnen einen gewissen Respekt erworben zu haben. Auch mit Interventionen gegen das Glyphosat-Verbot in Brüssel, das laut Özdemir Wein- und Obstbauern die Existenz gekostet hätte.

In der Ellwanger Stadthalle trägt Roderich Kiesewetter, der örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete, den man eher als Außenpolitiker kennt, zum gemäßigten Ton bei. Kiesewetter räumt ein, dass alle Parteien in der Vergangenheit zur Misere der Landwirtschaft beigetragen hätten. Auch teilten alle Landwirtschaftsminister das Schicksal, dass Kürzungen im Agrarsektor von Bundeskanzler und Finanzminister über ihren Kopf beschlossen worden seien. Kiesewetter sieht das als Beitrag zur Redlichkeit in der Politik.

Traktoren überall

„Schwätze muscht mit de Leut'“, das sei sein Prinzip, hat Özdemir bereits am Vorabend mitgeteilt. Auch beim traditio­nellen Bürgerdialog der Grünen-Landtagsfraktion, die diesmal im Heilbronner Stadtteil Erlenbach stattfindet, stehen beleuchtete Trecker weit die Weinberge hinauf. Als Özdemir und Ministerpräsident Kretschmann vorfahren, schicken die Bauern ihre Kinder mit Bobbycar-Traktoren in den Kreisverkehr vor der Halle. Kreativer Protest für demonstrationserfahrene Grüne.

Das Publikum hier ist gemischter als am Tag drauf in Ellwangen. Denn eigentlich soll es um viele landespolitische Themen gehen, die Fachpolitiker stehen an Thementischen Rede und Antwort. Trotzdem geht es auch hier vor allem um Landwirtschaft. Vor Özdemir redet an diesem Abend Winfried Kretschmann. Er versäumt es nicht, seine Rolle bei der Rücknahme der Subventionskürzungen hervorzuheben: „Ich hab die Probleme vehement vorgetragen.“ Es gibt Applaus, aber auch Buhrufe.

Als Kretschmann den kürzlich verstorbenen Wolfgang Schäuble zu den Zumutungen des Streits und der Diskussion in der Demokratie zitieren will und eine Frau ruft „Das interessiert niemanden“, kippt die Stimmung zugunsten der Politiker. Sie erntet wütende Reaktionen der Mehrheit.

Danach wird es für den Landwirtschaftsminister einfacher. Es müsse zum Standard werden, dass man mit den Bauern redet, bevor man sie mit Kürzungen oder neuen Standards konfrontiert. Der Vegetarier legt gegen manche grüne Überzeugung ein Bekenntnis zur Tierhaltung ab: „Mein Gemüse braucht Tiere, sonst funktioniert der Kreislauf in der Landwirtschaft nicht.“ Er verspricht das Tierwohllabel für Schweinefleisch im kommenden Monat und fordert eine Tierwohlabgabe für Verbraucher, damit das Geld wieder in die Landwirtschaft fließen kann.

Kein Raum für Pöbler

Und er betont, dass auch er sich für eine Rücknahme der Subventionskürzungen starkgemacht habe. „Ich habe gekämpft und geliefert.“ Er sagt aber auch, dass die jetzt beschlossene schrittweise Abschaffung der Dieselsubvention nicht mehr gestoppt werde. Später stellt sich Özdemir der Diskussion mit den Landwirten. Auch hier hört er vor allem auch zu.

In Ellwangen wie in Heilbronn kann man beobachten, dass sich die Pöbler und AfD-Anhänger schnell gelangweilt abwenden, wenn es um EU-Verordnungen, Stallgrößen, Fruchtfolgen und Dinkelpreise geht. Viele von ihnen sind keine Landwirte, sie wollen nur ihre billige politische Ernte einfahren. Özdemir weist darauf hin, was die Bauern von der AfD zu erwarten haben: Die Partei wolle laut ihrem Parteiprogramm alle Subventionen abschaffen.

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sagt am Tag darauf in Ellwangen, reden auf Augenhöhe sehe er als das wichtigste Rezept, um die Polarisierung in der Gesellschaft zu stoppen. Seinen Kollegen und Kolleginnen rät er, „Demut“ zu zeigen und „Selbstkritik“. Der Oppositionspolitiker findet: Das macht der grüne Minister ganz gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • ... möchte da Jemand Minischtapräsident von BadeWürteBerg werden ? ;-)

  • In diesen scheinbar aufgeheizten Zeiten doch schön zu lesen, dass auch zugehört wird und Konflikte nicht nur ausgesessen oder eskaliert werden 😊 danke werter Bundeslandwirtschaftsminister

  • Man kann nicht oft genug darauf hinweisen: Würde die AfD ihr Programm umsetzen (Abschaffung aller Subventionen), wären vermutlich 99 % der landwirtschaftlichen Betriebe in D pleite

    • @Kaboom:

      Welches Programm wird schon 1:1 umgesetzt. Jede Regierung muss Kompromisse machen oder auf neu geschaffenen Gegebenheiten reagieren.

