Bandscheibenvorfall beim G20-Gipfel: Vier Tage sind kein Unfall

Ein Polizist musste 70 Stunden lang schwere Ausrüstung tragen. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe lehnte seine Klage gegen den Dienstherrn aber ab.

Erschöpfte Polizist/innen sitzen auf einem Bordstein und ruhen sich aus

Erschöpfte Po­li­zis­t:in­nen am Rande einer Demonstration während dem G20 Gipfel in Hamburg 2017 Foto: Sebastian Willnow/dpa

KARLSRUHE taz | Ein Bandscheibenvorfall, den ein baden-württembergischer Polizist 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg erlitten hat, gilt nicht als Dienstunfall. Das entschied jetzt das Verwaltungsgericht Karlsruhe. Der Polizist aus Bruchsal wurde im Juli 2017 mit seiner Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit zum G 20-Gipfel nach Hamburg geschickt. Dort sorgten linksradikale Gipfelgeg­ne­r:in­nen unter dem Motto „welcome to hell“ für teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände.

Am dritten von vier Tagen spürte der Polizist einen Schmerz im Rücken. Er konnte den Einsatz zwar noch zu Ende bringen, doch nach der Rückkehr stellte ein Arzt einen Bandscheibenvorfall fest. Der Polizist war monatelang arbeitsunfähig. Seit fünf Jahren kämpft der heute 37-Jährige nun um die Anerkennung der Rückenprobleme als Dienstunfall. Das Problem des Polizisten: Er kann kein konkretes Ereignis benennen, dass den Bandscheibenvorfall ausgelöst hat. Er geht vielmehr davon aus, dass es der gesamte Einsatz war, der seinen Rücken so überlastete.

Vier Tage lang habe seine Einheit schwere Körperschutz-Ausrüstung (KSA) getragen. „Das ist eine Art Ritterrüstung aus Metall“, sagte der Mann vor dem Verwaltungsgericht, „eine KSA wog damals über 20 Kilogramm“. Nach seinen Angaben wurde die schwere KSA inzwischen durch eine leichtere KSA aus Kunststoff ersetzt. „Einen solchen Einsatz hatte ich noch nie erlebt“, sagte der Polizist. Eine längere Ruhepause habe es nur am Anfang des Gipfels gegeben.

„Danach war die Einheit rund um die Uhr 70 Stunden am Stück im Einsatz“, so der Polizist. Auch in kürzeren Pausen habe man die Schutzausrüstung nicht abgelegt, weil man sich nie sicher fühlte. „Ich habe zig Steine und zig Flaschen abbekommen“. Seine Anwältin Irmgard Amberg betonte vor Gericht, wie wichtig es sei,dass Bandscheiben sich immer wieder regenerieren können, „deshalb darf die KSA maximal sechs Stunden getragen werden.“

Es war ein harter Einsatz

Das übliche Arbeiten in Schichten sei aber nicht möglich gewesen, weil die Polizeiführung vom Ausmaß der Gewalt überrascht gewesen sei und deshalb zu wenig Polizisten vor Ort waren. Der Dienstherr des Polizisten, das Land Baden-Württemberg, erkennt den Bandscheiben-Vorfall nicht als Dienstunfall an. „Ich will nicht in Abrede stellen, dass es ein harter Einsatz war“, sagte die Juristin des Landes vor Gericht. Allerdings sei es auch gut möglich, dass der Bandscheibenvorfall die Folge von allgemeinem „Verschleiß“ war und der Vorfall nur zufällig beim G 20-Gipfel auftrat.

Der Polizist droht durch die Maschen des Gesetzes zu fallen. Ein Dienstunfall ist als „plötzliches“ Ereignis definiert. „Ein viertägiger Einsatz ist aber kein plötzliches Ereignis“, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Neidhardt in der Verhandlung. Auch eine Berufskrankheit liege wohl nicht vor. Davon spreche man zum Beispiel, wenn jemand zehn Jahre lang schwere Lasten heben muss, aber nicht bei einem viertägigen Einsatz.

Anwältin Amberg forderte eine Beweislastumkehr. „In einer derartigen Konstellation muss der Dienstherr beweisen, dass kein Arbeitsunfall vorliegt.“ Sie warf der Polizei vor, dass sie ihre Fürsorgepflicht für die Beamten maximal verletzt habe. Zu einer derartigen Rechtsfortbildung war das Verwaltungsgericht Karlsruhe nun aber nicht bereit. Der Antrag des Polizisten wurde deshalb abgelehnt. Die Begründung des Urteils wird in einigen Wochen vorliegen.

Der Polizist weiß noch nicht, ob er Rechtsmittel einlegt. Derzeit ist er beschwerdefrei. Er verrichtet inzwischen normalen Streifendienst und muss keine KSA mehr tragen. Auch seine Reha und die Physiotherapie hatte das Land bezahlt. Die Anerkennung als Dienstunfall brächte ihm unmittelbar also keinen Vorteil. Ihm geht es aber um die Zukunft. Wenn er eines Tages wegen seines Rückens gar nicht mehr arbeiten kann, könnte er sich auf den Dienstunfall berufen und eine Rente beantragen.

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