Baerbocks Verzicht auf Kanzlerkandidatur: Elegant und gerade richtig
Habeck und die Grünen können sich bei der Außenministerin bedanken: Ihnen bleibt jetzt genug Zeit, den Wahlkampf vorzubereiten. Es gibt genug zu tun.
B ei den Grünen läuft bekanntlich nicht immer alles rund, aber das haben sie mal gut hinbekommen: Annalena Baerbock ist am Mittwochabend auf die elegantest denkbare Art aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur ausgestiegen. Sollten sowohl sie als auch Robert Habeck den Job wollen, so hatte es der Parteivorstand schon vor zwei Jahren festgelegt, dann würden die Mitglieder per Urabstimmung entscheiden. Das aber hätte bedeutet, dass sich die zwei wichtigsten Kabinettsmitglieder im Herbst einen parteiinternen Wahlkampf lieferten, statt sich aufs Regieren zu konzentrieren.
Eine Lose-Lose-Situation. Keiner der beiden hätte dabei geglänzt; Baerbock vermutlich noch weniger als Habeck. Sie hatte ihre Chance bei der letzten Bundestagswahl. In Beliebtheitsrankings konnte sie seitdem nicht entscheidend an ihm vorbeiziehen. Die besseren Argumente sprachen für den Vizekanzler, und das hat die Außenministerin zum richtigen Zeitpunkt eingesehen.
Indem sie das Kandidatenrennen verlässt, noch bevor es in der öffentlichen Wahrnehmung alles dominiert, wahrt sie ihr Gesicht. Und durch die Umstände ihrer Verzichtserklärung – während einer Auslandsreise, auf CNN und mit der gewohnt pathetischen Begründung, als Chefdiplomatin in Krisenzeiten keine Zeit für solche Kinkerlitzchen zu haben – steht sie erst recht nicht als Verliererin da. Einziger Schönheitsfehler: Mit ihrer Argumentation lässt sie Robert Habeck mal wieder ein bisschen blöd aussehen. Für den Wirtschaftsminister sind es schließlich auch Krisenzeiten, als Kandidat wird er sich im Wahlkampf trotzdem nicht „voll und ganz seinem Amt widmen“ können.
Aber er wird's verkraften. Habeck darf jetzt machen, worauf er so lange gewartet hat. Vor der letzten Bundestagswahl hatte er Baerbock zwar mehr oder weniger freiwillig den Vortritt gelassen, band danach aber dem ganzen Land auf die Nase, wie schwer ihm das gefallen war. Geschrumpft ist seine Sehnsucht nach der Kandidatur seitdem nicht. Jetzt hat er sie endlich.
Schrödingers Kandidat
Mehr oder weniger zumindest. Für den Moment ist er so etwas wie Schrödingers Kandidat: Alle wissen, dass er es macht. Offiziell ausgerufen hat ihn die Partei aber noch nicht. Clever wäre es, wenn es dabei noch ein Weilchen bleibt; wenn Partei und Vizekanzler weiterhin alle Nachfragen cool abblitzen lassen („Damit beschäftigen wir uns aktuell nicht“).
Ein passender Zeitpunkt für den Vollzug wäre der Herbst. Auf dem Parteitag im November ließe sich die Nominierung hübsch inszenieren. Bis dahin könnten die Grünen noch ein wenig auf die Umfragewerte starren und abwägen, ob es wirklich eine Kanzlerkandidatur sein soll oder ob eine schlichte Spitzenkandidatur nicht doch einen seriöseren Eindruck hinterließe. Außerdem wären die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen vorbeigezogen, die erwarteten Niederlagen würden nicht von Beginn an die schöne Kandidatur besudeln.
Unabhängig davon, und da können sich die Grünen aufrichtig bei Baerbock bedanken, haben Habeck und die Parteizentrale jetzt ausreichend Zeit, sich auf den Wahlkampf 2025 vorzubereiten. Beim letzten Versuch klärte sich die K-Frage erst fünf Monate vor dem Wahltermin, die Kampagne war dadurch nicht auf die Kandidatin zugeschnitten. Die Grünen versäumten damals auch, Baerbock intensiv auf ihre Angriffsflächen hin zu durchleuchten. Von den schweren Attacken auf die Kandidatin (Lebenslauf, Plagiate) wurden sie überrascht.
Auch Habeck wird als Kandidat im Feuer stehen. Die Konkurrenz-Parteien, die Springer-Presse, die Fossil-Lobby und der Kreml haben ihre Schubladen sicher schon mit Dreck gefüllt. Sich darauf vorzubereiten ist für die Grünen trotzdem eine vergleichsweise leichte Aufgabe. Es geht um handwerkliche Fragen. Dass Habeck im Juni in der Bunten öffentlich machte, dass seine Vorfahren hochrangige Nazis waren, ist möglicherweise schon in diesem Kontext zu sehen: Lieber jetzt im Klatschblatt als nächsten August auf Russia Today.
Nach links? Nach rechts?
Die schwierigeren Aufgaben sind politischer Art: Wie soll sich Habeck als Kandidat inhaltlich aufstellen? Nicht nur ihn betrifft diese Frage, sondern die ganze Partei. Diskutiert wird sie schon seit der Niederlage bei der Europawahl intensiv.