      • @Tom Tailor:

        In einer Diktatur wird es keine Kompromisse geben.

  • Özdemir überzeugt mich in solch herausfordernden Situationen immer am ehesten. Das macht er schon stark, auch wenn ich seine Positionen ansonsten nicht immer teile.



    Beeindruckend finde ich aber besonders auch das Verhalten von Kiesewetter, wie es hier beschrieben wird. Statt billig die Keule der Opposition zu schwingen, scheint er eher an der inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert zu sein und scheut auch nicht den selbstkritischen Blick auf die eigene Partei.



    Und dann funktioniert auch der Dialog mit den Demonstrierenden. Sehr gut.

  • Generell ist es gut das Özdemir den Dialog sucht, doch bezweifle ich dass er über genügend landwirtschaftliche und ökologische Kompetenz verfügt um die Interessen eines grünen Landwirtschaftsministium zu führen, wenn er wiederholt diesen Satz sagt;



    „Mein Gemüse braucht Tiere, sonst funktioniert der Kreislauf in der Landwirtschaft nicht " Er sagte dies ja auch schon letztes Jahr zur grünen Woche im dlf, nur wird dieser Satz durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Gemüseanbau funktioniert wunderbar und massentauglich auch ohne tierische Exkremente und ich erwarte von einen grünen Landwirtschaftsminister das er dies Weiss und auch so Kommuniziert oder wenigstens im richtigen Moment schweigt um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen.



    Der Bauernverband hat kein Interesse an weniger Tierleid durch weniger Tierhaltung, da dies das überwiegende (umweltzerstörendes) Geschäftsmodell seiner Mitglieder ist. Er möchte das alles so bleibt wie es ist, das ist ja auch offensichtlich bei den aktuellen Protesten.

    www.deutschlandfun...interview-100.html

    Die taz berichtete letztes ja auch über den schwelenden Konflikt zwischen Özdemir und Bauernverband beim Thema der Notwendigkeit von weniger Tierleid und Reduzierung der Tierbestände wo ich das schon mal in den Kommentaren anmerkte



    taz.de/Cem-Oezdemi...nverband/!5906696/

    Hier noch mal der link zum biozyklischen veganen landbau, eine Methode die in Abwandlungen jahrhunderte bewährt und massentaugkich ist:



    www.oekolandbau.de...ganer-oekolandbau/

  • Also: Respekt und Demut. Und den Dialog immer suchen.

    Lula, der derzeitige Präsident Brasiliens, war seit seiner frühen Jugend ein Gewerkschaftsführer. Er war auch in Zeiten der Militärdiktatur Gewerkschaftsführer (und wurde übrigens damals von Volkswagen wegen der Organisierung der Arbeiter ausspioniert und der Polizei angezeigt). Als Kind, am Ende des zweiten Jahres musste er die Grundschule verlassen, um als Straßenverkäufer zu arbeiten und so seiner in Armut lebenden Familie zu helfen. Erst im Alter von zehn Jahren lernte er lesen. Seine erste Frau, hochschwanger, starb an Hepatitis (und der ungeborene Sohn auch), weil die Familie kein Geld hatte, um die Behandlung zu bezahlen.

    Aber Lula hat daraus etwas gelernt: Verlasse niemals einen Verhandlungstisch, ohne vorher einen Termin für das nächste Treffen vereinbart zu haben. Es spielt keine Rolle, dass Sie mit Ihrem Gegenüber überhaupt nichts vereinbart haben. Es spielt keine Rolle, dass sie sich überhaupt nicht verstehen. Suchen Sie immer den Dialog.

    Was für ein Unterschied zu einigen selbstzufriedenen Politikern, die den Protestierenden als Nazis, als Mob, als Ignoranten anprangern.

    Gut für Herr Özdemir.

  • Ich glaube, neben der Wichtigkeit des Dialogs, zeigt dieser Artikel auch:



    Es war nur der Anlass, dass die Dieselsubventionen gekürzt wurden. Nicht der tiefer liegende Grund.

    • @Kartöfellchen:

      Was der tiefer liegende Grund ist, wird allerdings nur äußerst vage angedeutet.

      Kann man von erwachsenen Menschen, die in Berufsverbänden organisiert sind nicht erwarten, dass die ihre Forderungen von vornherein klar formulieren? Einen bundesweiten Protest mit Blockaden organisieren geht ja auch.

      Meines Erachtens hat die Ampel durch die schnelle und weitgehende Rücknahme der Kürzungen die Bauern hier hervorragen vorgeführt. Einmal in Rage versetzt und in der Überzeugung gegen die Große Ungerechtigkeit die uns Die Da Oben antun zu kämpfen, haben die jeden Bezug zur Realität verloren.

