Versammlungsverbote beim G20-Gipfel: Ein Schlauchboot ist ungefährlich
Beim G20-Gipfel in Hamburg hat die Polizei eine Attac-Aktion in der Sperrzone verboten. Das war rechtswidrig, entschied jetzt das Verwaltungsgericht.
Am Neuen Jungfernstieg vor der Geschäftsstelle des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft und vor dem dem „Afrikahaus“ in der Altstadt sollte die Aktion stattfinden. Das Kontorhaus wurde 1899 als Firmensitz für das Handelsunternehmen C. Woermann gebaut, das die Woermann-Linie und die Deutsche Ost-Afrika-Linie betrieb: ein Ort, der für die kolonialen Verstrickungen in der Stadt steht. Vor der bronzenen Statue eines afrikanischen Wahehe-Kriegers am Eingang sollte ein Schlauchboot das Thema Flucht symbolisieren.
Die Versammlungsbehörde untersagte die Aktion ebenso wie zwei andere Attac-Aktionen, weil sie in der sogenannten Sperrzone stattfinden sollten. Während des G20-Gipfels war per Allgemeinverfügung eine 38 Quadratkilometer große Versammlungsverbotszone eingerichtet worden, die die gesamte westliche Innenstadt bis zum Flughafen umfasste. Die Aktion fand schließlich an einem Ausweichort statt. Zu Zwischenfällen kam es dabei nicht.
Die Polizei begründete das Verbot mit der damaligen Allgemeinverordnung und ihrer allgemeinen Gefahrenprognose. Das war rechtswidrig, entschied am Freitagnachmittag die 3. Kammer des Hamburger Verwaltungsgerichts. Die Anmelderin wurde in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt. Gerechtfertigt gewesen wäre ein Verbot nur, wenn von den Versammlungen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen wäre, teilte das Gericht am Freitag mit. Dies sei nicht erkennbar gewesen.
Erfolg für das Demonstrationsrecht
Die Polizei hatte argumentiert, dass aufgrund der allgemeinen Situation während des G20-Gipfels davon auszugehen gewesen sei, dass von jeglicher Aktion während des Gipfels eine Gefahr ausgehe, unabhängig davon, ob von ihrem konkreten Charakter tatsächlich eine Gefahr ausgeht. Dem ist das Gericht nicht gefolgt.
Nach Paragraf 15 Absatz 1 des Versammlungsgesetzes kann eine Behörde eine Versammlung verbieten oder beauflagen, „wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist“.
Gramann hat 2018 nachträglich Feststellungsklage gegen das Verbot eingereicht. „Uns ist wichtig, dass solche inhaltlichen Einzelveranstaltungen nicht von einer Allgemeinverfügung gedeckelt werden können“, sagt sie nach der Verhandlung am Freitag zur taz.
Ihre Anwältin Waltraut Verleih kritisiert zudem die Praxis der Polizei, Aktionen auf der Grundlage einer allgemeinen und nicht überprüfbaren Gefahrenprognose zu verbieten, statt den tatsächlichen Charakter der Versammlung zu bewerten.
Klägerin Gramann freut sich über die Entscheidung. „Mit dem heutigen Urteil steht die Praxis demokratiefreier Sperrzonen in Form großflächiger Versammlungsverbote, wie wir sie 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm und vor fünf Jahren beim Treffen der G20 in Hamburg erlebt haben, in Frage“, sagt sie. „Das ist ein großer Erfolg für das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit.“
Protestbündnisse hatten schon während des Gipfels gegen die Allgemeinverfügung geklagt. Die Behörden hätten „legitimen Protest von Beginn an erheblich eingeschränkt und behindert“, auch durch Demoverbote, kritisierte damals der Republikanische Anwaltsverein. Auch Gramann klagte. In den Eilverfahren hielten die Gerichte die Verbotszonen aber noch für rechtmäßig.
Weitere Verfahren stehen aus
Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, die Stadt kann beim Oberverwaltungsgericht in Berufung gehen. Auch gegen die Verbote der anderen beiden Aktionen hat Attac vor dem Verwaltungsgericht geklagt, noch gibt es in diesen Verfahren keine Verhandlungstermine.
Die Polizei will nun zunächst die genauen Urteilsgründe abwarten und prüfen, heißt es auf Anfrage der taz. Bis dahin könne man nicht einschätzen, welche Konsequenzen das Urteil für die Praxis großflächiger Sperrzonen und für Gefahrenprognosen seitens der Polizei hätte, schreibt ein Polizeisprecher. Die schriftliche Urteilsbegründung wird in sechs Wochen erwartet.
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