Die weniger originellen Antworten lauten, dass die Partei wahlweise nach links (sagen Parteilinke) oder nach rechts (sagen Realos) rücken sollte. Ersteres in Reinform würde Habeck nicht mitmachen. Zuletzt machte er in einem taz-Porträt deutlich: Vom Ziel ablassen, neue Milieus in der Mitte zu erschließen – das kann er gar nicht. Ohnehin funktionieren erfahrungsgemäß Wahlkämpfe nicht, in denen Programm und Kandidat auseinanderklaffen.
Ebenso realitätsfern ist allerdings die Forderung, die manche Hardcore-Realos seit Wochen erheben: Lasst Habeck jetzt führen und folgt ganz seinem Kurs. So furchtbar diszipliniert die Partei manchmal auch erscheinen mag: Inhaltlich getrieben ist sie doch noch. Jedes ihrer Glieder besteht zumindest auf dem Gefühl, überall mitreden zu dürfen.
Und überhaupt: Daten zur Europawahl legen nahe, dass die Grünen verloren haben, weil sie den einen als zu ideologisch und den anderen als zu kompromissbereit erschienen. Deswegen noch ideologischer beziehungsweise noch kompromissbereiter aufzutreten, mag am einen Ende helfen, könnte am anderen Ende aber ebenso sehr schaden. Aus dem Umfragetief hilft das nicht. Überzeugender klingt da schon ein Ansatz, der ebenfalls in der Partei kursiert: Die Grünen müssten priorisieren und könnten dann wieder als pragmatisch und durchsetzungsfähig angesehen werden.
Das hieße: Sich nicht an jeder Front verkämpfen und Verliererthemen auch mal liegen lassen. An manchen Stellen würde das zwar weitere Bauchschmerzen produzieren; manche Stammwähler*innen würden erneut enttäuscht. Über die Enttäuschung könnten sie aber hinwegkommen, wenn sie hören: Hier, hier und hier haben die Grünen im Gegenzug wirklich etwas Grünes erkämpft.
Krieg und Frieden
Da Habeck die Partei in den Wahlkampf führen wird, sollten diese Erfolge im besten Fall in Verbindung zu ihm stehen. Den Ausbau der Erneuerbaren Energien kann er schon mal für sich verbuchen, er ist in seinem Ressort angesiedelt und geht gut voran. Die Suche nach zusätzlichen Gewinnerthemen ist etwas kniffliger. Unter anderem, weil vieles von dem, was der Koalitionsvertrag für Habecks Ministerium vorgesehen hatte, schon abgearbeitet ist.
Ein paar Vorhaben sind aber noch übrig, etwa die Einführung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes. Es ist in Habecks Ressort angesiedelt und verzögert sich schon lange, die Umsetzung gilt nicht mehr als garantiert. Dabei böte das Gesetz für die Grünen die Chance, einen Makel zu beheben: Die eindeutige Haltung der Grünen zum Krieg in der Ukraine ist vielen Deutschen suspekt. Die grüne Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza ist manchen zu zahm. Auf der Friedenspartei klebt das Kriegstreiber-Etikett, zum Teil auch auf Habeck selbst.
Würde er nun die Initiative ergreifen und ein Gesetz durchfechten, das Waffenexporte an die Guten weiterhin erlaubt, Waffenexporte an alle anderen aber stärker reguliert – der schlechte Eindruck wäre korrigiert.
Der größte Makel, für die Grünen und speziell für Habeck, ist aber ein anderer: Das Debakel um das Gebäudeenergiegesetz aus dem Frühjahr 2022. Der Ärger vieler Deutschen über das grüne Projekt will einfach nicht verfliegen. Seinen Heizhammer wird Habeck nicht los.
Noch mal die Baerbock fragen
Was kann man da noch machen? Abwarten und Hoffen ist eine Option. Vielleicht verfliegt die Wut ja doch noch, spätestens dann, wenn jeder im Land mal eine Wärmepumpe gesehen hat und sich von ihrer Funktionsfähigkeit überzeugen konnte. Ausweislich der schleppenden Absatzzahlen, die die Hersteller melden, wird das allerdings bis zur Bundestagswahl nicht geschehen sein.
Was schneller helfen könnte und eigentlich leichter zu bewerkstelligen sein sollte: Den Eindruck nicht weiter zu befeuern, den die Debatte um das Heizungsgesetz bei vielen hinterlassen hat – dass es den Grünen nämlich egal sei, wie es den Leuten finanziell geht und welche Lasten sie tragen können. Leider gehört es aber nicht zu Robert Habecks großen Talenten, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Viele nehmen es ihm übel, wenn er fordert, dass die Deutschen weniger streiken und mehr arbeiten sollten – oder wenn er behauptet, das Heizungsgesetz sei ein Test dafür gewesen, wie viel die Gesellschaft mitmache.
Als nach der verlorenen Europawahl die Kandidatenfrage ein letztes Mal hochkochte und Annalena Baerbock noch einmal ein wenig aufzuholen schien, war ein Argument ihrer Befürworter*innen in der Partei: Solche Aussagen würden ihr nicht passieren. Falls sie demnächst mal Zeit hat, weil sie für paar Minuten nicht die Welt retten muss: Vielleicht kann Robert Habeck sie dann ja fragen, wie sie das eigentlich schafft.
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