  • Anerkennung für Cem Özdemir, nicht für die Grünen.



    Özedmir muss ausbaden, was ihm Habeck und seine Grüne Spitze eingebrockt hat.



    Özdemir hat den Mumm, geht zu den Bauern und lässt sich auspfeifen, während Habeck und Lang sich da lieber fern halten und nur im Studio reden.



    Daran erkennt man wer Charakter hat und wer nicht.



    Hut ab Cem.

    • @Rudi Hamm:

      Was soll dieses Habeck Bashing? Habeck hat sogar das GespröÄch angeboten, als der Mob die Fähre stürmen wollte.

      Für den Sparkurs ist der FDP Finanzminister zuständig, den solide, zukunftsorientierte Finanzpolitik anscheinend nicht interessiert. Und dazu gesellt sich ein Bundeskanzler, der nichts macht und sich nur vornehm zurückhält bei allen Themen.

      • @Gnutellabrot Merz:

        Grünen-Bashing ist zur Zeit total angesagt. Nur eine Überleitung zu Frau Baerbock hat noch nicht geklappt bei diesem Thema, aber das ist auch nur eine Frage der Zeit.

      • @Gnutellabrot Merz:

        Und welchen Unterschied machts, immer die FDP vorzuschieben, wenn was schief läuft? Bei all den vermurksten Entscheidungen sitzen Grüne und SPD genauso mit Boot. Und das Habeck als Wirtschaftsminister für die Streichnung von Subventionen in bestimmten Branchen federführend mitverantwortlich ist, kann man wohl kaum bestreiten.



        Dass er sich auf der Fähre nicht gestellt hat, ist absolut nachvollziehbar. Aber er könnte auch dort reden, wo Özdemir redet.

      • @Gnutellabrot Merz:

        Gestern bei Lanz in der Diskussionsrunde gesehen: die Entscheidung wird final von der Dreierspitze gefällt, also Lindner, Habeck und Scholz, diese drei tragen GEMEINSAM die Verantwortung....wobei Habeck wenigstens zum Dialog bereit war, während Scholz und Lindner ein erbärmliches Bild abgeben und schweigen....in der Diskussionsrunde saß dann Anton Hofreiter, der tat mir ein wenig Leid, da es so wirkte als hätte man ihn vorgeschoben, um selbst nicht gerade stehen zu müssen für seine Fehler, Scholz hätte da sitzen und Rede und Antwort stehen müssen!

      • @Gnutellabrot Merz:

        Habeck Bashing?



        Bauern=Wirtschaft



        Wirtschaftsminister=Habeck.



        Auch Habeck hat dem Sparkurs zugestimmt, nicht nur die FDP.



        Ich würde mal sagen ich lese hier eher FDP-Bashing.



        Aber die FDP ist auch unwählbar geworden.

        • @Rudi Hamm:

          Bauern = Landwirtschaft Özdemir



          Geld = FInanzminister Lindner

          Grosse Probleme der Ampel = Bremsen der FDP + Schlafen der SPD

    • @Rudi Hamm:

      Ja, genau: Habeck und Lang sind die Schuldigen.

      Nur dumm, dass der Finanzminister jemand anders ist, der irgendwie keine Schuld trägt, warum auch immer, der ist ja nicht für Steuern zuständig (Achtung: Sarkusmus) und steht auch immer bei den Landwirten und erklärt denen, wie Steuerpolitik funktioniert.

    • @Rudi Hamm:

      Das mit Habeck stimmt aber so auch nicht. Es gibt ein Video im Netz wo Habeck in der Fährensituation anbietet, mit den Blockierenden zu sprechen. Nur war da die Stimmung zu angeheizt als dass die Blockierenden darauf hätten eingehen wollen.

      Und dann ist da noch etwas: Ich hab heute Renate Künast in einer ziemlich konstruktiven Dlf-Talkrunde* zu den Bauernprotesten gehört. Da hat sie nebenbei erwähnt, dass das BKA die Gefährdungslage bestimmter Politiker derzeit so einschätzt, dass die ohne Personenschützer gar nirgendwo hin können: Das erschwert den Dialog auf der Straße.

      Es ist eine Folge von mehreren Jahren Fakenews, Hetze und Hass von rechts in den "sozialen" Medien. Die rechten haben sich da (aus naheliegenden Gründen) vor allem die Grünen zum Zielgebiet genommen.

      Für die Demokratie ist der Flurschaden richtig fatal.

      *(konkret die Talkrunde hier: www.deutschlandfun...fbc65f1c-100.html)

  • Danke Herr Stieber für die Beschreibung der Veranstaltungen. Auch für die sachliche Berichterstattung und das die Bauern zuhören und keine rechten, gierigen Trampel sind. War ein wohltuender Artikel. Auch wenn Özdemir natürlich nicht mit ein paar hunderttausend Bauern auf so "kleinen" Veranstaltungen reden kann.